Eine Geradschnabelkrähe mit Werkzeug.
Foto: Auguste von Bayern

Starnberg – Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass Rabenvögel zur Crème de la Crème der tierischen Intelligenz zählen: Sie verwenden nicht nur zufällig gefundene Objekte als Werkzeuge, sondern fertigen selbst etwas Zweckdienliches an – und das mitunter sogar aus mehreren Komponenten, wie das Max-Planck-Institut für Ornithologie berichtet.

Große Herausforderung

Das Verbinden mehrerer einzelner Komponenten zu einem neuen, funktionsfähigen Werkzeug wurde bisher nur bei Menschen und Menschenaffen beobachtet. Anthropologen sehen die Entstehung dieser Fähigkeit bei unseren Vorfahren als wichtigen Schritt in der Evolution des menschlichen Gehirns. Auch in der menschlichen Indiviualentwicklung treten ähnliche Fähigkeiten erst spät auf: Babys beginnen ungefähr im Alter von 18 Monaten, Werkzeuge zu benutzen. Jedoch fangen sie erst im Alter von etwa fünf Jahren an, neue Werkzeuge zu erfinden, um ein bestimmtes Problem zu lösen.

Das Gehirn muss sich die neuen Objekte dafür zunächst einmal vorstellen und dann die Ausführung planen, vermuten Forscher. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass Verbundwerkzeuge erst spät in der kulturellen Entwicklung des Menschen aufgetaucht sind und möglicherweise mit der Entwicklung von komplexem Bewusstsein und Sprache einhergehen.

Die in Neukaledonien östlich von Australien beheimateten Geradschnabelkrähen (Corvus moneduloides) sind dazu offenbar auch in der Lage, berichten nun Forscher um Auguste von Bayern vom Max-Planck-Institut für Ornithologie Seewiesen und Alex Kacelnik von der Universität Oxford. Ein Versuch, von dem sie in der Fachzeitschrift "Scientific Reports" berichten, erbrachte den Nachweis.

Das Experiment

Die Forscher präsentierten acht Geradschnabelkrähen eine Kiste, die diese zuvor noch nie gesehen hatten. Sie enthielt einen kleinen Behälter mit einem Leckerbissen, der hinter einer durchsichtigen Tür mit einem Spalt für die Schnäbel nicht zu erreichen war. Zu Beginn der Versuchsreihe stand den Tieren ein langer Stab zur Verfügung, den sie durch den Spalt in die Kiste stecken konnten, um damit das Futter durch eine seitliche Öffnung heraus zu schieben. Alle acht Vögel schafften das ohne Schwierigkeiten.

University of Oxford

Dann platzierten die Wissenschaftler das Futter nach hinten in die Box und stellten den Krähen verschiedene längliche und hohle Elemente zur Verfügung, die diese zusammenstecken konnten. Für sich alleine waren sie aber zu kurz, um bis zum Futter zu reichen. Auch das schafften einige Vögel.

Am Ende des Experiments mit fünf Schwierigkeitsstufen blieb immerhin noch ein Vogel übrig, der Werkzeuge aus drei und sogar vier Einzelteilen bastelte. "Dieses Ergebnis ist bemerkenswert, denn die Geradschnabelkrähen bekamen keine Hilfe und auch kein Training, um diese Werkzeuge zu bauen, sie haben ganz alleine herausgefunden, wie sich das Problem lösen lässt", sagt Erstautorin von Bayern.

Dahinterstehende Prozesse im Gehirn noch nicht geklärt

Die zugrundeliegende mentale Verarbeitung konnten die Forscher mit diesem Versuch jedoch nicht klären. Kacelnik sagt: "Die Ergebnisse zeigen, dass diese Tiere ausgeprägte flexible Fähigkeiten haben, mit denen sie in der Lage sind, neuartige Probleme schnell zu lösen. Eventuell simulieren sie das Problem, in dem sie mögliche Abläufe im Gehirn wieder und wieder durchspielen. Haben sie eine funktionierende Möglichkeit entdeckt, führen sie diese dann aus.

"Die Tatsache, dass Geradschnabelkrähen Verbundwerkzeuge erstellen können, bedeutet aber nicht, dass die zugrunde liegenden Prozesse im Gehirn die gleichen sein müssen, wie bei Menschen oder Menschenaffen. Für die Wissenschafter eröffnet sich aber damit eine Möglichkeit, die gedanklichen Prozesse, die für das Erfinden und den Bau von neuen Werkzeugen nötig sind, weiter zu erforschen. (red, 31. 10. 2018)