Wien – Die Liste der Kritiker ist lang. Zahlreiche Akteure des Gesundheitssystems haben in den vergangenen Wochen mit Unterstützung von Verfassungsexperten Bedenken gegen die von der Regierung geplante Sozialversicherungsreform angemeldet. In einigen Bereichen wurden nun noch kleinere Änderungen vorgenommen, wie Regierungsvertreter am Dienstagabend erläuterten. Am Mittwoch wird das Paket vom Ministerrat abgesegnet, Mitte Dezember soll es das Parlament passieren.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein im Parlament am Mittwoch.
ORF

Zur Erinnerung die Eckpunkte der Reform und wo Türkis-Blau noch nachgebessert hat:

  • Fünf Träger Aus 21 Sozialversicherungsträgern werden fünf. Die neun Gebietskrankenkassen werden zu einer Österreichischen Gesundheitskasse fusioniert. Selbstständige und Bauern kommen ebenso zusammen wie Beamte und Eisenbahner. Bei den GKKs soll es zu einer Leistungsharmonisierung kommen. Dabei handelt es sich aber nur um eine politische Willensbekundung. Umgesetzt werden müsste sie von der Selbstverwaltung. Selbstständige und öffentlich Bedienstete werden weiter andere Leistungssysteme und Selbstbehalte haben.

    Die alte Struktur:

Die neue Struktur:

  • Macht Das Machtgefüge innerhalb der Sozialversicherung wird neu geregelt. Bisher hatten die Arbeitnehmervertreter in den geschäftsführenden Gremien der Gebietskrankenkassen (GKK) eine Mehrheit. Künftig gibt es Gleichstand zwischen Dienstgebern und -nehmern. Mehrere Verfassungsrechtler halten diese Stärkung der Arbeitgeber für verfassungswidrig. Die Regierung hält an der Parität fest. Eine kleine Adaption gibt es aber: Bei wichtigen Entscheidungen (etwa über neue Verträge) sind doppelte Mehrheiten nötig – also sowohl innerhalb der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber.

    Zur Untermauerung der Zulässigkeit des Vorhabens hat man eine eigene Expertise des Verfassungsrechtlers Bernhard Raschauer eingeholt, der keinen "unsachlichen" Eingriff in die Selbstverwaltung erkennen kann.

    Ebenso als bedenklich wurde in der Begutachtung die Ausweitung der Aufsichtsrechte des Sozial ministeriums gesehen. Gibt es beispielsweise bei Fusionsbeschlüssen keinen Konsens in der Selbstverwaltung, kann das Ressort direkt entscheiden. Auch der Verfassungsdienst des Justizressorts hat Ministerweisungen kritisch hinterfragt. Es bleibt dennoch dabei. Regierungsberater Raschauer argumentiert, dass die "Willens bildung" der Selbstverwaltung insgesamt nicht gefährdet sei.

    Vorgenommen wurden auch hier nur kleinere Änderungen. Das Sozialressort kann nicht einfach Tagesordnungspunkte der SV-Gremien absetzen, sondern nur eine Verschiebung erwirken. Abgeschwächt wurden dafür die Rechte jener vom Finanz- und Sozialministerium bestellten Manager, die die Fusionen vorbereiten sollen.
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  • Einsparungen Wie berichtet gab es eine Groteske um die angeblichen Einsparungen durch die Reform. Die Regierung sprach von einer Milliarde Euro bis 2023, im Entwurf waren aber nur 33 Millionen abgebildet, was auch der Rechnungshof kritisierte. Die nunmehrige Lösung: Es wird ergänzt, dass man die Milliarde für möglich hält, sie wird aber nicht als Einsparung bei den Gebietskörperschaften ausgewiesen.

  • Prüfer zur Finanz Umstritten war weiters die Verlagerung der Gebietskrankenkassenprüfer zur Finanz. Sie wird dennoch kommen, allerdings darf die Selbstverwaltung jedenfalls Einzelfallprüfungen anregen. Damit reagiert man auf Bedenken, dass die Finanz womöglich weniger scharf kontrolliert – etwa bei Verdacht auf Scheinselbstständigkeit.

    Zur Zulässigkeit der Transferierung der GKK-Prüfer an die Finanz hat das Finanzministerium ein weiteres Gutachten beim Uniprofessor Harald Stolzlechner in Auftrag gegeben. Laut ihm verstößt eine neue Prüforganisation beim Finanzministerium nicht gegen die "verfassungsrechtlichen Grundlagen der Selbstverwaltung", solange die Beitragseinnahmen "in vollem Umfang und rechtzeitig" an die Gebietskrankenkassen weitergeleitet werden.

    Die Finanz erwartet sich durch die neue Prüfeinheit jedenfalls mehr Effizienz. Derzeit gebe es 19 verschiedene Prüforgane (neun GKKs, zehn zuständige Finanzämter) mit ebenso vielen Kulturen und Schwerpunkten. Das neue System solle eine einheitliche Auslegung der Bundesabgabenordnung und somit mehr Rechtssicherheit für die Arbeitgeber bringen, erklärten Experten des Finanzressorts dem STANDARD. Auch bei der Auswahl der zu prüfenden Fälle ortet man gegenüber dem aktuellen Prüfverhalten der Krankenkassen Verbesserungspotenzial. Betriebe, bei denen die Analysetools geringe Risiken von Vergehen nahelegen, könnten auch weniger häufig geprüft werden.

  • Bezahlung Den Widerstand der Gebietskrankenkassen führt man unter anderem auf die derzeit bessere Bezahlung der GKK-Prüfer zurück. Verwiesen wird auf Zulagen, die es zusätzlich zum in der Dienstordnung vorgesehen Gehalt gebe und die von Krankenkasse zu Krankenkasse unterschiedlich hoch ausfallen können. Genannt werden Überstundenpauschalen und Außendienstzulagen. Im Schnitt würden die GKK-Prüfer rund 20 Prozent mehr verdienen als ihre Finanzkollegen. Diese Größenordnung wird auch bei der WGKK bestätigt. Während man aber im Finanzressort ein intransparentes System beklagt, wird in der Sozialversicherung auf unterschiedliche regionale Gegebenheiten verwiesen. So müssten Prüfer in größeren Bundesländern auch größere Distanzen zurücklegen, weshalb die Außendienstzulage unterschiedlich ausfallen könne.

    Nach der Zusammenlegung der Mitarbeiter könnte es für die bisherigen GKK-Prüfer durchaus weniger geben. Zwar soll nicht in die Dienstordnung (vergleichbar einem Kollektivvertrag) eingegriffen werden. Zulagen könnten allerdings durchaus neu geregelt werden, heißt es im Finanzministerium. Damit werde sich die neue Österreichische Gesundheitskasse zu beschäftigen haben. (Günther Oswald, 24.10.2018)