Wien – Ein Jahr nach der Nationalratswahl zog Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Bilanz über seine Zeit an der Spitze der Bundesregierung. Motto: "Die Veränderung hat begonnen. Österreich in Bewegung." Bei einer Rede im Uniqa Tower in Wien flankierten 365 Unterstützer aus seiner Bewegung den Bundeskanzler. Kurz skizzierte die wesentlichen Ziele aus seiner Sicht.

  • Ende der Schuldenpolitik Erstmals seit mehr als 60 Jahren gebe es ein administratives Nulldefizit mit dem Doppelbudget 2018/19.
  • Entlastung der Menschen Durch Senkung der Steuer- und Abgabenquote in Richtung 40 Prozent würden niedrige und mittlere Einkommen entlastet. Besonders betont Kurz den Familienbonus, der ab 2019 gilt.
  • Sparen im System Um das Sozialsystem zu erhalten, müsse im System gespart werden, das gelinge etwa durch die Zusammenlegung der Sozialversicherungen.
  • Bildungsreform Kurz nennt beispielsweise die Deutschklassen für jene Schüler, die noch nicht dem Unterricht folgen können, die Wiedereinführung der Noten, die Reform der Neuen Mittelschule sowie die Finanzierung der Hochschulen.
  • Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem Als die wesentliche Maßnahme der Regierung nennt der Kanzler die (noch nicht erfolgte) Reform der Mindestsicherung.

Kurz blickt zurück

In seiner Rede am Samstag betonte Kurz den neuen Stil der Regierung, die Bevölkerung habe sich ein Ende des Streits, des Stillstands und der gegenseitigen Blockade gewünscht, das würde nun umgesetzt. Ihm sei es gelungen, das Vertrauen der Menschen in die Politik wieder herzustellen. Genau vor einem Jahr sei Kurz "sehr angespannt gewesen", erzählt der Kanzler zu Beginn seiner Rede. "Ich war fertig und erschöpft von einem intensiven Wahlkampf." Denn: "Wenn ich etwas nicht tun kann, ist es sitzen und warten", beteuert Kurz. "Die Freude am 15. Oktober war umso größer."

Als Bundeskanzler zieht er zufrieden Bilanz, in der Regierung gebe es einen neuen Stil.
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Es sei ein langer Weg zwischen dem Wahlerfolg und der Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen gewesen, sagte Kurz, der sich eine Spitze gegen die SPÖ nicht verkneifen konnte. Die Roten hätten eine Koalition mit der FPÖ angestrebt, aber die Blauen hätten sich auf "dieses Geschäft nicht eingelassen". Nun sei das Tempo der Regierung "nach Jahren des Stillstands" ein "sehr hohes", so Kurz. "Wir tun in Summe genau das, was wir im Wahlkampf versprochen haben. Das ist gut so und genauso wird es auch weitergehen", sagte der Kanzler. Nach einem Jahr sei für Kurz klar, dass das erst der Anfang ist. "Bleiben wir unserem Stil treu", so Kurz: "Es gibt noch viel zu tun."

Österreich an die Spitze

Es gehe ihm darum, Österreich wieder an die Spitze zu bringen, erklärt der Kanzler. "Und sicherstellen, dass alle Menschen in unserem Land in Sicherheit leben, die Freiheit haben, sich zu entfalten und dass ein Sozialstaat da ist, wenn sie ihn brauchen." Niemand solle sich fürchten, wenn er auf die Straße gehe. "Das heißt auch, dass sich alle auf die öffentliche Ordnung verlassen können, dass die Demokratie hochgehalten wird. Wir sind die Partei des liberalen Rechtsstaats und werden ihn entschlossen verteidigen."

Steuerreform: 100.000 Arbeitslose weniger

Für das kommende Jahr kündigte Kurz die Ausarbeitung einer Steuerreform mit einem Volumen von mehreren Milliarden Euro an. Die Arbeitslosigkeit soll Richtung 300.000 gesenkt werden, dazu müssten 100.000 Arbeitslose in Beschäftigung gebracht werden. Notwendig sei eine AMS-Reform mit einer Überarbeitung der politischen Zielvorgaben. Die beste Antwort auf Arbeitslosigkeit sei eine "gute Standortpolitik, nicht neu geschaffene Scheinjobs".

