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Die "Sondergesandte für den österreichischen EU-Ratsvorsitz", so der sperrige Titel, und Geschäftsträgerin der österreichischen Botschaft in Bagdad Anfang März 2006 bei Präsident Jalal Talabani.

Foto: AP Photo/Ali Abbas,Pool)

Im richtigen Moment abgedrückt: Die Straße vom Flughafen Bagdad in die Stadt war zu gefährlich, deshalb reiste man per Hubschrauber zum Dienstort. Hier schießt unser Puma Leuchtkugeln ab, nachdem uns feindliches Radar erfasst hat.

Foto: Gudrun Harrer

Zweimal Gudrun Harrer: Im November 2005 saß die Auslandsressortchefin des STANDARD in Wien dem irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani beim Interview gegenüber. Nur Wochen später suchte ihn die österreichische Sondergesandte für den Irak und Geschäftsträgerin der österreichischen Botschaft in Bagdad auf, zum Antrittsbesuch. Davor: Ernennung im Ministerrat, Schnellsiederkurs ("Wie schreibe ich eine Verbalnote" etc.), die Übergabe der Stempel der Republik, Grundausbildung in Sicherheit und Erster Hilfe ("Wie versorgt man einen Bauch-, wie einen Herzschuss") – und die Beruhigung im Hinterkopf, dass ein Freund damals Botschafter in Kuwait war, den ich jederzeit anrufen konnte, um die ganz dummen Fragen zu stellen.

Denn – jetzt kann man es ja schreiben – der mir zugeteilte Botschaftsrat, formell meine Nummer zwei, kam ebenfalls nicht aus dem Außenamt, sondern aus dem Verteidigungsministerium. Ein Vollprofi, aber nicht, was Botschaftsarbeit betrifft.

Gemeinsam waren wir die "ÖB Bagdad", die erste österreichische diplomatische Vertretung seit dem Überfall Saddam Husseins auf Kuwait 1990, als die meisten Staaten ihre Diplomaten abzogen. 2003 hatten die USA gemeinsam mit ihren Alliierten – darunter auch EU-Länder, während andere heftig dagegen waren – den irakischen Diktator gestürzt. Im Dezember 2005 wurde das erste Mal unter der neuen irakischen Verfassung gewählt: Die Hoffnung bestand, dass eine "richtige" irakische Regierung zur Beruhigung der sich verschlechternden Sicherheitslage führen würde.

Zeit für einen Neuanfang. Auch ein Zeichen der Normalisierung innerhalb der über der Irak-Frage zerstrittenen EU sollte es sein, dass Österreich während seines Ratsvorsitzes im ersten Halbjahr 2006 seine Aufgaben in Bagdad wahrnahm.

Anfrage per Mail

Die Mail mit der Anfrage, ob ich mir vorstellen könne, fürs Außenministerium als Diplomatin nach Bagdad zu gehen, kam völlig unerwartet, eines Spätnachmittags im November. Entgegen danach im Außenministerium kursierenden Gerüchten war ich eben nicht eng mit Ministerin Ursula Plassnik befreundet, wir kannten uns kaum. Sie hatte allerdings in Vorbereitung der Präsidentschaft Nahostexperten von außerhalb des Hauses zum Brainstorming, welche Themen in der Mena-Region (Middle East North Africa) denn 2006 brisant werden könnten, eingeladen, da war ich dabei.

Und mit dem Irak befasste ich mich auch akademisch: Ich schrieb eine Doktorarbeit über das irakische Atomwaffenprogramm. Das Land, über das man journalistisch und wissenschaftlich arbeitetet, auch noch diplomatisch zu beackern: Wer bekommt schon eine solche Chance? Ich sagte nach kurzer Überlegung zu.

Dass man im STANDARD nicht gerade erfreut war, dass die Außenpolitikchefin unmittelbar vor der EU-Ratspräsidentschaft abspringt, ergibt sich von selbst. Der Außenministerin schulde ich Dank für ihr Vertrauen in ein diplomatisches Greenhorn – dem STANDARD für sein Verständnis für eine treulose Journalistin.

