Die Mitglieder der türkis-blauen Regierung leben in einer gefährlichen Welt. In einer Welt, in der die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit der Republik "ernsthaft bedroht" ist. Ein solches Szenario ist nämlich Voraussetzung dafür, dass ein EU-Mitgliedstaat Kontrollen an seinen Binnengrenzen durchführen darf. Mit der Realität hat das nur wenig zu tun.

Die Zahl der aufgegriffenen Personen ist schon im Vorjahr auf ein Niveau gesunken, das dem langjährigen Schnitt vor dem Massenmigrationsjahr 2015 entspricht. Bis August des heurigen Jahres gab es nur 9337 Asylanträge, was einem neuerlichen Rückgang um 50 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Diese Zahlen kommen nicht von Flüchtlings-NGOs, die Herbert Kickl feindlich gesinnt sind, sondern können ganz offiziell auf der Homepage des Innenressorts abgerufen werden. Nachzulesen ist dort auch, dass die Kriminalitätszahlen seit Jahren stabil bis leicht rückläufig sind. Es zeigt sich also: Das Jahr 2018 ist ein ziemlich gewöhnliches.

Normalität und nüchterne Fakten passen aber nicht zum subjektiven Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung, das alleiniger Maßstab für diese Koalition zu sein scheint. Deshalb sollen nun die Kontrollen an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien neuerlich um sechs Monate verlängert werden. Aus Sicht der Freiheitlichen ist das nur konsequent. Sie wollen kein offenes Europa. Sebastian Kurz spielt mit, weil er immer mitspielt, wenn es um vermeintlich Populäres geht.

Da die Rationalität in Wien (aber auch in Deutschland und einigen weiteren Staaten) vor der Europawahl nicht mehr einkehren wird, ist nun Brüssel gefordert. Die EU-Kommission hat in letzter Konsequenz die Möglichkeit, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Sie sollte ihre Rolle als Hüterin der Verträge ernst nehmen und sich nicht zum Erfüllungsgehilfen jener machen, die für dumpfen Nationalismus stehen. (Günther Oswald, 19.10.2018)