Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sieht den Verteilungsschlüssel des Bundes als inakzeptabel an.

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Wien – Die Stadt Wien verzichtet auf alle offenen Forderungen aus dem mit Jahresbeginn aufgehobenen Pflegeregress. Das haben Bürgermeister Michael Ludwig und Sozialstadtrat Peter Hacker (beide SPÖ) am Dienstag bekanntgegeben. Darunter fallen auch bereits rechtskräftig gewordene Titel und im Grundbuch eingetragene Pfandrechte. Alle Forderungen sind damit gegenstandslos, die Exekutionsverfahren werden gestoppt, betonten die Politiker.

Raus aus dem Grundbuch

Nach dem Spruch des Verfassungsgerichtshofs, wonach auch bei Pflegeforderungen, die vor dem 1. Jänner 2018 entstanden sind, kein Zugriff auf das Vermögen mehr erfolgen darf, erklärte der Fonds Soziales Wien (FSW) noch im Juli, dass zwar Barforderungen weitestgehend zurückgezogen würden, der FSW aber vorerst im Grundbuch eingetragen bleibe. Jetzt wird die Stadt "mehrere Hundert Grundbücher" schließen, erklärte Hacker. Insgesamt belaufen sich die Kosten, die auf Wien allein durch Forderungsabschreibungen zukommen, auf rund 26 Millionen Euro.

Kritik übte Hacker daran, dass der Bund es bisher verabsäumt habe, eine entsprechende Durchführungsgesetzgebung samt Übergangsbestimmungen zu beschließen. Damit seien Gerichtsverfahren "auf dem Rücken der Betroffenen" zur Klärung der Sachlage nötig gewesen. Zudem hätten jene, die nicht gezahlt haben und vor Gericht gegangen sind, jetzt einen Vorteil. Betroffene, die etwa ihre Erbschaft als Beitrag eingesetzt hätten, "bekommen keinen Cent".

Als "völlig inakzeptabel" bezeichnete der Stadtrat den Aufteilungsschlüssel der Bundesregierung. Zur Deckelung der Kosten, die durch die Abschaffung des Pflegeregresses auf die Länder zukommen, will der Bund 340 Millionen Euro zur Verfügung stellen. 16,6 Prozent, rund 56,5 Millionen Euro, entfallen davon auf Wien. Es könne nur ein "Missverständnis" sein, so Hacker, dass bei einem Bevölkerungsanteil von 21,4 Prozent und einem Anteil von 18,9 Prozent der Bevölkerung im Alter von über 65 Jahren die Finanzierung für Wien so niedrig ausfalle.

"Parteipolitische Verschiebung"

Dass die Steiermark rund 60,6 Millionen Euro und damit 17,8 Prozent der Mittel bei nur 14,1 Prozent der Gesamtbevölkerung und 15,1 Prozent der über 65-Jährigen erhalte, zeige, dass es "nicht um die Sache, sondern um eine parteipolitische Verschiebung" gehe. Auch Nieder- (56,6 Millionen) und Oberösterreich (58,9 Millionen) erhalten bei niedrigerem Bevölkerungsanteil mehr Ressourcen.

Laut Hacker entspreche die Verteilung nicht der Finanzplanregelung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Darum sei der Konsultationsmechanismus, eine "Fair-Play-Regelung", wie Hacker es nennt, ausgelöst worden. Notfalls will die Stadt auch rechtliche Schritte bis zum Verfassungsgerichtshof unternehmen. Es gehe nicht um eine neue Verteilung des Geldes, sondern darum, dass der Bund mehr zahlen müsse. 340 Millionen Euro seien keine vereinbarte Höchstgrenze, es gebe eine "scharfe Abrechnung der tatsächlichen Mehrkosten", stellte Hacker klar.

60.000 in Pflege

Und diese sind in Wien höher als 56,5 Millionen Euro: Allein im ersten Halbjahr seien Kosten von rund 48 Millionen Euro angefallen, berichtet Hacker. Im gesamten Jahr geht man von 75 Millionen Euro aus, so Hacker, der im nächsten Jahr eine "wesentlich höhere" Summe erwartet.

In Wien werden rund 60.000 Menschen pflegerisch betreut, erklärte Ludwig. Davon befinden sich 22.200 Personen in 91 Wohnheimen, 35.990 in mobiler Pflege und 2.190 in Tagesbetreuung. Diese Zahlen, so Ludwig, dürften in den kommenden Jahren ob des "überproportionalen Anwachsens der älteren Bevölkerung" weiter steigen.

"Überfälliger" Rückzug

"Der heute angekündigte Rückzug war mehr als überfällig", reagierte der Landesparteiobmann der ÖVP Wien, Gernot Blümel. "Damit wird eine monatelange Verunsicherung der Wienerinnen und Wiener endlich beseitigt", betonte Gesundheitssprecherin Ingrid Korosec. (Oona Kroisleitner, 23.10.2018)