So unmittelbar nach den ersten Outlaw-Stunden wirkt es bereits so, als würde Rockstar Games nach GTA 5 wieder einmal gegen Ende einer Konsolengeneration allen zeigen wollen, wo die Reise der Videospiele als Nächstes hingeht.

Bild: Red Dead Redemption 2
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Mit einem tausende Seiten umfassenden Skript, 1.200 Schauspielern, einem Haupthandlungsstrang, der allein 65 Stunden Spielzeit umfasst, und einer Spielwelt, die von eisigen Bergen über wachsende Städte bis zu Sumpfgebieten die vielen Facetten des historischen Amerika umfasst, ist Red Dead Redemption 2 das aufwendigste Westernspiel, das bisher erschaffen wurde. Streichen Sie das Wort Western, und der Satz behält weiterhin seine Gültigkeit. So enorm ist diese Produktion, die einige tausend Entwickler, verteilt über acht Studios des Herstellers Rockstar Games, fast acht Jahre lang beschäftigte und mitunter an ihre Grenzen trieb.

Doch jede dieser unglaublichen Zahlen sagt letztendlich wenig über die spielerischen Errungenschaften aus. Denn die von Marketingabteilungen so gerne aneinandergereihten "Facts and Figures", die Konsumenten mit schierer Größe überwältigen sollen, treten in dem Moment in den Hintergrund, in dem man das erste Mal selbst in die Rolle des Outlaws Arthur Morgan schlüpft, um das Frontland des Jahres 1899 unsicher zu machen.

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DER STANDARD

Kein Test, kein Fazit

So viel vorweg: Das ist kein Test und kein finales Wort. Sondern ein Ersteindruck, den die Redaktion mit interessierten Lesern und Leserinnen teilen will. Kurz vor dem offiziellen Marktstart von Red Dead Redemption 2 stehen auch uns noch dutzende Spielstunden bevor.

Dabei sticht im Raunen der bereits ausführlich berichteten Features und Zahlen ein Gefühl hervor: Das ist nicht einfach ein weiteres Open-World-Game, wie sie seit Jahren am Fließband produziert werden. Das ist eine Simulation, die sich zumindest in diesen ersten Auszügen teils gruselig echt anfühlt. Zumindest Westworld-echt.

Sie sind nicht der Mittelpunkt

Das liegt in gewisser Weise natürlich auch an der überwältigenden Oberfläche. Als Bandit reitet man über die mitunter atemberaubendsten Landschaften, die bisher zu Pixel gebracht wurden, und durchquert Unwetter, die einen staunend aus den Socken hauen. Man liefert sich als Teil einer Bande filmreife Schießereien, überfällt Züge und Banken und geht mit Flinte und Pfeil und Bogen auf die Jagd auf Rehe und Bären. Man amüsiert sich in Bordellen und reitet wie ein einsamer Wolf auf der Suche nach einem Schatz durch Schluchten in den kitschigen Sonnenuntergang.

Doch was dieses Gesetzlosenleben so glaubhaft macht, ist der Verzicht auf vieles, was Videospiele bisher als solche definiert. Anstatt den Spieler zum Mittelpunkt zu machen, ist dieser gigantische Unterhaltungspark der Mittelpunkt, und man selbst wird – zumindest scheinbar – nur ein Teil von dessen Geschichte.

Mit jedem interagieren

Anders ausgedrückt: Schreien einem heute in Spielen wortwörtlich die Angebote, Missionen und Nebenschauplätze ins Gesicht, wird man hier eingeladen, sich seine Abenteuer selbst zu suchen. Red Dead Redemption 2 führt mit viel Geschick sämtliche Open-World-Konzepte, wie man sie von GTA bis L.A. Noir und Zelda: Breath of the Wild kennt, zu dem bislang protzigsten Understatement dieser Unterhaltungskunst zusammen. Ein Paradoxon, das man zu begreifen versteht, wenn man die Welt mit offenen Augen zu erkunden beginnt. Denn abseits des Haupthandlungsstrangs, der Morgan als Teil der Van-der-Linde-Gang als mehr oder minder reuelosen Räuber auf der Flucht vor dem Gesetz porträtiert, kann man auch mit allen anderen menschlichen und tierischen Bewohnern dieser Welt interagieren.

Über ein Interaktionssystem kann man so jeden Passanten anquatschen, provozieren oder bedrohen, um entweder Konversation zu betreiben, um möglicherweise wertvolle Infos für einen neuen Auftrag oder eine interessante Fährte in Erfahrung zu bringen, oder auch Geld aus dem Dahergelaufenen herauszuquetschen. Ein beliebiger Gefangenentransport bietet die Möglichkeit, einen potenziellen Verbündeten zu befreien, oder man sieht zu, wie die gut bewachte Kutsche über den Hügel zum nächsten Örtchen mit Sheriff zieht. Das Angebot ist so opulent und unaufdringlich zugleich, dass Rockstar in einigen Fällen sogar ganz darauf verzichtet, Spieler zu Ereignissen zu navigieren. Die Spur zu einem vermeintlichen Serienmörder und dessen Gräueltaten lässt sich überhaupt nur durch optische Hinweise aufgreifen, indem man verdächtigen Blutspuren abseits des Weges folgt.

