Sie sind gekommen, um zu retten. Sie befreien das Land vom rot-schwarzen Proporz, bewahren es vor dem wirtschaftlichen Niedergang, ringen profitgierige Großkonzerne nieder, halten Zuwanderung auf. Hinter sich scharen sie eine treue Gefolgschaft, eine Bewegung. Alles wird neu, alles ist auf die erlösende Figur fokussiert. Die Erwartungshaltung ist groß, sowohl in der eigenen Gefolgschaft wie auch in der Bevölkerung. Die Sehnsucht nach Neuem ist groß – wenn sich nur nicht allzu viel ändert.

Die Erwartungen und Ankündigungen bergen bereits die Gefahr des Scheiterns in sich: je höher der Flug, umso größer die Fallhöhe. Wie schnell aus einem Hoffnungsträger ein Buhmann werden kann, zeigt sich am Beispiel von Ex-SPÖ-Chef Christian Kern, der nach seinem Rückzug auf Raten gerade in seiner eigenen Partei nicht die beste Nachrede hat. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) dagegen hat mit dem Messias-Image die Nationalratswahl gewonnen – und hält seine Beliebtheitswerte bisher aufrecht. Dass ein Politiker noch nach seinem Tod von Anhängern regelrecht angebetet wird, machen die Feierlichkeiten rund um den zehnten Todestag von Jörg Haider deutlich.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat mit dem Messias-Image die Nationalratswahl gewonnen.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Der Lobbyist Karl Krammer, der auch Ex-Kanzler Franz Vranitzky (SPÖ) beraten hat, sieht in der Personalisierung ein Erfolgsrezept – mit Tücken. Die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle hält die Zuspitzung auf eine Person für problematisch, denn "demokratische Parteien sollten Gesinnungsgemeinschaften sein, bei denen gemeinsame Werte im Vordergrund stehen". Zu oft seien sie ein Wahlverein für eine Person.

Die "Sehnsucht nach einer Veränderung hin zum Positiven" sei tief in den Menschen verankert, erklärt der Wiener Psychologe und Philosoph Gerhard Burda den Erfolg. Manche würden an den Erwartungen zerbrechen, andere gingen in der Rolle auf – zumindest vorläufig. Denn "die Rolle des Befreiers ist ein Ideal, aber ein sterbliches Wesen ist begrenzt", sagt Burda. Auch für Krammer birgt es Gefahren, alles auf eine Person zu setzen: "Beim kleinsten Fehler bricht alles zusammen."

Sebastian Kurz: Der Amtierende

Immer wieder wurde er gefragt, lange hat er sich geziert: Sebastian Kurz, ÖVP-Chef? Schon der Aufstieg zum Staatssekretär war rasant für den damals 24-Jährigen, das Wort "Wunderkind" ist gefallen. Aber gleich die Partei übernehmen? Irgendwann, aber da müsse noch einiges passieren, erklärte Kurz damals immer wieder. Sein Aufstieg zum Parteichef schien allerdings unaufhaltsam, wenig später wurde er Kanzler, als sei das die logische Folge. Dabei habe Kurz innerparteilich demokratische Verfahren zurückgedrängt, kritisiert die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle.

Sebastian Kurz wurde schon früh als "Wunderkind" gelobt.
Foto: Christian Fischer

Die Partei liegt Kurz nach wie vor zu Füßen. Auch in der Bevölkerung hat der Kanzler ein Jahr nach dem Wahlsieg – auch erreicht durch das propagierte Wunder der Balkanroutenschließung – nicht an Strahlkraft eingebüßt. In aktuellen Umfragen hat die ÖVP zuletzt noch zugelegt.

"Vermeidekanzler", aber nicht auf ewig

Für Politikberater Karl Krammer war Kurz' Emporkommen "ein Lehrbeispiel dafür, wie man sich handwerklich und politisch vorbereitet, um den Eindruck zu erwecken: Jetzt kommt etwas Neues." Dass der Kanzler nach wie vor beliebt ist, liege daran, dass er Streit und Positionierungen vermeide, wo es Widerstand geben könnte – und "den Widerspruch mit der FPÖ jetzt noch aussitzt". Er sei kein Schweige-, aber ein "Vermeidekanzler". Krammer warnt, dass Kurz Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) nicht endlos ermahnen könne, ohne Glaubwürdigkeit einzubüßen.

"Der Messias hat etwas Erhabenes, zugleich aber auch etwas Verfluchtes", sagt der Psychologe Burda über Kurz. So sehr Kurz auf der einen Seite verehrt wird, so groß ist die Ablehnung auf der anderen Seite. "Von einer Erlösergestalt erwartet man sich, dass sie den äußeren Konflikt zwischen Gut und Böse im Inneren schon gelöst hat."

