Graz – Sie könnten auf der Bank gegenüber in der U-Bahn sitzen, in der Reihe vor der Kassa im Supermarkt stehen oder als Pädagogin im Kindergarten arbeiten. Sie leben unter uns und doch in einer Parallelwelt. Ähnlich den "Flat Earthern", die die Kugelform der Erde bloß für eine Verschwörungstheorie halten.

Nun mögen jene 14 wegen Hochverrats (Strafrahmen bis zu 20 Jahre Haft) und schweren Betrugs angeklagten "Staatenbund"-Mitglieder, die seit Montag im Grazer Straflandesgericht sitzen, vielleicht anerkennen, dass die Erde rund ist. Das ist aber im Grunde, wie der 400-seitigen Anklageschrift zu entnehmen ist, auch schon so ziemlich alles.

2700 Anhänger

Der Staat Österreich, die Gesetze, die Exekutive, die Kfz-Haftpflichtversicherung besitzen für sie keine Relevanz. Sie haben sich ihren eigenen "Staat" gegründet, den sie laut Staatsanwaltschaft über einen Umsturz samt Verhaftung von Bundes- und Landesregierungen etablieren wollten.

Der Staatsanwalt schätzt die Gruppe, die sich als Opfer dunkler Mächte sieht, in seinem Eingangsstatement zum Prozessauftakt auf 2.700 Anhänger. Daneben existierten noch andere "Staatsverweigerer"-Gruppierungen, deren führende Mitglieder in den letzten Wochen verhaftet wurden. Die nun aktuell vor Gericht sitzenden Angeklagten – eine Clique aus Pensionisten, Notstandsbeziehern, einer Kindergärtnerin, einer Energetikerin, einem Diplomingenieur und einem Ex-Polizisten – versuchen gleich zu Beginn das Zepter der Verhandlung in die Hand zu nehmen.

Laute Proteste im Gericht

"Wer sind Sie eigentlich", schnauzt der Angeklagte mit dem langen Spitzbart, ein deutscher Staatsbürger, die Richterin an. "Zeigen Sie mir die Anklageschrift", blafft die in engem altrosa Wollsweater erschienene Chefin der Truppe, die "Präsidentin", zum Richtertisch.

Der hagere Pensionist, der Ex-Bulle neben ihr, macht sich Notizen. Er schreibt sich die Namen der Geschworenen auf. Der Sitznachbar schüttelt pausenlos den Kopf über die Aussagen des Staatsanwaltes: "Nehmen sie Abstand von ihren Äußerungen."Die Richterin lässt sich nicht beirren.

Sie kommen aus den Parallelwelten aus ganz Österreich. Sie fühlen sich, erläutert der Staatsanwalt, als die eigentlichen, "die lebenden Menschen". Alle anderen sind bloß "Personen nach dem Handelsrecht". Die Präsidentin mit ihrem streng am Hinterkopf festgezurrten Zopf, hat laut Staatsanwaltschaft die Sache in Österreich hochgezogen. Sie und ihre "Landespräsidenten" sollen – und das ist der Hauptvorwurf – Angehörige des Bundesheeres angehalten haben, die Bundes- und Landespolitiker zu verhaften.

Eigene "Haftbefehle"

Acht der 14 Angeklagten wird jedenfalls konkret vorgeworfen, sie hätten wiederholt Offiziere des Bundesheers dazu verleiten wollen, Regierungsmitglieder anhand eigener "Haftbefehle" festzunehmen. Danach sollten sie eine militärische Übergangsregierung bilden. Da sich das Bundesheer aber wenig kooperativ zeigte, schrieb die "Präsidentin" an ihren Quasi-"Amtkollegen", Russlands Präsidenten Wladimir Putin, ein Hilfsansuchen. Sie werde hier nicht ernst genommen, er möge bitte einmarschieren und ihr dann die Macht übergeben, zitierte der Staatsanwalt aus seinen Erhebungen, der immer wieder Parallelen zu den Jihadisten zieht.

"Sie sind gefährlich"

Auch diese wollten einen eigenen Staat mit eigenem Gesetz, der Scharia, errichten. "Das kann der Staat nicht dulden", sagt der Staatsanwalt. Er bezeichnet die hauptangeklagte "Präsidentin" denn auch als "eine der führenden Hasspredigerinnen Österreichs. Sie schürt Angst und Hass auf den Staat". Der Verteidiger der "Präsidentin" versucht die Sache herunterzuspielen: Von Staatsstreich keine Spur, diese Menschen hätten nur "ein etwas verqueres Gedankengut".

Der Staatsanwalt aber hatte zuvor gewarnt: "Es klingt alles witzig und absurd. Ist es aber nicht. Sie sind wirklich gefährlich." Am Dienstag wird fortgesetzt. (Walter Müller, 15.10.2018)