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Umfaller im Reich der Toten: Der Seziertisch als Arbeitsplatz eines Bundesländer-Redakteurs

von Markus Rohrhofer

Es begab sich eines schönen Juni-Tages des Jahres 2004, dass mich ein Anruf eines Biologielehrers einer renommierten Linzer Mittelschule ereilte. Konkret stand eine Exkursion in die Pathologie auf dem Lehrplan. 15 Schüler, eine Obduktion – im Keller eines Linzer Krankenhauses.

Praxisnaher Anatomieunterricht direkt in der Pathologie kann mitunter ganz schön an die jugendliche Substanz gehen.
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Und da es ganz und gar dem Wesen eines Bundesländer-Korrespondenten entspricht, stets draußen bei den Menschen zu sein, galt es, auch die Toten nicht auszuschließen. Am Endpunkt eines Lebens warteten dann 14 verunsicherte Schüler – und Robert. 17 Jahre jung, betont lässig, Opa Arzt, Papa Arzt, und er werde "sowieso Mediziner". Es folgt der erste Schnitt in den Brustkorb – und Robert verabschiedete sich. Fiel wie ein gefällter Baum ohnmächtig um und schlug mit der Stirn am Seziertisch auf. Es war einer der seltenen Fälle in der langen Geschichte der Medizin, in denen ein Patient von der Pathologie in die Unfallambulanz kommt. Robert ging es dann rasch wieder gut. Und so frisch vernäht galt seine Sorge vor allem seinem Ruf. Nur nicht mit dem "peinlichen" Auftritt im STANDARD vorkommen. Robert, es tut mir ehrlich leid. Nach 14 Jahren musste die Geschichte einfach mal raus. (Markus Rohrhofer, 19.10.2018)

Markus Rohrhofer ist seit 2003 Oberösterreich-Korrespondent. Seitdem steht bei ihm bei seiner Arbeit das tägliche Bemühen im Vordergrund, der Bundeshauptstadt von Linz aus zu erklären, dass die Welt nicht in Hütteldorf endet.


Leben ohne Fast forward: Coole Fernsehserien schauen? Ja eh, aber ...

von Doris Priesching

Früher war nichts einfacher. Das Geschäft der Fernsehkritikerin war ein geringgeschätztes. Fernsehen galt als Medium der Massen, und dieser war in intellektuellen Kreisen generell zu misstrauen. Mainstream? Pfui gack.

Es war aber auch abgesehen von der innerjournalistischen Ächtung nicht leicht. Sendungen schaute man auf Videokassetten. Sie kamen mit der Post. Auf Bänder von deutschen Sendern wartete man Wochen. Die Kommunikation mit Pressestellen gestaltete sich ähnlich dem Besuch am Amt: meistens geschlossen.

TV-Sender schickten in den Anfangsjahren des STANDARD Ansichtsmaterial auf Videokassetten mit der Post. Heute kommen Links.
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Die Jahre vergingen, Videokassetten wurden von CDs abgelöst, die Pakete leichter. Pro Woche trudelten auf diese Art ungefähr drei, vier Werkstücke herein. Und es gab die Fast-forward-Taste.

Heute ist nichts einfacher. Die Sender stellen ihre Ware vorab in digitale Vorführräume und schicken Links zum Download. Das funktioniert bei fast allen klaglos, lediglich ein großer Streaminganbieter lässt sich mit der Bearbeitung von Mails Zeit. Fast forward funktioniert nur noch selten. Dafür kommen pro Woche gefühlte 150 neue Serien auf den Markt, und seitenlange Schweigegelübde sind zu unterzeichnen. Die Fernsehkritikerin? Wird inzwischen beneidet, weil sie hauptberuflich coole Serien besprechen darf. Und kommt aus dem Schauen nicht mehr heraus. (Doris Priesching, 19.10.2018)

Doris Priesching schreibt seit 1990 über Fernsehen und Medien im STANDARD.


Sphinx mit Kartoffelsuppe: Es braucht "Rautenkunde", um Merkel zu verstehen

von Birgit Baumann

Korrespondenten, so heißt es, haben den tollsten Job von allen Journalisten. Sie reisen durch fremde Länder, lernen andere Bräuche kennen und müssen sich nicht durch endlose Sitzungen in der Zentralredaktion quälen. Nun ja.

In der Realität heißen die Reiseziele Chemnitz oder Messe Hannover, erreichbar mit der Straßenbahnlinie 8. Und mit der Brandenburger Vorliebe, jegliches Essen mit brauner Soße zu übergießen, mag man sich irgendwann nicht mehr näher befassen.

