Die SPÖ habe sich immer für Toleranz eingesetzt, sagt Thomas Drozda. Diese Toleranz fordert er auch für sich ein.

Foto: Corn

Franz Vranitzky sei durch die Bezeichnung "Nadelstreif-Sozialist" wirklich beleidigt gewesen, das sei ihm unter die Haut gegangen, erinnert sich Thomas Drozda.

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Die Kärntner sind sauer, weil Luca Kaiser, Sohn des Landeshauptmannes, nicht auf den aussichtsreichen sechsten Platz gereiht wurde. Das sei aber eine demokratische Entscheidung im Parteivorstand gewesen, sagt Drozda.

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Seit drei Wochen ist Thomas Drozda als SPÖ-Bundesgeschäftsführer im Amt. Die Statutenreform wurde zum Ärger vieler Parteimitglieder erst abgesagt, dann entschärft. Bei den Genossen stieß auch der persönliche Lebensstil von Drozda auf Kritik.

STANDARD: Hat die SPÖ Angst vor ihren Mitgliedern? Die geplante Mitbestimmung im Parteistatut wurde ordentlich zusammengestrichen.

Drozda: Angst ist immer ein schlechter Ratgeber, Angst vor den Mitgliedern wäre ein besonders schlechter. So ist es nicht. In der Frage des Koalitionsübereinkommens sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es Aufgabe des Bundesparteivorstands ist, die Diskussion zu führen und eine Entscheidung zu treffen.

STANDARD: Es darf also von den Mitgliedern nur mitbestimmt werden, wenn der Parteivorstand das will?

Drozda: Der Parteivorstand entscheidet darüber, ob über ein Koalitionsabkommen eine Befragung stattfindet.

STANDARD: Der vorherige Entwurf war deutlich mutiger, oder?

Drozda: Man muss schon darüber nachdenken, wo direktdemokratische Elemente sinnvoll sind. Was wir jetzt gemacht haben, ist ein Kompromiss. Es muss ein Procedere geben, das sicherstellt, dass es zu raschen und klaren Entscheidungen kommt. Ein Parteivorstand kann innerhalb eines Tages entscheiden. Die Basis abstimmen zu lassen, würde eine wochenlange Diskussion parallel zu den Koalitionsverhandlungen bedeuten. Der Parteivorstand wird sehr genau abwägen, was die Argumente für eine Mitgliederbefragung oder dagegen sind.

STANDARD: Was soll denn dagegensprechen?

Drozda: Dass man der Meinung ist, dass das ein so gutes Ergebnis ist, das man so abschließt und nicht wochenlange Befragungselemente durchführt.

STANDARD: Christian Kern hatte sich vom neuen Parteistatut frischen Wind und neue, jüngere Mandatare erhofft. War das naiv?

Drozda: Nein, es gibt weiterhin die Gastmitgliedschaften, es gibt die Themensektionen, wo sich Leute abseits der traditionellen Strukturen einbringen können. Was für einen größeren Beweis für unsere Offenheit gibt es als die Designierung der Pamela Rendi-Wagner als Parteivorsitzende? Wenn Sie sich die Liste für die EU-Wahl anschauen: Das ist die jüngste Liste, mit der wir jemals angetreten sind. Julia Herr, die Vorsitzende der Sozialisten Jugend, kandidiert auf dem sechsten Listenplatz.

STANDARD: Dafür wurde Luca Kaiser, der Sohn des Kärntner Landeshauptmanns, nach hinten gereiht. Gab es da Diskussionen im Parteivorstand?

Drozda: Ja, da gab's Diskussionen. Es stimmt, die Kärntner sind enttäuscht. Aber es war immer klar, dass der sechste Listenplatz für eine Frau reserviert ist. Das Reißverschlusssystem ist bei uns statutarisch so festgelegt, dass es da keinen Spielraum gibt.

STANDARD: Das sehen die Kärntner aber anders.

Drozda: Ja. Aber es ist eine demokratische Entscheidung gewesen. Ich verstehe das Argument der Kärntner. Die wollen ihre Leistungen respektiert und anerkannt sehen. Gerade Peter Kaiser hat nicht nur als Landeshauptmann tolle Arbeit geleistet, sondern auch parteiintern immer die Ärmel hochgekrempelt, wenn es heikle Situationen gab. Insofern hätten wir ihm gern mit einem besseren Listenplatz geholfen.

STANDARD: Hat der Tweet von Luca Kaiser, in dem er Österreich als "Nazion" bezeichnet und Kickl "scheiße" findet, bei der Entscheidung auch eine Rolle gespielt?

