Inszenierung der Inszenierer durch Fotograf Heribert Corn, der Heidi Glück, Milo Tesselaar und Lothar Lockl ins beste Licht rückte.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Wann hat das in Österreich so richtig angefangen mit der Inszenierung von Politik? War es mit Jörg Haider? Oder schon mit Bruno Kreisky, der sich 1971 mit dem Pressefoyer nach dem Ministerrat eine Bühne geschaffen hat, auf der er sich inszenieren konnte?

Glück: Ich würde die Inszenierung in Österreich in der Monarchie ansetzen, weil sie natürlich auch ein Ausdrucksmittel der Mächtigen war. Aber Inszenierung an sich geht viel weiter zurück bis zu den antiken Griechen und Römern, den Pharaonen. So wirklich im Sinne der breiten Sichtbarkeit hat die Inszenierung wahrscheinlich in den 60er-Jahren in den USA mit dem Fernsehen begonnen.

Lockl: In Österreich war Kreisky schon eine echte Zäsur, gerade wie er sich im Fernsehen gegeben hat. Das berühmte Duell gegen Josef Taus, wo Kreisky mit seiner Brille gespielt hat, oder sein Pressefoyer nach dem Ministerrat. Später waren die Protestaktionen mit Transparenten erste Geburtsstunden politischer Bürgerbewegungen abseits der etablierten Parteistrukturen.

STANDARD: Herr Tesselaar, Sie haben mit Irmgard Griss bei der Präsidentschaftswahl eine Kandidatin inszenieren müssen oder dürfen, die neu in der Politik war. Welche Überlegungen standen dahinter?

Tesselaar: Abgesehen davon, dass sich Irmgard Griss nie "inszenieren" lassen würde, gilt für jene Persönlichkeiten, mit denen ich arbeiten will, dass viel Inszenierung gar nicht notwendig sein sollte. Es gibt Stärken, die man unterstreichen, und Ecken, die man schärfen kann. Mein Zugang zur Politik ist, dass man auf dem, was da ist, aufbaut und nicht aus etwas Weißem etwas Schwarzes macht. Bei Irmgard Griss war die Geschichte so: eine sachliche, parteiunabhängige eigeninitiative Bürgerin mit dem Potenzial, erste Präsidentin Österreichs zu werden. Es ging darum, ihre Persönlichkeit, Werte und ideellen Beweggründe zu vermitteln und ein effektives Team zu bilden, um mit wenig Mitteln mit unternehmerischem Zugang, Kreativität und strategischem Geschick möglichst viel zu erreichen.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Inszenierung hat – zumindest im politischen Umfeld – einen negativen Unterton. Welche Funktion erfüllt die Darstellung von Politik für die Demokratie? Der deutsche Politikwissenschafter Ulrich Sarcinelli nannte sie einen "Wirklichkeitsgenerator", weil es sich bei Politik um Vorgänge handle, bei denen die Wählerinnen und Wähler ja nicht direkt dabei seien.

Glück: Ich würde Inszenierung als die theatralische Form der politischen Kommunikation definieren. Ein Mittel, auch um Macht zu demonstrieren, aber Inszenierung hat auch sehr viel mit Symbolik zu tun. Denken wir an so historische Inszenierungen wie Mitterrand/Kohl, das war das Symbol der deutsch-französischen Versöhnung. Willy Brandts Kniefall im Warschauer Ghetto war ganz klar die Entschuldigung für die Untaten des Holocaust. Macrons Europa-Rede in Versailles, er marschiert durch den Spiegelsaal, die Botschaft: Ich bin sozusagen der demokratische Monarch in Anlehnung an Ludwig XIV. Diese Symbolik ist in Wahrheit sehr viel stärker und nachhaltiger als Inhalte. Das Entscheidende ist aber, dass der Content mit der Inszenierung zusammenpasst. Wenn die Substanz für so große Momente da ist, funktioniert es auch gut. Oberflächliche Inszenierungen werden relativ bald durchschaut.

STANDARD: Herr Lockl, Sie haben Alexander Van der Bellen zuerst als Grünen-Chef inszenieren müssen, später als nächsten Bundespräsidenten, der für alle wählbar sein sollte. Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Inszenierungsentscheidungen getroffen?