Aber meist ist der Dienstort ohnehin Berlin, genauer gesagt Regierungsviertel, ganz präzise: ein kleines Büro, genannt "Hasenstall", im Haus der Bundespressekonferenz, wo die sogenannten Hauptstadt-Journalisten sitzen.

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Die Raute birgt für Merkel "eine gewisse Symmetrie". Außerdem hilft sie ihr, den Rücken gerade zu halten. Im Wahlkampf 2013 hat die CDU die Raute gezielt als Zeichen für Stabilität eingesetzt.
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Wir alle haben seit 13 Jahren einen harten Job. Er heißt, Angela Merkel – im Idealfall – zu verstehen, meistens aber sie eher zu interpretieren. Die Alten, zu denen auch die Schreiberin dieser Zeilen zählt, erinnern sich noch an ihren Vorgänger Gerhard Schröder. Er war ein Mann von bestechender Schlichtheit. Wenn er grantig war, wussten es alle. Wenn er "Basta" sagte, gab es keine Deutungsmöglichkeiten.

Jubel nur im Fußballstadion

Merkel, die Sphinx, die nur im Fußballstadion jubelt und für alle Gelegenheiten außerhalb die Raute erfunden hat, ist anders. Jetzt wäre es natürlich einfacher, wenn man sie einmal fragen könnte: "Hey, wie geht's? Gibt's heute Abend wieder die selbstgestampfte Kartoffelsuppe? Wo ist das türkise Jackett her?" Abgesehen davon, dass man die Antworten ahnt, ist derlei schlicht unmöglich.

Medien und Merkel, das ist ein ganz eigenes Kapitel. Die Kanzlerin gibt nicht gerne Pressekonferenzen. Eine große, bei der sie sich 90 Minuten alles fragen lässt, aber auf längst nicht alles antwortet, findet nur einmal pro Jahr, im Sommer, statt. Gelegentlich bittet sie nach einem Gipfel (Diesel, Wohnen) ins Kanzleramt, aber die Zeit für Fragen ist immer zu kurz, und die Fragesteller wählt der Regierungssprecher aus.

Kommt ein Staatsgast zu Besuch, sind bei der obligatorischen Begegnung mit der Presse maximal drei Fragen für die "deutsche Seite" und ebenso wenige für die Gäste zugelassen, was Hauptstadt-Journalisten zu kreativen Höchstleistungen antreibt.

Wohl nirgendwo ist die Kunst, in einer Frage eigentlich mindestens fünf Fragen zu zehn Themenfeldern unterzubringen, so ausgeprägt wie in Berlin. Überflüssig zu erwähnen, dass die Antworten oft unbefriedigend sind.

Zur Not ins Fernsehen

Wenn ihre Not (etwa während der Flüchtlingskrise) groß ist und sie das Gefühl hat, sich erklären zu müssen, lässt Merkel sich im Fernsehen interviewen, ansonsten hält sie lieber Reden. Da gibt es am Schluss Applaus statt Fragen. Aussichtslos sind auch Versuche, ihr auf Zuruf etwas zu entlocken, wenn sie mit ihrem Tross aus Security und Beratern irgendwo erscheint. Sie hört die Frage nicht oder will sie nicht hören.

Daher hat sich in Berlin eine Disziplin entwickelt, die sich am besten mit dem Begriff "Rautenkunde" beschreiben lässt. Über die Jahre, unter gleichzeitiger Einbeziehung von Tonfall, Blick und natürlich Rhetorik, gelingt es immer besser, Merkel zu übersetzen und die drei Grundbefindlichkeiten zu erfassen.

"Ich finde es gut, wenn ..." heißt so viel wie: Super, taugt mir total, das Problem haben wir gelöst, ich habe eh noch genug andere mit Donald Trump. "Ich denke, wir sollten aufpassen, dass ..." lässt sich übersetzen mit: Seid ihr so wahnsinnig wie die SPD, das kann man doch nicht machen! Und "Wir müssen abwarten, ob ..." ist ein klares: Bitte, nicht nerven, da habe ich noch keine Meinung, weil ich erst einmal warte, wohin Wind und Umfragen drehen.

Irgendwann wird sie uns sagen, dass ihre Zeit abgelaufen ist und sie nicht mehr weitermacht. Das vermutlich werden alle verstehen. (Birgit Baumann, 19.10.2018)

Birgit Baumann ist seit 2005 Deutschland-Korrespondentin. Im selben Jahr zog Angela Merkel ins Berliner Kanzleramt ein.