Christian Kern: Der Gefallene

Der neue Kanzler las seiner Bundesregierung erst einmal die Leviten: "Wenn wir dieses Schauspiel weiter liefern, ein Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit, dann haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall", prophezeite Christian Kern nach seiner Kür zum SPÖ-Chef und Bundeskanzler. Der Manager übernahm im Mai 2016 eine zerrüttete Partei – welche flugs von einer stürmischen Euphorie ergriffen wurde. Nach dem faden Werner Faymann war Kern der Hoffnungsträger, der die Massen begeistern konnte. Zweieinhalb Jahre später, nach einer verlorenen Wahl und jeder Menge interner Querelen, kehrt er der Politik frustriert den Rücken.

Enttäuschte Erwartungen, inneres Gleichgewicht

"Christian Kern erlitt das typische Schicksal eines Quereinsteigers", analysiert Stainer-Hämmerle und zählt auf: "Ein Quereinsteiger, ein neues Gesicht, frische Hoffnung. Letztlich ist er an der eigenen Partei gescheitert. Ein klassischer Managementfehler." Denn Kern sei zwar "sehr viel Bundeskanzler, aber wenig Parteichef" gewesen. Er hätte ja delegieren können, an einen "Geschäftsführer, der den Laden aufräumt". Falsche Personalentscheidungen hätten sich gerächt. Dazu kam das Fiasko des Rücktritts, ein Kommunikationsversagen, das ihn viel Glaubwürdigkeit gekostet habe – erst dementierte er entsprechende Gerüchte. Der Basis sei der ehemalige Vorstand zudem eher als "Nadelstreifsozialist" erschienen, meint Stainer-Hämmerle.

Christian Kern war als Quereinsteiger die neue Hoffnung der SPÖ.
Foto: Christian Fischer

Das ist für den einst gefeierten Kern auch persönlich schmerzhaft, glaubt Psychologe Gerhard Burda. Die Kränkung ist offensichtlich. "Zum Schluss wollte Kern sein inneres Gleichgewicht wieder herstellen", sagt Burda. "Sein innenpolitisches Scheitern hätte er in Brüssel ausgleichen können." Aber auch daraus wurde nichts.

Jörg Haider: Der Wiederauferstandene

Die Sonne sei vom Himmel gefallen, als Jörg Haider vor zehn Jahren starb: So erklärte sein Nachfolger Gerhard Dörfler die Auswirkungen vom Tod des Landeshauptmanns. Tatsächlich wurde Haider schon zu Lebzeiten von großen Teilen der Kärntner Bevölkerung verehrt. Der regelrechte Totenkult nach dem 11. Oktober 2008 verdeutlichte die Anziehungskraft des Rechtspopulisten noch: weinende Landsleute, spontane Trauerversammlungen an der Unfallstelle, nicht zuletzt Verschwörungstheorien rund um Haiders Unfall.

Jörg Haiders Erbe wirkt bis heute.
Foto: Christian Fischer

Zehn Jahre später reicht die Verklärung noch weiter: Das "politische Ausnahmetalent" Haider steht im Mittelpunkt. Heinz-Christian Strache, heute Vizekanzler und FPÖ-Chef, warf dem abtrünnigen Haider einst Verrat an den Freiheitlichen vor – diese Woche ließ er sich die Jörg-Haider-Medaille für "Verdienste um die politische Erneuerung" überreichen und würdigte den einstigen Feind für sein Wirken.

Visionär im Positiven und Negativen

Woher kam das Faszinierende an Jörg Haider? "Er brachte einen neuen Stil in die Politik, war jugendlich und frech", sagt Kathrin Stainer-Hämmerle und erinnert an die "Taferln" in Fernsehdiskussionen, wie er ÖVP und SPÖ vor sich hertrieb. "Haider hat dem lange vernachlässigten Kärnten Selbstbewusstsein gegeben", sagt die in Villach lehrende Politikwissenschafterin, "er war ein Visionär im positiven und negativen Sinn."

Die Wähler band er mit feudalen Geldverteilaktionen an sich, "bis zu billigerem Benzin an Landestankstellen". Mit Prestigebauten wie dem Wörthersee-Stadion setzte er sich ein Denkmal. Für ein Kunstprojekt sollen auf dessen Fußballrasen 200 Bäume gepflanzt werden. Würde Jörg Haider noch leben, hätte er womöglich den ersten Baum gepflanzt – unter dem Applaus seiner Anhänger. (Aaron Brüstle, Sebastian Fellner, 13.10.2018)