Kanzler Kurz lobte vor allem sich selbst: Für das kommende Jahr kündigte er eine umfassende Steuerreform an.
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"Unser großes Ziel ist eine Steuerreform 2020, die eine echte Steuerentlastung bringt. Damit wir sicher stellen, dass wer arbeiten geht nicht der Dumme ist in unserem Land", sagte Kurz.

Das soziale Netz in Österreich lindere Not und gebe Rückhalt, wenn man das braucht. "Es ist unsere Aufgabe dieses Netz in die Zukunft zu tragen und nachzuschärfen, wo es notwendig ist", so Kurz. Ein großes Problem, wo das Sozialsystem greifen müsse, sei die Pflege. Hier müsse man den Menschen, die sich nicht mehr um sich selbst kümmern können, helfen. "Wir müssen diese Lücke in unserem Sozialsystem schließen."

Kurz definierte drei Ziele: Die Pflege solle wenn möglich zuhause stattfinden können, pflegende Angehörige müssen besser unterstützt werden und es brauche ein nachhaltige finanzielle Lösung.

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"Für Veränderung gewählt"

Die ÖVP stünde mit Kurz als Kanzler für einen neuen Stil in der Politik, betonte am Samstag auch Klubchef August Wöginger. Das erste Jahr sei ein sehr erfolgreiches für die Regierung gewesen. "Wir wurden für Veränderung gewählt", sagte Wöginger, der am Vormittag als erster Redner die Bühne erklomm. "Wir bleiben unseren Grundsätzen treu. Wir setzen das um, was wir vor der Wahl versprochen haben", sagte Wöginger: "Wer nicht streitet bringt auch was weiter und wird von der Bevölkerung bestätigt."

ÖVP- Generalsekretär Karl Nehammer betonte, es komme "immer auf den Chef an". Die ÖVP habe einen Mann an der Spitze, der es richtig mache: "auf Augenhöhe". Der neue Stil sei auch die Zusammenarbeit mit Koalitionspartner, so Nehammer: "Wir können wieder christlich-soziale Politik leben."

Lob gab es für die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und ihr Ergebnis bei den Landtagswahlen. "Es war sensationell und ein unglaublicher Moment", sagte Mikl-Leitner: "Der Erfolg liegt im Miteinander." In der Politik stehe zu oft "die Konfrontation statt der Kooperation" im Vordergrund. Das sei unter der neuen Regierung nicht mehr so. "Das Schlimmste ist, wenn man etwas verspricht und das nicht haltet und dadurch das Vertrauen verliert", schoss Mikl-Leitner in Richtung SPÖ.

SPÖ hält dagegen

Die SPÖ hält in ihrer Bilanz der Regierung gebrochene Versprechen und böse Überraschungen vor. Versprochen wurde etwa mehr direkte Demokratie, allerdings gibt es auch bei 881.569 Unterschriften keine Volksabstimmung. Versprochen wurde, die Zivilgesellschaft zu fördern, stattdessen werde diese zurückgedrängt: Statt das zivilgesellschaftliche Engagement zu fördern, würden Umweltorganisationen in ihrer Arbeit behindert.

"Dirndl-Protest" der globalisierungskritischen NGO Attac Austria bei der Rede des Kanzlers.
Foto: Attac

Statt Menschen mit Behinderung besser zu unterstützen, streiche die Regierung die erhöhte Familienbeihilfe für Menschen mit Behinderung, wenn sie Mindestsicherung beziehen und betreutes Wohnen in Anspruch nehmen.

Kurz habe im Wahlkampf angekündigt, bei Förderungen zu sparen, kritisiert die SPÖ, getroffen habe das Familienberatungsstellen, Frauenvereine und Gewaltschutzeinrichtungen. Demgegenüber seien Förderungen für die Hotellerie und Immobilien-Investoren gestiegen.

Die angekündigte Steuergerechtigkeit sei ausgeblieben, die kalte Progression immer noch nicht abgeschafft. Angekündigt war im Regierungsprogramm "mehr (Steuer-) Transparenz für multinationale Unternehmen auf Basis der EU-Vorgaben", noch gibt es allerdings keinen Vorschlag zur digitalen Betriebsstätte, die US-Online-Konzerne zum Steuerzahlen in Österreich bringen soll. (völ, red, 13.10.2018)