Lockl: Inszenierung ist eine Form der Kommunikation. Was stellt man ins Schaufenster? Dabei geht es um etwas ganz Wichtiges, nämlich um Vertrauen. Es rächt sich, wenn man ein X für ein U vormachen will. Wir befinden uns heute mitten in einer Kommunikationsrevolution. Wir kommunizieren in Echtzeit. Es ist individueller geworden, es gibt Interaktion, also unmittelbare Rückmeldungen. Bilder sind noch wichtiger, ebenso Videocontent. Die Menschen wollen hinter die Kulissen blicken. Ein Resultat ist die viel stärkere Personalisierung. Viele Wähler treffen ihre Wahlentscheidung danach, ob sie glauben, dass der jeweilige Politiker an der Spitze im Moment der Richtige ist. Wenn es ein Grundgesetz für Inszenierung gibt: Es muss zur Person passen. Man merkt das, wenn jemand nicht authentisch ist. Deswegen war bei Van der Bellen schon 100 Prozent Van der Bellen drin, als er Grüner war, und erst recht danach als Präsidentschaftskandidat, nur die Funktion und die Schwerpunkte waren andere.

STANDARD: Frau Glück, Sie sagten ja einmal: "Ich glaube, dass die Inszenierung besonders wichtig ist, wenn man noch keine Ergebnisse präsentieren kann." Als Beispiel nannten Sie eine Regierungsklausur von Schwarz-Blau 2004, bei der es eigentlich nicht wirklich etwas zu "verkaufen" gab. Sie haben die Regierung dann unter dem Slogan "Zeit der Ernte" zur Lese in die Weinberge in Krems geschickt, "damit wir wenigstens Fotos haben".

Glück: Das war der Versuch, schon am ersten Klausurtag Futter für die Medien zu generieren. Ich glaube fast, dass das heute manchmal noch mehr gilt als damals.

Tesselaar: Heute ist bei den meisten Politikern gar nicht mehr das Bedürfnis da, komplexe Themen darzustellen, im Gegenteil. Hauptsache, man hat produziert gute Bilder und setzt möglichst wenig um, weil das angreifbar macht. Wenn man sich zum Beispiel die aktuelle Regierung anschaut, ist es eher so: Inszenierung ist das, was man sehen soll und darf. Der Gegenpol müsste sein: Journalismus ist das, was man sehen muss. In diesem Spannungsfeld hat die Politik zurzeit die Oberhand. Es ist schon länger so, dass wir Bürger zu wenig sehen, was wir sehen müssten.

Glück: Man kommt relativ lang damit durch, würde ich sagen.

Tesselaar: Ja. Es herrschen eigentlich ideale Bedingungen dafür.

STANDARD: Wie lang kommt man mit hohler Inszenierung durch?

Lockl: Nicht ewig. Eine Seifenblase kann sehr schnell platzen. Du brauchst eine Art Generalanliegen, das dir auch eine gewisse Sicherheit gibt, einen Korridor im politischen Handeln. Politik ist oft mühsam, und es braucht Zeit, Kompromisse zu finden. Manche versuchen dann, sich mit Ablenkungsmanövern ein bisschen drüberzuschummeln. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo die Substanzfrage da ist und ich mich an meinem Generalanliegen messen lassen muss, thematisch und stilistisch.

STANDARD: Wo verläuft die Grenze zwischen Inszenierung und Manipulation? Der Philosoph Walter Benjamin hat, damals mit Blick auf die Inszenierungen des Faschismus, von der "Ästhetisierung der Politik" gesprochen und meinte den Missbrauch der Kunst, vor allem des Mediums Film als Mittel der Politik. Wenn man sich heute die Facebook-Seiten und Instagram-Accounts von Politikern anschaut, dann findet man da auch nur schöne, geschönte, glatte, geglättete Bilder.

Tesselaar: Alles, was Meinung beeinflusst, ist bis zu einem gewissen Grad Manipulation. Ich unterscheide für meine politische Arbeit zwischen Manipulation und Inspiration, weil sie zwei unterschiedliche Dynamiken mit sich bringen. Mir ist es nur wert, inspirativ zu arbeiten. Das hat damit zu tun, wie man Menschen bewegt, wie man Emotionen anspricht. Man kann negativ oder positiv mobilisieren. Das Inspirative ist allerdings abhängiger von der Fähigkeit der einzelnen Beteiligten, das setzt viel mehr Substanz voraus. Es ist der mühsamere Weg, dafür kann man mit Inspiration im Endeffekt viel mehr bewegen. Manipulation ist einfacher, so kann man relativ lang inszenieren, ohne jegliche Substanz.

Glück: Darum braucht Inszenierung ein Korrektiv. Denn wenn ich genügend Ressourcen zur Verfügung habe, kann ich Inszenierungen machen, die hauen dich um, die beeindrucken auf eine Weise, dass es ganz schwer ist, da hinter die Kulissen zu schauen, gerade in Zeiten von Social Media. Wir feiern jetzt 30 Jahre STANDARD, und darum ist das auch ein Plädoyer für den Qualitätsjournalismus, der da eine ganz wichtige Aufgabe hat, dieses Korrektiv zu sein und ständig den Blick draufzuhalten, wo diese Grenzen eben sind.

