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Vorgänger als Bürde: Pamela Rendi-Wagner tut sich auch deshalb schwer, weil die SPÖ in "Quereinsteiger" Christian Kern überzogene Erwartungen gesetzt hat.

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Andrea Nahles kämpft mit dem Schatten von Martin Schulz: Nach der Selbstblendung der SPD folgte die Depression.

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Andrea Nahles ist Vorsitzende der SPD. Der SPD geht es nicht gut.

Pamela Rendi-Wagner ist Vorsitzende der SPÖ. Der SPÖ geht es nicht gut.

Viele sagen, das liege daran, dass die Sozialdemokraten nicht die richtigen Antworten auf die Fragen und Herausforderungen der Zeit haben. Dass sie ihr soziales Profil wieder schärfen, dass sie Gerechtigkeit neu definieren müssen. Es ist auch viel die Rede davon, dass sich Sozialdemokraten in ganz Europa deshalb so schwertun, weil ihnen die Arbeiter als Wähler abhandengekommen sind.

Erosion der Wählerschaft

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vom Vorjahr ist die AfD nun die Partei der "kleinen Leute". In Österreich besetzt diesen Platz schon seit Jahren die FPÖ. In Deutschland gibt es starke Überschneidungen der SPD-Anhängerschaft mit jener der Unionsparteien und jener der Grünen. In Österreich ist zumindest Letzteres ähnlich.

Nahles und Rendi-Wagner haben dasselbe Problem: Sie müssen einerseits die Erosion der traditionellen Wählerschaft stoppen – und andererseits neue Wähler anziehen. Die Frage ist: wie und woher? Und was bedeutet das für die inhaltliche Ausrichtung?

Derzeit sieht es nicht so aus, als gebe es darauf eine klare Antwort – weder in Berlin noch in Wien. Die SPD sackte zuletzt in Bayern auf einen historischen Tiefstand, die SPÖ dümpelt in Umfragen dahin und kann die stabilen Werte von ÖVP und FPÖ nicht gefährden.

Parallelen und Eigenfehler

Das allein wären schon genügend Aufgaben. Dazu kommt aber noch, dass Eigenfehler gemacht wurden, die Nahles und Rendi-Wagner nun ausbaden müssen. Auch hier gibt es Parallelen.

Die SPD laboriert an ihrer Position als Juniorpartner in der Koalition. Das bedeutet: Die Krise der CDU/CSU überträgt sich auch auf die SPD. Die deutsche Politik signalisiert keinen Aufbruch, keine Neuerung – sondern eine ständige Abfolge von Kompromissen und Zugeständnissen, die man besser nicht mitgetragen hätte. Für Andrea Nahles war das zuletzt der Fall Maaßen, dessen Abberufung von der Spitze des Verfassungsschutzes mit einer Beförderung zum Staatssekretär im Innenministerium unter Horst Seehofer einherging. Nahles stimmte zunächst, aus Koalitionsräson, zu – erst später kam der Katzenjammer.

Die SPÖ hatte zwar in Koalitionszeiten kein Juniorpartner-Problem, laboriert aber dennoch an der Koalitionsräson der vergangenen Jahre. Auch Rot-Schwarz in Österreich signalisierte keinen Aufbruch, man regierte in einer ständigen Abfolge halbgarer Kompromisse. Nun muss sich die Oppositionspartei SPÖ vorhalten lassen, was sie damals (mit)beschlossen hat. Der Zwölfstundentag etwa ist ein solches Thema. Als Oppositionspartei stemmt die SPÖ sich, befeuert von der Gewerkschaft, mit aller Macht dagegen – muss aber gleichzeitig einräumen, dass auch im Plan A des damaligen Bundeskanzlers Christian Kern eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit vorgesehen war. Dass dies an weitreichende Bedingungen geknüpft gewesen wäre, ist schon wieder schwieriger zu kommunizieren. Faktum ist: Die Unternehmerfreundlichkeit kann die SPÖ der derzeitigen Regierung schlecht vorwerfen – sie wäre selbst auch in diese Richtung gegangen. Aber die innerparteilich mächtige Gewerkschaft verlangt genau das.

Gute Stimmung wird verlangt

Von beiden Parteichefinnen wird noch mehr verlangt: Sie mögen die miese Stimmung, das angeschlagene Selbstbewusstsein der Genossen und Genossinnen aufmöbeln, am besten durch strahlende Wahlergebnisse. Das ist aber kaum machbar, wenn eine Partei an sich selbst zweifelt – und am Verglühen ihrer einstigen Stars verzweifelt. Martin Schulz und Christian Kern: In beide wurden maßlos überzogene Hoffnungen gesetzt, und umso bitterer war ihr Fall.

Andrea Nahles und Pamela Rendi-Wagner müssen die rote Depression nun kurieren. Für Nahles wird das noch schwieriger: Schulz sitzt, wie eine wandelnde Mahnung vor politischer Selbstblendung, immer noch neben ihr im Bundestag.

Rendi-Wagner wiederum scheint ständig betonen zu müssen, dass sie eben "kein Manager" sei, sondern Ärztin – und eben nicht Kern. Die SPÖ hat sich für die Quereinsteigerin an der Spitze aus Not entschieden, nicht aus Überzeugung – und lässt sie jetzt spüren, welch schlechte Erfahrung man eigentlich mit Quereinsteigern hat.

Während sich Rendi-Wagner mit gekränkten Landesvätern herumschlägt und der Vorwurf immer lauter wird, sie sei zu wenig öffentlich präsent, ist Nahles dauerpräsent – und muss sich in aller Öffentlichkeit von ihrem bisher größten Schnitzer erholen. Dass die SPD nicht hinnehmen werde, dass Horst Seehofer den Verfassungsschutzchef nach dessen Verbalentgleisungen zu den Chemnitzer Vorfällen auch noch auf den Posten des Staatssekretärs weglobt, hat die SPD-Chefin nicht kommen sehen. Ihre Notbremsung lief nicht ohne Schaden ab.

Seither fragt man sich in der SPD, ob Nahles, von der es stets hieß, dass sie das Ohr ganz nah an der Basis habe, tatsächlich noch hinhört – oder ob die Koalition mit der Union ihrer Bodenhaftung geschadet hat.

Ohr an der Basis

Bodenhaftung muss Rendi-Wagner in den kommenden Monaten erst zeigen. Sie wird sehr genau hin- und in den Parteikörper hineinhören müssen. Halbgare Kompromisse, sei es bei der Organisationsreform, sei es in der Flüchtlingsfrage, werden nicht reichen. Die internen Strukturen in der SPÖ sind überholt, die Entscheidungsprozesse zu langsam.

Pamela Rendi-Wagner und Andrea Nahles müssen vieles ändern, wenn sie Wahlen gewinnen wollen. Rendi-Wagners Chance: Sie ist nicht Teil einer Regierung. Das gibt ihr mehr Spielraum. Den muss sie aber auch nutzen. (Petra Stuiber, 25.10.2018)