Schauspielerin Verena Altenberger und Rechtsanwaltsanwärter Tobias Beier. Beide sind Anfang 30, leben in Wien, doch viele Ansichten trennen sie.
DER STANDARD

Auch wenn Verena Altenberger und Tobias Beier in fast allen Antworten auf dem Fragebogen, den sie ausgefüllt haben, um hier einander nun gegenüberzusitzen, entgegengesetzter Meinung waren, haben sie doch etwas gemeinsam: Salzburg. Sie ist im Umland aufgewachsen und in der Stadt Salzburg zur Schule gegangen, er hat dort studiert. Salzburg sei "malerisch", da sind sie sich einig. Auch wenn ihr die Stadt ein bisschen zu klein ist, um dauerhaft dort zu leben. Mittlerweile wohnen beide in Wien. Sie (30) ist Schauspielerin, er (31) Rechtsanwaltsanwärter. Vor dem Treffen haben sie einander auf Social Media gesucht. Wie man das heutzutage so macht.

Dementsprechend gut startet der Abend. Er wird bei Melange und Minztee zwei Stunden dauern. Los geht er mit dem Thema Donald Trump. Sie hat auf die Frage, ob die Politik des US-Präsidenten gut für die Welt sei, mit Nein geantwortet, er mit Ja. Warum? "Es ist gut, dass die anderen Staaten sich nun nicht mehr darauf verlassen können, dass Amerika die Weltpolizei spielt und die Kohlen aus dem Feuer holt. Wir müssen nun selbst Entscheidungen treffen", sagt Tobias. Mit diesem Argument kann Verena etwas anfangen: "Der ist für mich so ein klassischer Despot. Der hat die Macht, mit wenigen Worten die Welt zu zerstören." Auch Tobias findet nicht alles, was Trump macht, gut. Er vertraut auf das politische System und auf die Gerichte, die den Präsidenten zügeln können. Verena sitzt also keinem Hardcore-Fan gegenüber. Manche Fragestellungen lassen sich schwer mit Ja- und Nein-Antworten klären. Das zeigt sich schon jetzt. Und die Dinge liegen nicht immer so eindeutig, wie man oft glaubt.

"Je netter wir die Menschen behandeln, die zu uns kommen, desto solidarischer werden sie sein", sagt Altenberger.
Foto: Robert Newald für DER STANDARD

"Bitte um Verzeihung"

Weil Tobias die Frage, ob der Islam mit den europäischen Werten vereinbar sei, mit Nein beantwortet hat, und die Frage, ob Europa seine Außengrenzen schließen solle, mit Ja, hat Verena im Gedächtnis abgespeichert, dass er es gut fände, den Zuzug von Muslimen zu beschränken. Sie liest dann aber doch noch einmal im Fragebogen nach, weil er nicht glaubt, so etwas gesagt zu haben. Er hat recht. "Da hab ich dir ja ganz schön viel in die Antworten hineininterpretiert", gesteht sie. "Bitte um Verzeihung."

Aber das, was man politischen Islam nennen könnte, passe wirklich nicht zu uns, ist er sich sicher. "Alles, was in die Richtung geht, eine Religion zu politisieren, ist in Europa nicht salonfähig." Wieder sind die beiden sich in Aspekten einig. Aber sie glaubt andererseits nicht, dass die europäischen Grundwerte und unser Zusammenleben von offenen Grenzen bedroht sind. Im Gegenteil. Brauchen wir Zuwanderung nicht, um mit einer massiv alternden Bevölkerung zurechtzukommen? Tobias sieht das anders. Er zweifelt daran, dass die, die kommen, später einmal solidarisch genug sein werden, um uns die Altersversorgung zu finanzieren. "Jeder, der in Österreicher arbeitet, zahlt auch in die Sozialkassen ein", hält Verena dagegen.

