Cécile Auer und Judith Pühringer haben sich im Rahmen von "Österreich spricht" getroffen.

Foto: Judith Pühringer

Schon die zwei kurzen ersten Mails, die ich mit Cécile austausche, gefallen mir: Cécile schreibt klar, ohne Schnörkel, extrem aufmerksam und ist genau. In der Wahl ihrer Worte, in ihren klaren Vorschlägen, wo wir einander treffen könnten. Und sie hat einen feinen Humor – spürbar gleich zwischen den Zeilen: der Sellerie also – diese gemeinsame Abneigung ist unsere Verbindung.

Ich führe viele Gespräche in meinem Leben, mein ganzes berufliches Leben ist eigentlich Kommunikation. Prinzipiell mag ich Menschen, ich bin eine Menschenfreundin. Jemanden zu treffen, mit dem ich die meisten grundlegenden Weltanschauungen nicht teile, ist mir trotzdem nicht ganz vertraut. Die Aussicht auf unser Gespräch macht mich nicht nervös, ist mir aber nicht egal.

Das Café hat Cécile vorgeschlagen: Café Frauenhuber, ich bin da zum ersten Mal. Ich bin zu früh, suche einen passenden Tisch – genügend Platz, nicht zu nah, nicht zu exponiert, nicht zu klein, nicht zu groß, und ich bin mir trotzdem irgendwie sicher, dass Cécile ohnehin bereits den perfekten Tisch reserviert hat.

Sie ist rund fünfzehn Jahre älter als ich, man sieht ihr das nicht an, sie hat blitzende dunkle Augen, einen modernen Kurzhaarschnitt, eine warme, dunkle Stimme wie eine Radiomoderatorin und eine kleine Lücke zwischen den Vorderzähnen, die es mir leicht macht, sie mir als Zwanzigjährige vorzustellen. Ich mag diese Frau in der Sekunde. Natürlich hat sie vorab einen Tisch reserviert gehabt, sie bestellt ihn höflich ab, der Kellner knurrt, wir lachen beide.

Spannende Voraussetzungen für ein Gespräch kündigte Judith Pühringer auf Twitter an.

Zwei Stunden Gesprächszeit vereinbaren wir

In der ersten Stunde geht es um Arbeitsmarktpolitik. Zufall oder nicht, sie kennt das Feld gut, hat selber lange da gearbeitet. Ihre Analyse ist hart, richtig und vor allem auf solider Basis: ihrer eigenen Erfahrung. Wir diskutieren breit, auch tagespolitisch, entlang der letzten getroffenen und abgeschafften Maßnahmen: Aktion 20.000, Kürzungen bei den sozialen Unternehmen, die Rolle der Privatwirtschaft, die Situation von Langzeitarbeitslosen, die Situation von Jugendlichen. Nein, sie findet nicht, dass der Staat Jobs schaffen sollte. Bei der Aktion 20.000 ist sie sich aber unsicher. Wir finden die Mitte schnell, unsere Standpunkte sind unterschiedlich, aber Brücken in der Sekunde geschlagen. Es gibt kaum ein Thema in diesem Bereich, zu dem Cécile keine fundierte Meinung hat. Fundiert – aber nicht erstarrt. Sie ist schlagfertig, witzig, eloquent und hat einen warmen, einnehmenden und lauten Lacher. "Ich gender nicht, das ist mir zu deppert", sagt sie, und irgendwie mag ich sie deshalb kein bisschen weniger.

Plötzlich fragt sie mich ganz direkt: Wo siehst du deine Organisation in den nächsten fünf Jahren, wo siehst du dich selbst? Da ist sie, der professionelle Jobcoach, die Lebens- und Sozialberaterin, der ich mich in der Sekunde anvertrauen würde. Da ist sie, die Grün-Wählerin von damals, die in Hainburg war und in Zwentendorf. Da könnten wir jetzt abbiegen und privat werden, weg von den schweren Themen, das wäre jetzt sehr leicht.

Ein großes Thema wartet noch

Tun wir nicht. Wir biegen nicht ab ins Angenehme. Da wartet noch ein großes Thema auf uns: der Islam. Die Grenzen. Die Geflüchteten. Sie fängt zu erzählen an, vom Gemeindebau in Hietzing, wo sie mit ihrem Sohn gelebt hat. Wo nach und nach Menschen aus anderen "Kulturkreisen" dazugezogen sind. Wo gleichzeitig die Hausbesorger weggezogen sind, weil sie abgeschafft wurden. Das tagtägliche Erleben, was sich einen Stock drunter abgespielt hat an Gewalt. Die Töchter der Familie, mit denen sie gelernt hat und die irgendwann verschleiert vor ihr gestanden sind. "Ich hab' eh immer ein Herz gehabt für die, die ganz am Rande stehen, aber irgendwann kippt das, irgendwann ist es zu viel." Am allermeisten leidgetan haben ihr die alten Menschen im Gemeindebau, die das überhaupt nicht mehr verstanden haben, was passiert.

