Ein Dokument aus vergangenen Tagen: Dieses Bild half bei einer geheimdienstlichen Observierung in Wien.
Foto: ABTL

Wird es einen neuen "Fall Zilk" geben? Der Name des 2008 verstorbenen ehemaligen Wiener Bürgermeisters und Fernsehjournalisten steht paradigmatisch für die Tätigkeit östlicher Nachrichtendienste in Österreich nach Kriegsende bis zum Wendejahr 1989. Unter dem Titel "Deckname Holec" verfilmte Franz Novotny vor einigen Jahren die Geschichte um die Anwerbung Zilks durch den tschechoslowakischen Geheimdienst. Dessen Aktionen in Österreich sind inzwischen weitgehend erforscht.

Anders verhält es sich mit Ungarn. Wenngleich man von einer ähnlichen, vermutlich sogar noch stärkeren Intensität als im Fall der CSSR-Dienste ausgehen kann, lagen die Fakten hier bis vor kurzem noch großteils im Dunkeln. Ein österreichisch-ungarisches Forschungsprojekt soll das ändern. Seit etwa einem Jahr arbeitet das in Graz ansässige Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung (LBI) eng mit dem Historischen Archiv der Staatssicherheitsdienste Ungarns (ABTL) zusammen. Die Dachorganisation Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft wird hauptsächlich vom Wissenschaftsministerium, der Nationalstiftung und beteiligten Unternehmen unterstützt.

Erste Ergebnisse präsentiert

Erste Erkenntnisse der Forschungen wurden jüngst auf einer wissenschaftlichen Konferenz in Budapest präsentiert. Im LBI befasst sich der Historiker Dieter Bacher schon seit längerem mit der Tätigkeit ausländischer Geheimdienste in Österreich während des Kalten Krieges, speziell der östlichen sowie der britischen. Auf der Budapester Konferenz hätten sich die Hauptzielsetzungen der ungarischen Nachrichtendienste in Österreich herauskristallisiert, berichtet Bacher: Sicherung der Grenze, also des Eisernen Vorhanges, Überwachung der Flüchtlinge und Abwehr westlicher Geheimdienstaktionen. Schon bis Kriegsende waren rund 22.000 deutschsprachige und ungarischstämmige Flüchtlinge aus Ungarn nach Österreich gekommen; nach der Machtergreifung der Kommunisten 1948 gab es einen weiteren starken Schub; und 1956 löste die Niederschlagung des Volksaufstandes eine Massenflucht von rund 200.000 Ungarn nach Österreich aus.

In diesen Personengruppen wurde einerseits antikommunistische Propaganda befürchtet, andererseits sah man hier ein Rekrutierungsfeld für Mitarbeiter westlicher Geheimdienste. Die waren ihrerseits höchst aktiv und befürchteten, dass mit den Flüchtlingen über Österreich östliche Agenten weiter in den Westen geschleust werden könnten – was zweifellos auch der Fall war.

Der Kalte Krieg manifestierte sich also in Österreich als Krieg der Geheimdienste. Ein Mitarbeiter des britischen MI5 bezeichnete in den 1950er-Jahren laut Bacher Österreich als "Highway der Intelligence Services". Diese Autobahn habe in beide Richtungen funktioniert. Die östlichen Dienste hätten in Österreich ihre erste Verteidigungslinie aufgebaut und seien beim Durchkreuzen westlicher Operationen schon im Vorfeld durchaus erfolgreich gewesen, "was es den Amerikanern und Briten doch etwas schwerer gemacht hat".

Schwieriger gestaltete sich, aus naheliegenden Gründen, die Anwerbung von Mitarbeitern unter den Flüchtlingen. Hier ging es vor allem um die Beobachtung der Szene und eventueller Verbindungen zum Westen. In Einzelfällen wurden Personen, die man als Gefahr betrachtete, nach Ungarn "zurückgeholt", wie es in den Akten heißt. Im Klartext: Sie wurden entführt. Einen dieser Fälle untersucht Bacher derzeit im Detail.

Wirkte sich die gemeinsame Vergangenheit in der Habsburgermonarchie auf Strategie und praktische Arbeit der ungarischen Geheimdienste im Nachkriegsösterreich aus, und wenn, wie? Politisch sei das nicht abzuschätzen, meint Bacher. Praktisch habe die aus Monarchiezeiten herrührende große ungarische Gemeinde in Wien eine bedeutende Rolle gespielt. "Natürlich gab es da noch immer familiäre Beziehungen nach Ungarn, und die konnte man nutzen und Druck auf gewisse Personen ausüben, um sie zur Mitarbeit als Informanten zu bewegen." Zum anderen habe es sicher ungarische Geheimdienstmitarbeiter mit österreichischem Hintergrund, guten Sprach- und Ortskenntnissen gegeben. In diesen zentralen Kriterien für effiziente Informationsbeschaffung hätten westlichen Dienste übrigens ein großes Defizit gehabt, weil sie kaum über eigene Leute mit entsprechender Qualifikation verfügten und daher großteils auf die Anwerbung von Österreichern angewiesen waren.

Vorsichtige Recherchen

Stichwort österreichische Kollaborateure: Ist mit der Enthüllung eines "Falles Zilk" auch im ungarischen Kontext zu rechnen? Natürlich gebe es auch in den ungarischen Archiven Personenakten mit Informationen über Kontaktaufnahme, Art und Dauer der Mitarbeit et cetera, sagt Bacher. Hier müsse man aber "wahnsinnig vorsichtig" sein. Denn die Existenz einer Akte bedeute noch lange nicht, dass die betreffende Person auch bewusst für diesen Dienst gearbeitet habe. Sie könnte beispielsweise gar nicht gewusst haben, dass ihr Gegenüber ein Geheimdienstagent gewesen sei, sondern nur "abgeschöpft" worden sein. Für das Forschungsprojekt – die Ergebnisse der Konferenz sollen 2019 in Buchform auf Deutsch und Ungarisch erscheinen – seien weniger Einzelfälle als ein Gesamtbild relevant: "Wie hat man diese Netzwerke aufgebaut, wie waren sie strukturiert, wie haben sie gearbeitet?"

Eine Erkenntnis liegt schon jetzt vor, und sie trifft auf Geheimdienstarbeit im Kalten Krieg wie in Zeiten des Antiterrorkampfes zu: "Auch wenn sich die technischen Möglichkeiten erweitert haben, etwa der Zugang zu offenen Quellen im Internet – das Grundprinzip gilt unverändert: Sammeln, Verifizieren, Analysieren und Bewerten von Informationen. Man glaubt heute, alles laufe über den Computer. Das stimmt nicht. Human Intelligence, also Informationsbeschaffung durch Menschen, z. B. über Gespräche, ist noch immer das Rückgrat nachrichtendienstlicher Arbeit." (Josef Kirchengast, 18.10.2018)