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Weshalb man duschen sollte

Und gelangt man abends in ein Städtchen, lohnt es sich, beim Wirt vorbeizuschauen. Ein Gespräch zwischen zwei Fremden verstrickt einen gerne einmal in eine interessante Suche nach Revolverhelden. Dabei werden selbst beliebige Interaktionen mit der Sorgfalt größerer Storymomente inszeniert, die Unterschiede zwischen Hauptcharakter und Nebendarsteller zusehends verkleinert.

Dieses Gefühl der Optionalität zieht Red Dead Redemption 2 konsequent durch, ohne die einzelnen Geschichten beliebig wirken zu lassen. Anstelle dessen wird einem das Gefühl vermittelt, sich einbringen zu können, aber dass die anderen Akteure nicht zwangsläufig auf einen warten. Beispielsweise wurden die Hintergründe und Persönlichkeiten aller 23 Bandenmitglieder ausgearbeitet, mit denen man im Lauf des Spiels raubend und schießend durchs Land zieht. Mit jedem davon kann man etwas unternehmen, ein Abenteuer erleben oder tiefer in die Welt eintauchen. Das Wanderlager der Bande bietet immer Gelegenheit dazu, sich einzubringen, mit erbeutetem Geld oder Nahrung für die Gemeinschaft zu sorgen. Tun muss man davon jedoch nichts. Man könnte genauso gut strikt der Handlung folgen oder eben alleine losziehen. Doch vernachlässigt man seine Kameraden, braucht man sich im Gegenzug keine Gefälligkeiten zu erhoffen, stößt auf leere Munitionslager und grimmige Mienen. Etwas banaler: Duscht man längere Zeit nicht, wird man mit schiefen Blicken gemieden.

Zeugen und Konsequenzen

Red Dead Redemption 2 verzichtet dabei auf Fertigkeitenbäume und Fähigkeitenmenüs. Alles, was man tut, wird einem weitgehend durch die Umgebung vermittelt und durch ein vergleichsweise spartanisches Interface, das sich kontextbezogen einschaltet. Schießt man einen Zivilisten nieder oder bedroht eine Bardame, kommt man in Verruf. Gibt es einen Zeugen, läuft dieser vielleicht sogar zum nächsten Bundesagenten – wenn man ihn nicht vorher schon einschüchtert, besticht oder, ja, erledigt.

Und für Charakterwerte gibt es Anzeigen wie Lebensenergie, Ausdauer oder den Zeitlupenmodus "Deadeye", der einem bei Schießereien mit mehreren Gegner zugutekommt. Diese werden laufend erweitert, je mehr man interagiert, und genauso baut man Vertrauen mit seinem Pferd langsam auf, das nicht nur als erweitertes Inventar dient, sondern der wichtigste Begleiter ist. Erschöpft man seine Kräfte bei langen Missionen, kann man wie in anderen Rollenspielen Nahrung zu sich nehmen. Und die Nerven eines Scharfschützen profitieren vom Nikotin einer Zigarette, genauso wie die Gesundheit davon in Mitleidenschaft gezogen wird. Allerdings verkommt man bei all diesen Aspekten nicht zum Halter eines Tamagotchis. Morgan kommt auch länger ohne Wasser aus und fällt auch ohne Heilkräuter nicht vom Ross. Die gelungene Mischung aus Tiefgang und Spielbarkeit zeigt sich auch darin, dass man Munition von gefallenen Gegnern etwa nicht händisch aufklauben muss.

Weil's geht

Anstelle dessen wirken auch diese Elemente wie eine zusätzliche Ebene, die man erkunden kann, aber nicht muss. Ob man sein Pferd im Trab oder Galopp reitet oder zu Kunststücken dressiert, ist für das Ziel der Van-der-Linde-Gang, ein Land der völligen Freiheit und Gesetzlosigkeit zu gründen, völlig unerheblich. Für den gemeinen Westerntouristen ist es aber eine weitere kleine Freude, die in diese Illusion zieht. Gleiches gilt für die detaillierte Bedienung von Waffen. Mit dem Revolver kann man etwa wie in jedem anderen Spiel aus der Hüfte feuern oder per automatisiertem Ziel aus der Deckung heraus. Man kann jedoch auch vor jedem Schuss den Hahn selbst spannen und das Schießeisen anschließend kreiselnd in das Halfter zurückstecken. Nicht, weil man das als Revolverheld können muss. Sondern weil's geht.

Ausblick

Selbst wenn man nichts über Spielentwicklung weiß, Unterhaltungswert nicht an Bombastgrafik und Gameplay-Umfang festmacht, wird einem der enorme Aufwand, der in die Entwicklung und Simulation dieser Westernwelt gesteckt wurde, zwangsläufig bewusst werden. Denn Rockstars Talent für cineastische Inszenierungen und absolute Größe kratzt nur an der Oberfläche der feinen Tiefschichtigkeit, die Red Dead Redemption 2 bei aller Überzeichnung so real wirken lässt. Ob dieser Ersteindruck von dem ausführlichen Test bestätigt werden kann, bleibt gewiss abzuwarten. Doch so unmittelbar nach den ersten Outlaw-Stunden wirkt es bereits so, als würde Rockstar Games nach GTA 5 wieder einmal gegen Ende einer Konsolengeneration allen zeigen wollen, wo die Reise der Videospiele als Nächstes hingeht. (Zsolt Wilhelm, 25.10.2018)