Also ab in den Irak, nach Leistung einer Unterschrift die Verschwiegenheitspflicht betreffend und Erlangen einer Nato-Clearance. Anreise von Kuwait mit einer britischen DC-10 nach Bagdad, das letzte Stück mit einem US-Blackhawk. Die Aufnahme bei den dort akkreditierten EU-Botschaftern war freundlich bis skeptisch. An einem Ort wie Bagdad kam mir immerhin entgegen, dass nichts "normal" war. Ich war nicht die einzige frischgekürte Diplomatin: Der klassische Fall des Quereinsteigers war jedoch Mann und Exgeneral, bei jenen Ländern, die Truppen im Irak hatten.

Berichte schreiben

Eines beherrschte ich auf alle Fälle, nämlich die Kunst, Berichte zu schreiben: Der inzwischen verstorbene Generalsekretär des Außenministeriums, Hans Kyrle, lobte sie als exemplarisch. Das Publikum ist ein anderes, die Intention des Schreibens jedoch nicht viel anders als im Journalismus: Information und Analyse. Neu war indes, dass oft auch die Frage "Und was machen wir jetzt?" zu beantworten war. Journalisten glauben das ja immer ganz genau zu wissen. Ich gehöre nicht mehr dazu.

Es gibt eine Konstellation, in der diplomatische und journalistische Interessen aneinandergeraten – und just mit einer solchen hatte ich sofort zu tun. Kurz vor meinem Eintreffen in Bagdad war in Irakisch-Kurdistan ein kurdischstämmiger Österreicher verhaftet worden: Er hatte Kurdenpräsident Massud Barzani wüst beschimpft und wurde in der Folge nicht nur wegen Beleidigung, sondern auch nach einen Staatssicherheitsparagrafen verurteilt: dreißig Jahre Haft.

Ein "Konsularfall"

Meine Aufgabe war, ihn herauszuhauen. Die Bitte um Hilfe in unserem "Konsularfall" begleitete mich bei all meinen offiziellen Besuchen, auch in der US-Botschaft. Schon bei meinem Antrittsbesuch sagte mir Präsident Barzani – ein alter Wien-Freund – zu, uns entgegenzukommen, nannte aber eine Bedingung: kein medialer Druck. Als unmittelbar danach in der "Washington Post" ein tadellos recherchierter Artikel zu dem Fall erschien, war klar, dass die Chance auf ganz schnelle Erledigung erst einmal vom Tisch war. Es gab noch andere "Unfälle" im Verlauf, aber um eine lange und komplizierte Geschichte abzukürzen: Anfang April kam unser Staatsbürger frei, ohne Medien wäre es vielleicht schneller gegangen.

Im Umgang mit Journalisten war für mich erstaunlich – und etwas erschreckend -, wie schnell ich mir den Automatismus der diplomatischen Antwort zulegte. Man kann es auch Lügen nennen. Aber wie es anders gehen sollte, weiß ich auch nicht.

Ein Beispiel: Anfang Juni 2006 wurde der Anführer der Al-Kaida im Irak, Mussab al-Zarqawi, bei einem US-irakischen Einsatz getötet. Der Irak befand sich mitten im Bürgerkrieg. Die Einschätzung so gut wie aller Diplomaten in Bagdad, auch meine, war, dass Zarqawis Wegfall erst einmal an der Sicherheitslage nichts ändern würde. Das Problem war ja längst nicht mehr nur Al-Kaida.

In einem Kommentar hätte ich genau das geschrieben. In einem Interview – ich glaube, es war in der "ZiB 2" – sagte ich genau das Gegenteil. Denn kein im Irak oder anderswo stationierter Diplomat wird sich vor ein Mikrofon stellen und sagen: "Dieses Land geht soeben den Bach hinunter." Off the record war das natürlich anders, da gab ich ehrliche Antworten – wie ja viele andere Diplomaten auch, wenn sie vertraulich mit Journalisten reden.

