Es war keine gute Nacht in Linz. In Urfahr ist es wieder zu Ausschreitungen arbeitsloser Jugendlicher gekommen. Autos brannten, Auslagenscheiben wurden eingeschlagen. Der Kollaps der Industrie durch den Verlust der Exportmärkte hat das einst so wohlhabende Oberösterreich zur wirtschaftlichen Krisenregion des Landes gemacht. Tagsüber bekämpfen sich verschiedene Jugendbanden – Traunviertler, Türken, Rumänen – oft blutig Donauufer, in der Nacht randalieren sie gemeinsam.

Illustration: Der Standard

Aber auch in Wien, Graz und Salzburg ist die Stimmung angespannt. Die Arbeitslosenzahlen steigen weiter, und wer seinen Job behalten will, muss Jahr für Jahr Lohneinbußen in Kauf nehmen.

Nur in den ländlichen Regionen sind die Menschen halbwegs zufrieden. Viele sind aus der Stadt zurück in die Dörfer gezogen, um etwas Landwirtschaft zu betreiben. Wegen der hohen Schutzzölle muss Österreich selbst für den Großteil seiner Nahrungsmittel aufkommen. Diese sind nun viel teurer als in der Zeit, als die EU noch ihre gemeinsame Agrarpolitik betrieben hat. Für Familien mit Kindern ist das eine schwere Belastung – für die neuen Landwirte aber eine Chance, dem allgemeinen Elend zu entkommen. Vor allem Bergbauern profitieren vom Klimawandel: Nach vielen Hitzewellen und jahrelanger Dürre wächst in den Alpentälern mehr als im Flachland.

Abgeschottete Märkte

Die EU: Noch gibt es sie, aber bloß als leere Hülle. Nach dem Brexit 2019 und dem Ausstieg von Schweden, Finnland und Dänemark 2023 haben die restlichen Mitgliedsstaaten den Binnenmarkt begraben und wieder neue Handelsschranken untereinander aufgebaut. Sie rechtfertigten dies als Reaktion auf den massiven Protektionismus der USA, wo Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit nicht nur die Bürgerrechte eingeschränkt, sondern auch den US-Markt hermetisch abgeschlossen hat. Aber zumeist gingen die europäischen Staaten gegeneinander, oft sogar gegen einen direkten Nachbarn vor: Deutschland gegen Frankreich, Österreich gegen Italien, Belgien gegen die Niederlande. Der einst so große europäische Markt wurde völlig fragmentiert, Konzerne zogen sich auf ihren Heimatmarkt zurück oder mussten Insolvenz anmelden.

Die wirtschaftlichen Rivalitäten verschärften die bestehenden politischen Spannungen. Nach dem ungarisch-rumänischen Krieg, den Viktor Orbán, Ungarns Präsident auf Lebenszeit, angezettelt hat, um die einstige Größe seines Heimatlandes wiederherzustellen, ergoss sich eine Flüchtlingswelle über den Kontinent, der die große Migration von 2015 in den Schatten stellte. Millionen von Rumänen vor allem aus Transsylvanien können seither nicht in ihre Heimat zurückkehren, erhalten aber keine Bürgerrechte in Österreich oder Deutschland, wo sich viele von ihnen niedergelassen haben, und fristen ein Dasein als Menschen zweiter Klasse. Bloß das sprachlich affine Frankreich zeigt sich gegenüber den Rumänen großzügig.

Schlechte Wirtschaftslage

Immer öfter schieben heimische Politiker die Schuld an der schlechten Wirtschaftslage den Ausländern zu – wobei manche schon in dritter Generation im Land leben. Dies tut auch der alternde Bundeskanzler Johann Gudenus, der in einer Koalition seiner FEPÖ (Freiheitliche Einheitspartei Österreichs) mit der Neuen Bauernpartei regiert. Ihr Versuch, die Frauen aus dem Arbeitsmarkt herauszudrängen, um so den Männern mehr Chance auf die wenigen verbliebenen regulären Jobs zu geben, funktioniert nicht. Zu viele Frauen leben heute allein und können ohne Verdienst nicht überleben. Schließlich wurde die Mindestsicherung gerade auf 75.000 Edelweiß – der Name der Währung, der nach dem Zerfall des Euro im Jahr 2030 eingeführt wurde – im Monat gesenkt. Damit kann man gerade Nahrung für eine Woche einkaufen. Unter den zehntausenden Insassen in den Gefängnissen, die zu echten Lagern ausgebaut werden, befinden sich nicht nur viele Bandenmitglieder, sondern auch einfache Menschen, die gestohlen haben, um zu überleben.

Nur eine kleine Elite bleibt von all diesen Sorgen unberührt. Sie lebt in umzäunten Stadtvierteln, wo sie sich sicher fühlt, und nutzt ihre eigenen Geschäfte, Schulen und Krankenhäuser – das meiste vollautomatisiert, damit man mit der Plebs erst gar nicht in Berührung kommt. Über das Leben hinter diesen Mauern gibt es nur Gerüchte. Auf der elektronischen Plattform Blaues Österreich, einem der beiden zugelassenen Medien, finden sich nur Geschichten über Sportler, Stars und Alltagshelden.

Konflikt um Südtirol

Gudenus heizt inzwischen den Konflikt mit Italien über Südtirol wieder an – um von den inneren Problemen abzulenken, sagen die einen; um nach 130 Jahren ein historisches Unrecht wieder gutzumachen, behauptet er. Zehn Jahre zuvor hatten italienische Einheiten den Angriff der österreichischen Gebirgsjäger in den Dolomiten bei Bruneck zurückgeschlagen. Anders als erwartet hatten sich die Südtiroler nicht in einem Volksaufstand erhoben. Doch jahrelange Hetze und die wirtschaftliche Misere in Italien haben auch südlich des Brenner den Nationalismus angeheizt. Nun hofft Gudenus doch noch, die Landsleute "heim ins Österreich" zu holen und einen letzten politischen Triumph zu erzielen.

Die EU-Kommission warnt die Regierung in Wien, hat aber nicht mehr Handhabe als der Vatikan. Weh tut Gudenus allerdings der Widerstand der Linksregierung in Berlin, wo die Erben der Langzeitkanzlerin Sahra Wagenknecht regieren. Bei einem neuerlichen Misserfolg in Südtirol dürfte es seiner FEPÖ schwerfallen, bei der nächsten Nationalratswahl die gewohnten 90 Prozent zu halten. (Eric Frey, 19.10.2018)