Alternativmedizin soll künftig Ärzten "vorbehalten" sein, so steht es in einem Gesetzesentwurf des Gesundheitsministeriums. Das heißt auch: Der Hausarzt könnte uns demnächst Engelsspray statt Salbe verschreiben und Rekonvaleszente zur Seelen-Rückführung schicken statt zur Kur. Der Kinderarzt wird mit den spirituell sensibilisierten Eltern die Aura ihres Indigo-Kindes erörtern, anstelle es gegen Kinderlähmung zu impfen.

Eine Auseinandersetzung mit der Pseudomedizin ist überfällig. Sie wird aber nicht damit gewonnen werden, Ärzte mit der Lizenz zur Scharlatanerie auszustatten. Ein paar Anregungen zu einer notwendigen Radikalisierung der Debatte.

1. Wissenschaftlichkeit kennt keine Alternative

Der Gesetzesentwurf zum Berufsbild des Arztes birgt einen Widerspruch in sich. Wenn die ärztliche Aufgabe als "jede auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit einschließlich komplementär- und alternativmedizinischer Heilverfahren" definiert wird, kann man gleich sagen: Der Arzt ist der Wissenschaft verpflichtet, er kann aber auch darauf pfeifen. "Alternative Heilverfahren" scheuen wissenschaftliche Evidenz wie der Teufel das Weihwasser. Mit den Begriffen "komplementär- und alternativmedizinisch" verschafft der Gesetzgeber den sorgsam gepflegten Euphemismen von Pseudomedizin und esoterischer Scharlatanerie Zugang zu Praxen und Kliniken. Auch auf die Gefahr hin, das Phrasenschwein füttern zu müssen, man muss es offenkundig wiederholen: Wenn etwas wirkt und heilt ist es Medizin. Weil sie es nicht tut, ist sie keine "Alternativ"- sondern Pseudomedizin. Und die hat im Berufsbild des Arztes nichts zu suchen. Unabhängig davon, ob es seitens der Patienten eine Nachfrage danach gibt.

Alternativmedizin soll laut Ministerium nur mehr Ärzten vorbehalten sein.
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2. Alternativmediziner sollten als Heilpraktiker agieren

Drehen wir den Spieß doch einfach um. Wenn Pseudomedizin nicht zum Beruf des Arztes passt, haben Pseudomediziner als Ärzte keine Berechtigung. Homöopathen – um ein Beispiel zu nennen – agieren per definitionem bei der Medikation von Globuli und Co nicht auf der Basis von Wissenschaft und Evidenz. Sie sind im Gewerbe der Heilpraktiker besser aufgehoben als bei der Ärztekammer. Dank der Wirtschaftskammer erhalten allerlei Fantastereien eine gewerberechtliche Zulassung. Natürlich ist es zunächst harter Tobak für einen Mediziner, in einem Atemzug mit Aurabild-Deutern, Reiki-Praktikern und Numerologen genannt zu werden. Andererseits sind Statusängste unbegründet: Die Honorarsätze gewiefter esoterischer Dienstleister stehen jenen von Ärzten mit Sicherheit um nichts nach. Dabei sei Homöopathen und anderen Pseudomedizinern gar nicht unterstellt, sie würden ihren Klienten als Heilpraktiker evidenzbasierte Medizin durch die Bank verweigern. Als wissenschaftlich ausgebildete Personen können und werden sie ernsthaft Erkrankte nach wie vor jederzeit an Ärzte verweisen und ihnen Therapien und medikamentöse Behandlungen nahelegen – vermutlich nicht mehr und nicht weniger als das bisher der Fall ist.

3. Keine Kurpfuscher, keine Heilpfuscher

Wenn der Gesetzgeber und die Ärztekammern Wissenschaftlichkeit ernst nehmen, müssten sie in Sachen Alternativmedizin Nägel mit Köpfen machen. Der Gesetzesentwurf ist das Gegenteil davon: er ist eine schwammige Verbrüderung mit Harry-Potter-Praktiken unter dem Vorwand, dass man selbst verantwortungsbewusster zaubert als die jungen Schüler in Hogwarts. Für Energetiker, die als "Heiler" in der zurecht geschützten Profession der Medizin wildern und Grenzen zur Heilkunst überschreiten, gibt es Strafen. "Kurpfuscherei" ist Energetikern untersagt, es ist daher schlüssig, Ärzten "Heilpfuscherei" aka Alternativmedizin zu verbieten.  

4. Reden wir über den grassierenden Irrsinn

In Deutschland setzt der Esoterikmarkt mit Pseudomedizin, Engelssprays, Karmasitzungen, Wasserbelebung und den dazugehörigen Merchandisingkram 20 Milliarden Euro um – das entspricht fast dem Wert der Ausgaben für Alkohol. Ähnliches lässt sich auf Österreich ummünzen. Wir haben demnach nicht nur ein Alkoholproblem, sondern ein heftiges Esoterikproblem. Dass immer mehr Menschen der Irrationalität, vermeintlicher Spiritualität und allerlei Heilsversprechern und -bringern verfallen, sollte verantwortlicher Politik nicht als Richtschnur dienen. Einem Alkoholiker auf Entzug ein Bier zu geben mag die Situation entspannen, zur Problemlösung taugt es nicht. Esoterik und Scharlatanerie – und dazu zählt auch die Alternativmedizin – sind ein Angriff auf Vernunft, redliche Argumentation und rationalen Disput. Das sind auch Basics für eine aufgeklärte Gesellschaft und eine gelebte Demokratie. Alternativmedizin ist nichts anderes als Fake News für die Wissenschaft. Eine distinguierte Attitüde ihr gegenüber ist angebracht. (Christian Kreil, 24.10.2018)

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