Von einer weiteren, diesmal indirekten Unwahrheit habe ich zu berichten, diesmal traf es sogar meine STANDARD-Kollegen. Wir befanden uns unter britischer Security-Fuchtel und hatten die strikte Anweisung, unter keinen Umständen übers Handy über Sicherheitsdetails zu reden: Dazu gehörten auch die Steilfeuerangriffe auf unser Compound, die Ende Februar massiv einsetzten. Die Information "Gerade ist eine Rakete 50 Meter vor meiner Tür eingeschlagen" (was tatsächlich passiert ist) hätte für die Aufständischen eine nützliche Zielhilfe fürs nächste Mal sein können. Nun riefen die lieben Kollegen aus Wien – ich glaube, es war Markus Bernath – aber einmal genau an, als wir noch in den Gängen des (gebunkerten) Gebäudes auf Entwarnung warteten. Da saß ich mit meinen schlotternden Knien und machte Smalltalk. Kein Wort über das, was gerade los war. Alles super hier!

Die EU-Arbeit

Bagdad war eine Schule in vielerlei Disziplinen. Ich ging zwar als Irak-Spezialistin hin, der Hauptteil meiner Arbeit hatte jedoch mit Brüssel, mit der Koordinierung der EU-Botschafter, zu tun. Hätte ich das bedacht, wer weiß, ob ich mich getraut hätte. Aber ich biss mich durch.

Unter der österreichischen EU-Präsidentschaft wurde 2006 der erste HoMs-Bericht über den Irak geschrieben: "Jaja, machen wir", sagte ich völlig naiv, als der Auftrag aus Brüssel und Wien kam. Klingt einfach: Die im Irak stationierten EU-Missionschefs, Heads of Mission (HoMs), schreiben einen gemeinsamen Bericht über die Lage im Irak (plus Empfehlungen). Konkret hieß das jedoch, ein Wording für Sachverhalte zu finden, die die beteiligten Staaten diametral unterschiedlich einschätzen. Für Großbritannien musste es eine Erfolgsstory sein, für die Kriegsgegner Frankreich und Deutschland die Beschreibung eines Desasters.

Um einzelne Formulierungen wurde hart gefeilscht. Die energische EU-Vertreterin in Bagdad, eine spanische Diplomatin, war federführend: Der französische Botschafter nannte uns einmal – liebevoll – "duo infernal". Wir blieben dran. Der britische Botschafter wurde immer konsensbereiter, je schlechter die Lage im Land wurde.

Die Hilflosigkeit

Und das wurde sie. Zu den unauslöschlichen Eindrücken gehörte die allgemeine Hilflosigkeit – nicht zuletzt in der US-Botschaft – angesichts der sich anbahnenden Katastrophe des Bürgerkriegs. Auch das war eine wichtige Lektion. Sie hatten keinen Plan.

Meine diplomatische Matura fiel bereits in den vollen Krieg: ein Besuch einer Politische-Direktoren-Troika. Da hieß es für mich Klinkenputzen an allen möglichen irakischen Stellen, um Termine auf höchster Ebene – Präsident, Premier etc. – zu sichern. Für den Botschaftsrat war es eine sicherheitstechnische Herkulesaufgabe. Von unserem "PolDi", Thomas Mayr-Harting, sei hier verraten, dass er damals seiner Frau verschwieg, wohin er reiste.

Während des Besuchs fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, nach Ende der Mission im Außenministerium zu bleiben. Für mich ein schöner Moment: Es hätte ja sein können, dass man in Wien nicht erwarten kann, mich wieder loszuwerden. Mein Ringen dauerte nicht lange – aber ganz einfach war die Rückkehr nicht. Da war ein gewisses Fremdeln. Ich kam nie in Versuchung, ein Buch über meinen Einsatz in Bagdad zu schreiben: als ob die dort gesammelten Informationen und Eindrücke doch nicht ganz mir gehörten, zu meiner alleinigen Verfügung. Während ich das schreibe, kehrt das Gefühl zurück. (Gudrun Harrer, 20.10.2018)