Christine Thürmer startet ihre Nordeuropa-Durchquerung am Nordkap. Distanz: 4.400 km

Foto: Christine Thürmer

Am Nordkap beginnt auch der europäische Fernwanderweg E1.

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Der Regen, der Wanderpfade in Schlamm verwandelt, ist im Norden Norwegens mitunter zermürbend.

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Scheint im kargen Norden Skandinaviens wieder die Sonne, kommt bei Thürmer auch die Wanderlust zurück.

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Immherhin finden Wanderer in Skandinavien häufig einfach zusammengezimmerte Hütten zur Übernachtung.

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Von Christine Thürmer ist im März 2018 das zweite Buch über ihre Outdoor-Erlebnisse erschienen. Es trägt den Titel "Wandern. Radeln. Paddeln – 12.000 Kilometer Abenteuer in Europa". Verlag Malik, 304 Seiten, € 17,50. Das gesamte Europa-Wanderprojekt hat sie erst nach Erscheinen des Buchs im September 2018 abgeschlossen.

Foto: Verlag Malik

Christine Thürmer ist schwer zu erwischen, sie ist einem immer einen Schritt voraus. Oder sind es vielleicht ein paar mehr? 15.700 Kilometer hat die Deutsche soeben zu Fuß zurückgelegt, nun legt sie nach ihrem sechs Jahre dauernden Gewaltmarsch durch 16 Länder Europas einmal kurz die Beine hoch.

Wir erreichen Thürmer telefonisch in der Bleibe einer Freundin in Berlin, die sie immer dann bezieht, wenn sie gerade nicht wandert. Das ist selten. Die heute 51-Jährige ist seit elf Jahren fast ständig unterwegs, mit nur fünf Kilogramm Gepäck. Eine eigene Wohnung besitzt sie nicht mehr, den Rest ihres Hab und Guts hat sie in einem Self-Storage-Abteil gelagert. Wie ist es dazu gekommen?

Ironie des Schicksals

Im Alter von 36 Jahren wird Thürmer überraschend gekündigt. Eine Ironie des Schicksals, wie es scheint: Bis dahin hatte sie einen gutbezahlten Job als Managerin und war für Unternehmenssanierungen – sprich Kündigungen – verantwortlich. Also beschließt die eigentlich unsportliche Frau, sich erst einmal eine kleine Auszeit zu nehmen und ein bisschen zu wandern. Dafür fliegt sie in den Westen der USA, beginnt auf dem Pacific Crest Trail zu spazieren – und hört einfach nicht mehr auf zu gehen. Nach 4.260 Kilometern hat sie das andere Ende des Fernwanderwegs erreicht.

German Tourist

Thürmer gilt heute als "meistgewanderte Frau" der Welt, 43.000 Kilometer hat sie bis dato zu Fuß zurückgelegt. Man gab ihr den Spitznamen "German Tourist", irgendwo unterwegs, zwischen Kalifornien und Neuseeland. Aber das "Europa-Projekt", wie sie ihre Wanderung von Westen nach Osten und von Norden nach Süden durch den Kontinent nennt, scheint ihr besonders am Herzen zu liegen. Von ihrem Matratzenlager in der Berliner Bleibe aus sagt sie ins Telefon: "Schon nach ein paar Hundert Kilometern bin ich zur begeisterten Europäerin geworden!" Alles klar, Frau Thürmer. Aber wo in Europa würden Sie unsereins für eine gemütliche Herbstwanderung hinschicken – und wohin nicht?

Rumänien

"Die Schönheit Osteuropas hat mich am allermeisten überrascht", sagt Thürmer. Dort war sie überwiegend auf dem europäischen Fernwanderweg E3 unterwegs, der in Zukunft von der Iberischen Halbinsel bis zum Schwarzen Meer führen soll. Doch an vielen Stellen weist er noch Lücken auf. Eine davon wurde 2017 vom Siebenbürgischen Karpatenverein in Rumänien geschlossen. Diese 683 Kilometer durch das rumänische Westgebirge und die Banater Berge hat Thürmer vermutlich als Erste zur Gänze begangen. Die landschaftlich reizvollsten Abschnitte liegen bei Dubova an der serbischen Grenze und bei Baia de Criș (Deutsch: Altenburg) in Siebenbürgen. Noch etwas hat Thürmer an Rumänien fasziniert: "Wenn du dort alleine unterwegs bist, bleibst du nicht lange alleine. Irgendwer hält immer mit dem Auto an und fragt, ob er helfen oder dich mitnehmen kann."

Norwegen

"Skandinavien ist der Traum vieler Wanderer, weil es dort so einsam ist. Aber ehrlich gesagt, war es mir dort zu einsam – man lernt unterwegs nur selten Menschen kennen", meint Thürmer. Nach ihren Wanderungen durch die USA war sie grundsätzlich überrascht, dass man in Europa vielerorts gar niemanden begegnet. Das liegt daran, hat sie herausgefunden, dass in den USA jeder auf den markierten Wegen bleibt, in Europa dagegen gibt es immer Alternativen. Während andere von Wanderungen durch Norwegen schwärmen, zählte der norwegische Abschnitt des E1 vom Nordkap bis nach Schweden für Thürmer zu den schlimmsten Erfahrungen: "Bei Regen wanderst du kilometerweit nur durch Schlamm, und unterwegs fressen dich die Gelsen auf."

Belgien

"An welches Land in Europa denken Sie garantiert nicht, wenn es ums Wandern geht? Genau, Belgien!", scherzt Thümer. Die Wanderwege GR14 und GR16 führen mitten durch die Ardennen und ziehen vor allem historisch Interessierte wegen der gleichnamigen Offensive der Deutschen zwischen Dezember 1944 und Jänner 1945 an. "Solche Orte sollte man als Europäer kennen, zumal das Baugnez Historical Centre ein wirklich informatives Geschichtszentrum ist." Auch landschaftlich gibt es dort außerordentlich schöne Abschnitte: Die Wege entlang des Flusses Semois haben es Thürmer besonders angetan.

Spanien

"Ach, in den letzten Jahren wurde so viel über den spanischen Jakobsweg geschrieben. Aber ich kann die Begeisterung nicht im Geringsten nachvollziehen", sagt Thürmer. Vor allem die klassischen Abschnitte des Camino del Norte empfand sie als "Massenabfertigung für Wandertouristen", die Wege verlaufen viel zu oft auf asphaltierten Straßen. Thürmer: "Dabei gibt es gerade in Spanien wirklich traumhaftes Terrain für Wanderungen. Die Wege durch den andalusischen Naturpark Sierras de Cazorla zählen zu den schönsten, die ich kenne." (Sascha Aumüller, 25.10.2018)