"Irgendwas ist gekippt", das sagt Cécile öfter, "irgendwas ist nicht mehr in Balance." Es gibt Kulturen, die zu Europa passen, meint sie – Japaner, Südamerikaner, da könnten wir Hunderttausende aufnehmen, aber der Islam ist ja keine Religion, er ist eine Gesellschaftsordnung. Eine Ordnung, die Frauenrechte und Rechte von Schwulen und Lesben missachtet. "Was ist der Gewinn für Europa, wenn wir diese Menschen hereinlassen?"

Andere Erfahrungen im Leben

Meine Antwortversuche sind die Menschenrechte, Geschichten von geflüchteten Menschen, die ich kennengelernt habe, die mein Leben bereichern, die das Land bereichern, die arbeiten wollen, sich integrieren wollen, hier leben wollen. Ich versuche zu antworten und die Versäumnisse der Vergangenheit anzuerkennen: das Nichthinschauen, dass sich viele Menschen allein gelassen gefühlt haben mit vielen Emotionen und Unsicherheiten. Dass die Politik sich dieser Emotionen bedient und Ressentiments bewusst schürt. Dass nicht die Geschichten erzählt werden, die gelingen, sondern die anderen. Ich versuche zu argumentieren, dass es um soziale Sicherheit geht, nicht um eine scheinbare Sicherheit durch geschlossene Grenzen. Ich rede von Gerechtigkeit, Steuergerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, vom guten Leben für alle. Ich rede mich um Kopf und Kragen. Cécile hört mir zu. Sie legt den Kopf schief.

Cécile schaut mich an und sagt: "Du erinnerst mich an mich selbst früher. Ich habe aber andere Erfahrungen gemacht in meinem Leben." In ihrem Bild des heutigen Österreich müssen die Grenzen geschlossen bleiben, damit das Land wieder zu Stabilität und Balance findet.

Einmal kann ich ihre Wut spüren und auch ihre Schärfe: Ich wollte sagen, dass sich die Politik dumpfer Ängste bedient. Cécile weist die Kombination aus Angst und Dumpfheit hart zurück – es sind reale Ängste, die ich kleinrede, wenn ich von Dumpfheit spreche. Ich entschuldige mich und versuche es anders zu formulieren. Aber da war sie: die große Verletzlichkeit und Wut bei diesem Thema, der unsichtbare schmale Grat, auf dem wir uns in Wirklichkeit die ganze Zeit bewegen.

Am Ende sagt sie: "Du glaubst daran, dass wir die Herausforderung mit den Migranten und Geflüchteten schaffen. Ich glaube nicht daran. So können wir es zusammenfassen."

Irgendwas hat mich traurig gemacht

Das Gespräch mit Cécile hat mich extrem beeindruckt. Wir verabschieden uns, und ich würde sie gerne wiedersehen. Es fühlt sich fast ein bisschen an wie nach einem ersten gelungenen Date, wo man sich am besten sehr bald wieder was ausmachen will. Ich stolpere seltsam berührt aus dem Café Frauenhuber auf die Straße. Irgendwas hat mich auch unglaublich traurig gemacht an diesem Gespräch. Wahrscheinlich die Erkenntnis, wie viele Menschen wir verloren haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Glauben daran, dass sich dieses gute Leben für uns alle ausgeht. Menschen, die durch ihre Erfahrungen im Leben so ganz andere Schlüsse als ich selbst ziehen. Die mir in vielem so nah, ähnlich und so sympathisch sind. Die trotzdem ganz anders entscheiden, vor allem in der Wahlzelle.

Aber wahrscheinlich liegt ein erster Schritt für Veränderung genau hier: dass Menschen das Gefühl haben, dass ihre Erfahrungen ernst genommen werden. Dass die kleinen Geschichten gehört werden. Dass nachgefragt wird. Dass gemeinsam Lösungen gesucht werden. Dass es insgesamt viel mehr Gespräche gibt zwischen denen, die "keine Übereinstimmungen haben", dass es mehr Zuhörerinnen und Zuhörer braucht, mehr Zeit für wirklich wertschätzendes Gespräch. Danke, Cécile. (Judith Pühringer, 15.10.2018)