Tesselaar: Ich fand die Erkenntnis oder Erfahrung von Christian Kern spannend, der gesagt hat: "95 Prozent der Politik bestehen aus Inszenierung." Es ist dringend notwendig, dass Journalismus es schafft, vielleicht nur mehr 45 Prozent an Inszenierung zuzulassen. Der Rest wird vom Journalismus entblößt, ist also das, was wir als Bürger sehen müssen. Das ist eine entscheidende Herausforderung für journalistische Organisationen.

Glück: Weil wir jetzt Inszenierung so ein bisschen als überbordende negative Kommunikation diskutieren, möchte ich das doch etwas zurückdrehen. Ich meine schon, dass es Inszenierung braucht. Du bringst politische Kommunikation ohne Inszenierung heute nicht mehr durch. Dann findet Politik nicht mehr statt. Es ist die visualisierte Darstellung eines Themas, und die ist wichtig.

Lockl: Das stimmt. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama war ein Meister darin.

Tesselaar: Wenn Inszenierung ein Werkzeug ist, dann kommt es drauf an, wie man es einsetzt.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Was sind Ihre wichtigsten Werkzeuge für Inszenierung? Müssen Politiker heute Kanäle wie Instagram, Facebook und Twitter bespielen, wenn sie erfolgreich sein wollen?

Tesselaar: Digitale Kanäle sind ein entscheidender Bereich für politische Kommunikation. Schauen wir uns zum Beispiel Kurz oder Strache an, die haben unglaubliche Reichweiten auf Facebook, die erreichen mit eigenproduzierten oder geteilten Inhalten oft mehr Aufmerksamkeit und Stimmung als über klassische Medien. Das ist enorm, denn da verselbstständigt sich gesteuerte Kommunikation. Für Parteien, NGOs, Unternehmen oder etwa auch als Fußballklub ist es notwendig, einen integrierten Newsroom zu betreiben, der alle eigenen Kanäle, zum Beispiel soziale Medien, Messenger und auch die klassischen Medien mit spezifischen Inhalten strategisch bespielt. Ich würde E-Mail noch dazu nehmen, die wird oft unterschätzt, ist aber sehr wertvoll.

Glück: Wahlentscheidend ist dieser neue Medienbereich aber noch nicht. Es helfen die schönsten Instagram-Bilder nichts, wenn du das politische Handwerk nicht beherrschst. Das Politikmachen als solches, Ideen haben, sie ausarbeiten und kommunizieren, Menschen überzeugen, die richtigen Programme setzen, wenn das alles in den Hintergrund rückt, kannst du nicht reüssieren.

Tesselaar: Es widerstrebt mir zutiefst, aber Ideen und Konzepte benötigen Politiker in diesem politisch-medialen System leider kaum. Politikmachen heißt bedauerlicherweise vor allem, gut kommunizieren zu können.

Glück: Nein, das reicht nicht.

Tesselaar: Politikmachen heißt im Grunde genommen Strategie und Kommunikation. Um Ideen geht's selten. Jemand, der das politische Handwerk beherrscht, der braucht keine Ideen.

Lockl: Das sehe ich nicht so. Es braucht eine Vorstellung von der Zukunft, um Allianzen schließen können. Dann brauchst du eine harte Haut, und du musst den kompletten Verlust an Privatheit akzeptieren ...

Tesselaar: Aber das ist auch Kommunikation.

Glück: Ich muss da wirklich total widersprechen. Du brauchst sehr wohl politische Ideen und neue Antworten. Warum sind die Sozialdemokraten in Europa in so einer Krise? Weil sie mit alten Rezepten durch die Gegend laufen. Das ist nicht nur eine Frage, ob irgendwem irgendwann der Slim-Fit-Anzug von jemandem auf die Nerven geht. Es braucht sehr viel mehr. Ganz ehrlich, wie wir täglich stundenlang an politischen Ideen gearbeitet haben ...

Tesselaar: Ja, ihr, damals, das war vor fast 20 Jahren ... (Lachen)

Glück: Ja, das ist leider schon sehr lang her.

Tesselaar: Es wird kaum an Ideen gearbeitet, weil es auch nicht notwendig ist. Weil Politiker in der Sache selbst wenig erreichen wollen, weil wir den Wettbewerb der besten Ideen in diesem Land nicht kennen und Diskurs mittlerweile nahezu unmöglich ist. Das geht über die jetzige Regierung hinaus. Ich würde bestreiten, dass den handelnden Personen Ideen in den letzten 20 Jahren wichtig waren.

Glück: Vielleicht muss man sich auch wieder ein bisschen zurückbesinnen. Dieses Unwohlgefühl der Menschen mit der Politik liegt sicher auch daran, dass sie der Lösungskompetenz von Politik nicht mehr vertrauen. (Lisa Nimmervoll, 19.10.2018)