Wien – Das erste Mal fiel das Fallbeil im Erdgeschoß des Wiener Straflandesgerichts am 6. Dezember 1938. Die Guillotine war gerade aus Berlin geliefert worden, der kleine Hinrichtungsraum neu eingerichtet: rot gekachelter Boden, eine Ecke verfliest mit Wasseranschluss und Schlauch, ein Fenster mit Milchglasscheiben, in der Mitte stand die Köpfmaschine. Mindestens 1.210 Menschen wurden hier während der NS-Zeit enthauptet. Viele wegen kleinster Vergehen, fast die Hälfte aufgrund ihres Widerstands gegen die Nazis.

Eingang zur heutigen Gedenkstätte im Wiener Straflandesgericht.
Foto: Matthias Cremer

Eine der Verurteilten war Hedy Urach. Ihr Todesurteil wurde 1943 im Wiener Landgericht, wie es damals bezeichnet wurde, vollstreckt. Da war sie 33 Jahre alt. Ihr Vergehen: eine aktive Kommunistin zu sein. Ein anderer war Jakob Kastelic, Gründer der "Großösterreichischen Freiheitsbewegung". Er wurde 1944 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt.

Prozesse waren eine "Farce"

Urach und Kastelic sind zwei der 619 Namen, die heute in der ehemaligen Todeskammer des Straflandesgericht an der Wand zu lesen sind. Inzwischen wird der Raum genutzt, um der Verbrechen des Unrechtregimes zu gedenken – damit all jene Menschen nie vergessen werden, die an diesem Ort, an dem heute Recht gesprochen wird, von staatlicher Hand getötet wurden. Ihre Prozesse seien eine Farce gewesen, sagt Friedrich Forsthuber, Präsident des Straflandesgerichts.

Wasseranschluss für die Reinigung des Bodens nach der Enthauptung.
Foto: Matthias Cremer

Es hat bis 1968 gedauert, bis Österreich ein umfassendes Verbot der Todesstrafe in der Verfassung verankert hat. Zwischen Kriegsende und der letzten Hinrichtung hierzulande am 24. März 1950 wurden noch 43 Todesurteile im heutigen Wiener Straflandesgericht vollzogen. Mittlerweile wird in allen europäischen Staaten außer Weißrussland die Todesstrafe geächtet.

Direkt neben der Hinrichtungskammer in Wien fanden sich in der NS-Zeit fünf sogenannte Abgangszellen. Acht Stunden vor ihrer Köpfung wurden die Häftlinge dort hineinverfrachtet. Hier konnten sie noch Briefe an ihre Angehörigen schreiben. Unmittelbar vor der Hinrichtung wurde den Verurteilten dann mitgeteilt, dass "keine Begnadigung erfolgt" sei. Eine solche hätte nur Adolf Hitler persönlich aussprechen können. Das kam bloß selten vor, Schätzungen zufolge in fünf von hundert Fällen.

Der Abfluss für das Blut der Hingerichteten in der heutigen Gedenkstätte.
Foto: Matthias Cremer

An manchen Tagen wurden in Wien mehr als 30 Hinrichtungen im Dreiminutentakt vollstreckt. Das Blut floss in einen Abfluss im hinteren Teil des Raumes. Danach wurde mit dem Wasserschlauch einmal über den Boden gespritzt. "Man hat sie direkt sterben hören", ist von einem Gefängnisinsassen überliefert.

Leichenteile im Anatomischen Institut

Die Leichenteile vieler Hingerichteter wurden in das Anatomische Institut gebracht. Sie wurden für wissenschaftliche Zwecke untersucht und benutzt oder von Studenten seziert. Danach gab man sie an den Zentralfriedhof ab, wo sie in Schachtgräbern formlos bestattet wurden.

Der Gang, durch den die Verurteilten den Hinrichtungsraum betreten hatten, wurde inzwischen zugemauert.
Foto: Matthias Cremer

Forsthuber erklärt, dass die Geschichten dieser Menschen damit aber oft noch nicht abgeschlossen waren. Die Angehörigen der Widerstandskämpfer seien manchmal noch viele Jahre später für ihre Verwandten geächtet und als Saboteure oder Feiglinge diskreditiert worden. "Die Moral der Gesellschaft ist nicht mit Kriegsende gekippt", sagt der Gerichtspräsident.

Im Straflandesgericht soll heute vor allem an den Mut der Widerstandskämpfer erinnert werden, sagt Forsthuber. Er betont aber auch, dass Rechtsstaat und Medienfreiheit selbst in "gefestigten Demokratien" unterwandert werden können – derzeit etwa in der Türkei. "Niemals vergessen – seid wachsam" steht über der Gedenktafel im Hinrichtungsraum. (Katharina Mittelstaedt, 26.10.2018)

Das Straflandesgericht Wien nimmt das Gedenkjahr 2018 zum Anlass, den Widerstand gegen das NS-Regime zu würdigen. Die Namen der 619 hingerichteten Widerstandskämpfer wurden an Tafeln angebracht.
Foto: Matthias Cremer