Drozda: Nein, das war kein Thema.

STANDARD: Andreas Schieder als Spitzenkandidat ist zwar ein Profi, aber nicht unbedingt ein Zeichen für Erneuerung. In Wien ist er gescheitert, dann musste er seinen Platz als Klubobmann räumen. Man könnte meinen, er wird in Brüssel versorgt.

Drozda: Jemand, der 25 Jahre Politik macht, hat alle Voraussetzungen, den ersten Listenplatz einzunehmen. Ich glaube, dass man mit seriöser Sachpolitik punkten kann. Peter Kaiser ist der beste Beweis dafür. Andreas Schieder ist der Peter Kaiser für die EU-Liste. Er hat die Kompetenz, die Erfahrung und das Netzwerk. Er wird auch gegenüber einem starken Mitbewerber aus der ÖVP überzeugen, gegenüber einem Unsympathler wie Harald Vilimsky sowieso.

STANDARD: Bei den Genossen wurde mehrfach Ihre Uhr thematisiert, die angeblich extrem teuer ist. Welche Uhr steht einem Sozialdemokraten gut zu Gesicht?

Drozda: Ich habe als Kind der 70er-Jahre wirklich Chancen gehabt. Ich hatte eine gute Schulausbildung und konnte als Erster in meiner Familie studieren. Ich habe für zwei Kanzler gearbeitet und zwei Topmanagementfunktionen im Kulturbereich gehabt. Ich habe während der Zeit gut und sehr gut verdient und habe eigentlich keine Lust zu erklären, wofür ich mein Einkommen ausgebe. Ich will und werde mich nicht rechtfertigen.

STANDARD: Sie sind auch als Bobo gebrandmarkt worden. Wie viel Bobo darf ein Sozialdemokrat sein?

Drozda: Ich finde diese Debatte ja noch interessanter als die Debatte um die Uhr, weil es am Ende gegen alles ist, wofür die Sozialdemokratie fast 130 Jahre gekämpft hat. 1968 hat Kreisky Leistung, Aufstieg, Sicherheit plakatiert. Und jetzt macht man denjenigen, die diese Chancengleichheit vorgefunden haben, die durch Leistung und viel Glück den Aufstieg geschafft haben, zum Vorwurf, dass sie ins Theater und in die Oper gehen? Man sollte eine gewisse Toleranz walten lassen, wie jemand sein Leben verbringt. Für diese Toleranz ist die Sozialdemokratie immer gestanden.

STANDARD: Bei Alfred Gusenbauer ist dessen Vorliebe für guten und teuren Wein thematisiert worden, bei Christian Kern sein Faible für Slim-Fit-Anzüge. Sie tragen gern ausgefallene Anzüge. Wie viel Lifestyle ist für einen sozialdemokratischen Spitzenpolitiker verträglich?

Drozda: Einer der Menschen, die mir am nächsten sind und die ich am meisten bewundere, ist Franz Vranitzky. Ich habe ihn als wirklich großen Kanzler erlebt, jetzt ist er ein enger, persönlicher Freund in allen Lebenslagen. Ihn hat nichts mehr beleidigt als das dumme Wort des Nadelstreifen-Sozialisten. Das ist eine Zuschreibung, die genauso sinnvoll ist wie die mit dem Slim-Fit-Anzug. Ihm ist das wirklich unter die Haut gegangen. Er hat sich für die Partei reingehaut, hat unter den schwierigsten Umständen das Amt übernommen, hat die Partei konsolidiert und zu Wahlsiegen geführt, hat gegen Widerstände den EU-Beitritt durchgeführt. Er ist ein Titan. Und dann bleibt so eine dümmliche Zuschreibung? Die Menschen in der Politik sollten an dem gemessen werden, was sie da zusammenbringen, und nicht an der Frage, ob sie einen zweireihigen Anzug tragen und ob sie sich für die Dreiknopfvariante mit oder ohne Weste entschieden haben. Das ist politisch irrelevant. Es ist auch ein Zeichen des Zustands unserer Gesellschaft, dass man diese Diskussionen mit der Intensität führt.

STANDARD: Sie werden diese Diskussionen nicht verhindern können.

Drozda: Eh. Aber billigen Sie mir bitte zu, dass ich mich an diesen Diskussionen, die ich für oberflächlich, um nicht zu sagen: für stumpfsinnig halte, nicht beteilige. (Michael Völker, 20.10.2018)