Der Flohmarkt, als er letztes Jahr sein 40-jähriges Jubiläum feierte. Nun sollen die Stände früher schließen.

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Seit 1977 werden am Flohmarkt am Naschmarkt allerhand Antiquitäten und Alltagsgegenstände verkauft. Mehrmals wurde versucht, ihn zu beschneiden.

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Doch nur ein Laubblatt. Der Mann in der abgetragenen Winterjacke wirft es weg. Vielleicht hatte er es für einen Ohrring gehalten, als er danach griff. Oder für eine kleine Brosche. Manches von dem, was sie nicht verkaufen, lassen die Marktstandler hier am Naschmarkt-Flohmarkt liegen, wenn sie gehen. Einen großen, leeren Koffer und einen Trolley voller Kleinkram konnte der Mann in der Winterjacke heute ergattern.

Männer wie er sind oft Schwarzhändler und der offizielle Grund, warum der Flohmarkt seit Anfang Oktober nicht mehr wie früher um 18.00 Uhr, sondern um 14.00 Uhr schließt. Sie, und der Müll, den sie hinterlassen. Schon um zehn vor zwei steht darum ein Mann von der Marktaufsicht am Eingang und schreit lauthals "Marktschluss um 14 Uhr!" "18 Uhr!", rufen manche Händler zurück, "Protest!" ein Kunde.

Keine Zeit für Schwarzhandel

Man komme mit der früheren Schließung dem Wunsch einiger Platzkartenbesitzer nach, heißt es vom zuständigen Magistrat 59. Sie würden ohnehin früher gehen, weil sie genug verdient haben, sagt Sprecher Alexander Hengl. Weil sie nun bis spätestens 15.00 Uhr das Feld geräumt haben müssen, könne die MA 48 nun auch schon früher mit der Reinigung beginnen, den Schwarzhändlern soll keine Zeit gelassen werden, sich zu platzieren.

Die Standgebühr, die die legalen Verkäufer bezahlen müssen, bleibt trotz frühzeitiger Schließung gleich. Um 14 Uhr beginnen sie heute brav, Teppiche zusammenzufalten, Kleider in Ikea-Taschen zu stecken und Porzellanteller in Zeitungspapier zu wickeln. "Idiotisch", murmelt ein Mann, während er Bilderrahmen abhängt. "Viel zu früh", sagt ein anderer, der noch dabei ist, seine Lederschuhe den Passanten anzupreisen. "Ich war immer bis 17 Uhr da", sagt er, "mir entgeht ein Haufen Kundschaft." Die paar Schwarzhändler, meint er, würden das nicht rechtfertigen. Er zeigt auf seinen Nachbarn, der gerade eine Gugelhupfform in eine Kiste steckt: "Er braucht zwei Stunden zum Auf- und zum Abbauen. Ihm bleiben gerade mal vier, fünf Stunden zum Verkaufen." Der Nachbar legt die Kiste aus der Hand und zeigt Richtung Naschmarkt, wo das Magistrat in einer kleinen grünen Holzhütte sein Büro hat. "Warum kommen sie nicht her und machen ihre Arbeit? Dann könnten wir länger verkaufen?"

Sparmaßnahmen des Marktamts

Verstärkte Kontrolle, so die Meinung vieler Standbesitzer, könnte den Schwarzhandel und den damit verbundenen Müll eindämmen, auch ohne frühere Schließung. Jeden Samstag wären zehn Leute im Dienst, sagt Marktamtssprecher Hengl, sie würden über 100 Übertretungen feststellen. Deswegen sei der Flohmarkt ein Minusgeschäft für das Amt: Kontroll- und Putzkosten übersteigen das, was man mit den Standgebühren einnimmt. Die logische Konsequenz: gleich viel einnehmen, weniger ausgeben.

Das sei nicht der erste Versuch, den Flohmarkt zu beschneiden, erzäht Erich Dimitz, der Leiter des Bezirksmeums im sechsten Bezirk. In den 80ern sollte er nach Aspern abgesiedelt werden, Hundertwasser sei einer der ersten Unterzeichner einer Petition dagegen gewesen, "und auch Schmetterlinge wie der Ostbahn-Kurti" hätten sich dagegen starkgemacht. Der Flohmarkt blieb.

Händler protestieren

In einem Aschenbecher an einem Stand liegt ein roter Button: "Weniger Flohmarkt: Verlust für alle!" steht drauf. Unter manchen Händlern formiert sich Protest, Unterschriften werden gesammelt, einzelne murmeln von Streik. Die Initiative FreundInnen des Wiener Flohmarkts – sie wird getragen von ehemaligen grünen Bezirksräten – versucht, in einem offenen Brief an Stadträtin Ulli Sima und Bezirksvorsteher Markus Rumelhart (beide SPÖ) zu mobilisieren.

Mittlerweile haben fast alle Standler zusammengepackt. Zurück bleiben einzelne Schuhe, kaputte Schallplatten und leere Kaffeebecher. Dann kommen die Trolleys: Menschen jeden Alters und jeder Herkunft wühlen in dem, was noch übrig ist, und stecken abgegriffene Fotoalben und Stofftiere in ihre Einkaufswagen. Am Rand des Flohmarktgeländes versuchen sie, noch ein, zwei Euro dafür zu bekommen.

Einer von ihnen ist der Herr in der abgetragenen Winterjacke. Kurz nachdem er das Blatt wegwirft, kommt ein Polizist. Er solle mit seinem Zeug verschwinden, sagt dieser, "sonst kommt der Wagen und alles ist im Mistkübel". (elas, 20.10.2018)