Die Stimmung ist freundlich und sachlich. Tobias trägt ein blaukariertes Hemd, dazu Sakko, Brille. Er hat die Beine fest am Boden. Nicht nur metaphorisch. Er sitzt gerade. Verena, ganz in Schwarz und mit Sneakern, lehnt sich vor und zurück, schlägt die Beine übereinander. Beide sind gewandt, haben gute Argumente. Tobias Einwände rühren mehr aus der Sicht des Juristen, er kennt Gesetze und Rechtslage genau, denkt analytisch, formuliert oft geradezu technokratisch. Verena diskutiert praktischer und emotionaler, mehr aus dem Bauch heraus. Sie möchte persönlichere Antworten. "Wir sind ungefähr im selben Alter, und ich vermute, dass wir unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben müssen. Wir haben so krass anders empfundene Wahrheiten."

"Je netter wir die Menschen behandeln, die zu uns kommen, desto solidarischer werden sie sein", ist sie überzeugt. Und es gebe im Land auch Platz für Zuwanderer: "Wir haben einen Fachkräftemangel, die Kids, die hier ankommen, haben eine Perspektive."

Auch Tobias kennt bestens integrierte Zuwanderer. "Aber es ist naiv zu sagen, da kommen Tausende, und es wird alles gut." Ihm fehlt ein Konzept, ein Plan auf allen Ebenen im Umgang mit Zuwanderern. Dem würde Verena nicht einmal widersprechen. Aber andere Schlüsse ziehen. "Warum ist die Folge für dich dann eher, die Grenze dichtzumachen, als zu sagen, wir investieren Millionen in Deutschkurse, lassen Asylwerber gleich arbeiten, stärken die Rechte der zugewanderten Frauen, weil gerade die eine irrsinnig positive Triebfeder sein können?"

"Mein Blick ist ein bisschen negativer", gesteht Tobias. Schließlich würden wir ja teilweise schon daran scheitern, den eigenen Leuten das Zusammenleben zu erklären. Er zweifelt daran, dass wir unsere Gesellschaft so solidarisch aufrechterhalten können werden, wie sie aktuell ist. Dem Einwand, dass es uns allen so gut gehe wie noch nie, widerspricht er. "Mit Anfang 30 konnte man sich vor 20 Jahren locker einen Hauskredit leisten, das ist heute nicht mehr selbstverständlich." Als angehender Anwalt fühlt er sich aber nicht bedroht.

"Aber es ist naiv zu sagen, da kommen Tausende, und es wird alles gut", meint Beier.
Foto: Robert Newald für DER STANDARD

Gemeinsamkeit: Rauchgegner

Uneinig sind sich die beiden auch in der Frage, ob Österreichs Regierung gute Arbeit für die Zukunft des Landes leistet. "Die Koalition hat seit ihrem Antreten vor allem eins gemacht: Gesetze vollzogen, wie sie sind", sagt Tobias. Mit dem neuen Integrationsgesetz kann sich Verena nicht anfreunden. Abgesehen vom Thema offene Grenzen und dem Nichtraucherschutzvolksbegehren spielt Türkis-Blau heute Abend aber keine große Rolle. Beide haben Don't smoke unterschrieben, dass die Regierung das Ergebnis ignoriert, ärgert auch beide.

Wiederum nicht einig sind sie sich hinsichtlich Abtreibungen. Tobias stuft den Schutz des Ungeborenen höher ein als die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren. Er weiß, dass er als Mann nicht die Innenperspektive einer Frau einnehmen kann, die Verena vertritt. Aber er glaubt, dass die Entscheidung für eine Abtreibung häufig deshalb fällt, weil Unterstützung von Familie oder Staat fehlt. Gegen solche Faktoren müsste man etwas unternehmen können.

Einig werden sie sich am Ende nicht. Aber zwischendurch ist die Einladung zu einer Flasche Wein gefallen. (Stiller Zuhörer: Michael Wurmitzer, 21.10.2018)