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Pro: Es geht um Glaubwürdigkeit

von Eric Frey

Zwei Vorwürfe werden Kanzler Sebastian Kurz regelmäßig zu seinen Aussagen über die Migration gemacht, wie zuletzt zur Rolle der Rettungsschiffe im Mittelmeer. Die einen unterstellen ihm eine falsche Darstellung der Probleme. Die anderen sagen, dass er nicht ganz unrecht hat, kritisieren aber seine Diktion. So herz- und mitleidslos dürfe man nicht reden, wenn Menschen vor Verfolgung fliehen und im Meer zu ertrinken drohen.

Tatsächlich ist Kurz' Sprache sachlich, nüchtern und meist empathiefrei. Aber eines muss man ihm dabei zugutehalten: Er weicht auch harten Journalistenfragen nicht aus, spricht verständlich über komplexe Zusammenhänge und verwendet keine Stehsätze, sondern Argumente.

Das sind Wähler nicht gewohnt, das schätzen sie. Ohne dieses Talent wäre Kurz nicht Kanzler geworden. Menschen wollen Klartext von ihren Politikern und nicht Umschreibungen, die keinem wehtun. Werner Faymann hat sein Bemühen, den Zaun am Grenzübergang Spielfeld, dem die SPÖ im Herbst 2015 zugestimmt hat, als "Türl mit Seitenteilen" zu verkaufen, wahrscheinlich die Kanzlerschaft gekostet. Die Leute wittern hinter solchen Worthülsen Unehrlichkeit, das macht sie zornig. Nur mit einer klaren Sprache kann die Politik glaubwürdig bleiben.

Zielführende Hilfe

Aber klingt es nicht menschenverachtend, wenn man bei einem Thema wie Migration hart formuliert? Grenzt man nicht Menschen damit aus? In manchen Fällen ja, aber die Alternative ist schlechter. Man kann Kurz' Kritik an den Rettungsschiffen ruhig als falsch bezeichnen. Vielleicht stimmt es nicht, dass ihre Tätigkeit das Geschäft der Schlepper fördert. Aber der oft gebrauchte Satz "Wir können ja die Menschen nicht ertrinken lassen" ist kein sachliches Argument für systematische Rettungsaktionen, sondern bloß ein emotionaler Appell. Kurz hält dem entgegen, dass die Rettung Einzelner dazu führt, dass sich immer weitere Migranten in seeuntüchtige Boote setzen und damit ihr Leben riskieren. Wenn das stimmt, muss man das auch sagen können.

Es ist die Aufgabe von Politikern, die Folgen von Entscheidungen zu bedenken und unangenehme Dinge auszusprechen. Bei anderen Themen tut Kurz das nicht, etwa beim Klimawandel, den man nicht nur mit positiven Anreizen bekämpfen kann. Aber bei der Migration ist seine kühle Sprache richtig. Sonst überlässt man das Feld den Hetzern von der AfD, der Lega oder der FPÖ, die ebenfalls mit Emotionen arbeiten – aber mit bösartigen. (Eric Frey, 16.10.2018)

Kontra: Sprache schafft Feindbilder

von Petra Stuiber

Man muss nicht gleich so weit gehen wie Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Dezember des Vorjahres. Der sagte damals im "Spiegel", Sebastian Kurz spreche "die Sprache Donald Trumps". Asselborn meinte die Art und Weise, wie Kurz über Flüchtlinge spricht. Das war eine harte Kritik am österreichischen Kanzler.

Seither ist ein Dreivierteljahr vergangen, und man konnte Kurz in dieser Zeit sehr oft etwas zum Thema Flüchtlinge sagen hören. Tatsächlich fällt dabei auf: Sebastian Kurz, der Wählerinnen und Wähler im Sturm erobert hat, weil er im persönlichen Umgang höflich, zugewandt und nett ist – derselbe Sebastian Kurz formuliert kühl, hart und unpersönlich, wenn es um das Thema Flüchtlinge geht.

Zuletzt tat er dies im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen", in dem er Ärzte ohne Grenzen vorwarf, diese hätten "nicht nur das Ziel, Leben zu retten, sondern gemeinsam mit den Schleppern Menschen nach Mitteleuropa zu bringen". Schon als Außenminister hatte Kurz einmal gesagt, der "NGO-Wahnsinn" müsse "ein Ende haben".

Deutungsschema

Kommunikationswissenschafter sprechen von Framing (Einrahmen), wenn Aussagen zu komplexen Themen immer so getätigt werden, dass sie in ein bestimmtes Deutungsschema passen. Etwa wenn Islam und Terrorismus so lange gleichgesetzt werden, bis sie scheinbar zusammengehören – genauso wie beispielsweise NGO und Schlepper. Kurz stellt zivile Retter in einen negativen Zusammenhang und platziert derweil geschickt seine eigene Botschaft: Grenzen schließen.

Kurz habe eine klare Sprache. Er rede nicht herum, sondern sage, was sich die meisten Leute denken. So argumentieren Fans und Berater des Kanzlers. Da ist etwas dran. Kurz hat in der Flüchtlingsfrage klare Ansichten – und er sendet stark vereinfachende Botschaften. Mit ihnen schafft er Feindbilder und macht die Arbeit jener madig, die Menschenleben retten. Seine Sprache befördert die Spaltung der Gesellschaft in jene, die Kurz und der FPÖ beipflichten, und jene, die glauben, Europas größte Leistung sei der Triumph der Humanität über die Unmenschlichkeit.

Kurz könnte seine Haltung auch anders kommunizieren. Er könnte das moralische Dilemma ansprechen und auf die Problematik hinweisen, die Seenotrettungen in sich bergen. Aber dann, zum Beispiel, dieser Satz: "Ich schätze die Arbeit ziviler Seenotretter ausdrücklich, sie haben unglaublich vielen Menschen das Leben gerettet."

Angela Merkel hat das vor zwei Monaten genau so gesagt. (Petra Stuiber, 16.10.2018)