Matteo Salvini fühlt sich in Moskau wohl.

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Das Foyer des Edelhotels Lotte Plaza am Kopf der Moskauer Bummelmeile Arbat ist brechend voll. Zur Jahreskonferenz des italienischen Industriellenverbands Confindustria in Russland haben sich gut 700 Teilnehmer angesagt. "Im vergangenen Jahr waren es gerade einmal halb so viel wie heute", sagt Maria, die für ein russisches Lifestyle-Magazin arbeitet. Das Interesse der Gäste gilt vor allem dem Stargast der Veranstaltung: Matteo Salvini.

Schon im Vorfeld seines Besuchs hatte Salvini die Russland-Sanktionen "absurd" genannt. Damit stieß er natürlich bei den in Russland tätigen Unternehmern auf offene Ohren. Nun ist er auf Einladung von Ernesto Ferlenghi, dem Chef der Confindustria Russia, in Moskau.

Conte reist nach Moskau

Die Reise gilt auch als Vorbereitung des Besuchs von Premier Giuseppe Conte am 24. Oktober, obwohl Salvini kurioserweise außer dem Unternehmertreffen offiziell keine anderen Termine in Moskau hat. Aber auch so hat er hochrangige russische Zuhörer: Im Publikum sitzen Vizeaußenminister Alexander Gruschko, mehrere Duma-Abgeordnete und der Senator Alexej Puschkow, einer der einflussreicheren Außenpolitiker Russlands.

Und der Chef der rechten Lega enttäuscht seine Anhänger nicht. Nachdem Ferlenghi über Milliardenverluste geklagt hat, die die Sanktionen bei italienischen Konzernen verursachen, wettert auch Salvini über die im Zuge der Ukraine- und Krim-Krise verhängten Strafmaßnahmen gegen Russland. Mit durchaus ausgefallenen Beispielen: Die EU habe Sanktionen gegen Russland verhängt, finanziere aber einen Staat – die Türkei –, der ein EU-Land besetzt halte, erklärt er.

Auch für den Verschwörungstheoretiker Alexander Dugin nahm sich Salvini Zeit.

Zu den Ursachen der Sanktionen verliert der 45-Jährige kein Wort. Stattdessen gibt es Kritik an der Ukraine. Als Aufhänger dient dabei die jüngst vom Konstantinopler Patriarchat gebilligte Abspaltung der ukrainisch-orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat. Religionskriege nähmen stets ein schlechtes Ende, warnt Salvini. "Wenn eine politische Führung versucht, sich die Kirche unterzuordnen, kann daraus nichts Gutes werden", sagt er in Richtung Kiew.

Moskau hingegen gefällt ihm. Er komme gern in die russische Hauptstadt. Nicht, weil er dafür Geld bekomme, wie seine Gegner behaupteten, "sondern weil ich mich hier zu Hause fühle", sagt Salvini. Mehr zu Hause als in einigen EU-Ländern, fügt er hinzu. Dort fühlt er sich alleingelassen mit Migrations- und Wirtschaftskrise. Vorwürfe gegen Russland wie die Affäre um den Mordversuch am übergelaufenen Agenten Sergej Skripal nennt er zugleich unglaubwürdig.

Kritik an Frankreich

Für den überzeugten Nationalisten sind Sanktionen ohnehin ein Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen. Es sei schon auffällig, dass Italien während der Krise Marktanteile in Russland verloren habe, während andere EU-Länder welche dazugewonnen hätten. "Wenn ich hier Frankreich erwähne, ist das bestimmt absoluter Zufall", fügt er süffisant hinzu. Und so sieht es Salvini als sein gutes Recht an, die Sanktionsfrage ebenfalls für eigene nationale Interessen zu gebrauchen. Zwar gibt er sich als prinzipieller Verfechter einer Aufhebung der Sanktionen, doch ein italienisches Veto bei der nächsten Verlängerung der Strafmaßnahmen macht er von den Budgetverhandlungen mit Brüssel abhängig.

Das Veto sei ein Ass im Ärmel. "Doch das kann man nur einmal ausspielen", gesteht er ein. Sollte die EU das Regierungsprogramm und den von Italien vorgelegten Haushaltsentwurf nicht unterstützen, so könnte Rom sein Veto einsetzen. "Ich hoffe aber, dass es nicht dazu kommt", lässt Salvini durchblicken, dass er gewillt ist, die Sanktionsfrage als Hebel gegen Brüssel einzusetzen.

In Russland ist man dennoch zufrieden mit Salvinis Auftritt. Er habe dem Auftritt entnommen, dass Salvini gegen die Sanktionen sei, Italien müsse sich aber bestimmten Realitäten stellen, sagt Alexej Puschkow. "Ein Veto ist ein radikales Mittel, und Italien kann es sich derzeit nicht leisten, die Lage unnötig zu verschärfen", sagt Puschkow zum STANDARD. Langfristig aber werde Salvini sicher versuchen, die Sanktionen zu lösen, gibt der russische Politiker zu Protokoll. (André Ballin aus Moskau, 18.10.2018)