Sigi Maurer am Montag: "Weit über tausend Menschen haben mir geschrieben, dass sie solidarisch sind und mich unterstützen wollen – ich möchte dieses großzügige Angebot annehmen."

Foto: Matthias Cremer

Wien – Die schlechte Nachricht lautet: Keine zwei Stunden nach dem erstinstanzlichen Urteil am Wiener Straflandesgericht wegen übler Nachrede erhielt Sigi Maurer vergangenen Dienstag über die digitalen Netzwerke die nächsten Hassbotschaften. "Zu Weinachten gibt es Seil für dich und deines gleichen", lautete nur eine davon (sic!) – und auch gegen "diese aktuellen Morddrohungen oder Selbstmordempfehlungen" lässt sich ohne hohe Prozessrisiken kaum etwas ausrichten, wie die grüne Ex-Abgeordnete am Montagvormittag erklärte.

Tausendfacher Zuspruch

Die gute Nachricht ist jedoch: Im Vergleich zu anderen öffentlichen Auftritten bekommt die frühere Politikerin derzeit weniger derartige Nachrichten als sonst, stattdessen gibt es für sie seit dem umstrittenen Richterspruch tausendfachen Zuspruch und Spendenbereitschaftsbekundungen.

Eigentlich glaubte Sigi Maurer bis vor kurzem, ohne jeglichen Spendenaufruf zurechtzukommen – bis sie letzte Woche zu ihrer "Überraschung und Empörung" zur Zahlung einer Geldstrafe in der Höhe von 3000 Euro an den Staat und einer Entschädigung in der Höhe von 4000 Euro an jenen Bierhändler verdonnert wurde, dessen Identität sie via Facebook und Twitter geoutet hat. Außerdem droht ihr die Übernahme sämtlicher Prozesskosten.

Hintergrund: Ende Mai hatte Maurer von Geschäftsaccount des Mannes im achten Wiener Bezirk zwei äußerst obszöne Privatnachrichten erhalten. Im Prozess versicherte der 40-Jährige, die Botschaften nicht abgesetzt zu haben. Maurers Anwältin Maria Windhager legte umgehend Berufung gegen das Urteil ein – im Notfall will Maurer nicht nur wegen ihrer eigenen Causa, sondern im Sinne vieler Betroffener bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen, wie sie sagte. In der nächsten Instanz soll der umstrittene Fall aber zunächst vom Wiener Oberlandesgericht verhandelt werden.

Prozesse gegen Exzesse

Und auch der Anwalt des Bierhändlers, Adrian Hollaender, hat Berufung eingelegt – um für seinen Mandanten eine höhere Entschädigungszahlung für die erlittene Kränkung zu erwirken, wie er erklärte. Dazu erwäge man auch noch andere rechtliche Schritte gegen Maurer einzuleiten.

Angesichts der drohenden Prozesslawine und des stetig steigenden Frauenhasses im Netz haben Maurer und der Verein Zara, der im Namen von Betroffenen seit Jahren gegen Diskriminierungen aller Art ankämpft, zu Wochenbeginn ein Crowdfunding ins Leben gerufen, um nun einerseits Maurers Prozesskosten abzumildern, andererseits anderen belästigten, beschimpften, bedrohten Menschen Klagen zu ermöglichen und weitere Präzedenzfälle zu schaffen.

Wie berichtet, scheute Maurer selbst vor diesem Schritt zurück – und auch bei Zara gilt ihr spezieller Fall als besonders vertrackt, denn: Für eine Klage wegen sexueller Belästigung fehlte ein tatsächlicher körperlicher Übergriff. Für eine Klage wegen Ehrenbeleidigung fehlte es an Öffentlichkeit, ein solches Vergehen hätte vor mindestens zwei weiteren Personen stattfinden müssen. Für eine Klage auf Unterlassung oder wegen Cyberstalkings oder Cybermobbings reichen zweimalig geäußerte Obszönitäten nicht aus. Die beiden letztgenannten Tatbestände erfordern außerdem ebenfalls eine gewisse Öffentlichkeit.

Geld, Zeit, Nerven gefragt

Wie bereits einzelne Regierungsmitglieder der ÖVP konstatiert haben, moniert auch Zara, dass angesichts derartiger Privatnachrichten eine Gesetzeslücke bestehe. Caroline Kerschbaumer, Mitarbeiterin des Vereins, erklärt: "Wir fordern einen gesetzlichen Schutz der menschlichen Würde." Denn zivilrechtliche Klagen gegen Belästiger kosten viel Geld, Zeit und Nerven – und seien deswegen für Betroffene oft keine Option.

Konkret soll mit der Spendenaktion ein "Rechtshilfefonds" gegen Hass im Netz geschaffen werden – und zwar über die Transparenzplattform Respekt.net. Ziel ist es, 100.000 Euro zu sammeln, die eine Hälfte soll Maurers Prozesskosten abdecken, die andere Hälfte soll von Zara für andere derartige Fälle aufgewendet werden. Kerschbaumer: "Da ist man schnell im fünfstelligen Bereich."

Am Montagnachmittag, kurz nach 15:00 Uhr, betrug der Spendenstand bereits mehr als 20.000 Euro. (Nina Weißensteiner, 15.10.2018)