Netzwerkmodell der See-, Fluss- und Landrouten im Römischen Reich zwischen dem 1. und 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Wichtige Verbindungszonen im Gesamtsystem wurden farblich gekennzeichnet.

Grafik: ORBIS Stanford; Berechnungen und Visualisierung: J. Preiser-Kapeller, ÖAW

Die Karte zeigt das Netzwerkmodell der Fluss- und Landrouten im kaiserzeitlichen China (6.-19. Jahrhundert), farblich gekennzeichnet ist die unterschiedliche Konnektivität verschiedener Regionen.

Grafik: J. Preiser-Kapeller, ÖAW

Wien – Trotz ihrer gewaltigen Ausdehnungen konnten sich das antike römische Reich und die chinesischen Kaiserreiche über lange Zeiträume hinweg behaupten. Einer der ausschlaggebenden Gründe dafür lag in ihren gut ausgebauten Verkehrs- und Handelsrouten, die ein komplexes, dem heutigen Internet gleichendes Netzwerk bildeten, wie der Wiener Historiker Johannes Preiser-Kapeller in einer Studie feststellte. Ins Trudeln kamen die Weltreiche erst, als Verbindungen ausfielen.

In seiner Untersuchung zeigte der Byzanzforscher vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), dass ausgeprägte und mannigfaltige Verbindungen zwischen den Reichsteilen diesen beiden Imperien Stabilität verliehen. Diese waren der Analyse zufolge wichtiger als einzelne Städte, also "Knoten" im Netzwerk.

Beim Römischen Reich hat sich Preiser-Kapeller auf den Zeitraum zwischen erstem und fünften Jahrhundert konzentriert, im Fall von China auf das sechste bis 19. Jahrhundert. Für Rom konnte der Historiker auf ein bereits existierendes, von der Universität Stanford erstelltes Netzwerk-Modell der Fluss-, Land- und Seerouten zurückgreifen. Ein ähnliches Modell erstellte der Wissenschafter für das kaiserzeitliche China – mit dem Unterschied, dass dort Seeverbindungen weniger wichtig waren.

Verkraftbare Ausfälle von Zentren

Fielen wichtige Zentren durch Eroberungen oder Naturkatastrophen weg, wie das etwa beim Untergang der antiken Stadt Pompeji geschah, brachte das nicht gleich das gesamte Römische Reich ins Wanken. Selbst den Verlust ihrer Hauptstädte – Roms wurde im Jahr 410 erobert, Kaifeng (eine der oft wechselnden chinesischen Hauptstädte) ereilte dieses Schicksal im Jahr 1126 – überstanden die beiden Reiche, die im Untersuchungszeitraum eine ähnliche Ausdehnung von jeweils fünf Millionen Quadratkilometern hatten.

Obwohl die beiden Imperien anders aufgebaut waren, "folgten sie einer ganz ähnlichen Logik. Sie sind 'komplexe Netzwerke', wie wir das in der Netzwerktheorie nennen", sagte Preiser-Kapeller. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass es große zentrale Knotenpunkte oder "Hubs" gibt, wo viele Verbindungen zusammenlaufen und viele Orte mit geringer Bedeutung. Diese Ungleichheiten im System sorgen aber auch dafür, dass Handelswaren oder Informationen sehr effizient verteilt werden können. Das gilt auch für "ungebetene Gäste", wie etwa Seuchen: So breiteten sich Epidemien in beiden Reichen entlang jener Routen aus, die sich im Netzwerkmodell als wichtigste Verbindungen herausstellten.

Wichtige überregionale Verbindungen

Auf der anderen Seite sind solche Netzwerke, wie auch das Internet, relativ robust, wenn einzelne Knoten ausfallen, so Preiser-Kapeller, dessen Studie im Rahmen von Kooperationen mit der Princeton University (USA) sowie dem Wiener Complexity Science Hub (CSH) entstand. "Zu einer wirklichen Krise kommt es erst, wenn ein solches System seine relativ aufwendigen, überregionalen Beziehungen nicht mehr aufrechterhalten kann." Im Römischen Reich waren das vor allem die Seeverbindungen über das Mittelmeer, während in China Wasserstraßen und Kanalnetzwerken die größte Bedeutung zukam.

Im fünften Jahrhundert konnte Rom die Seeverbindung zwischen Nordafrika und dem heutigen Italien nicht mehr sichern. Ist so etwas der Fall, "dann zerbricht ein solches System relativ schnell in einzelne regionale Cluster oder Subregionen. Die Bruchlinien, die sich in der Simulation auftun, haben eine gewisse Ähnlichkeit mit tatsächlichen Zerfallsprozessen, die wir etwa im spätrömischen Reich beobachten können", sagte der Wissenschafter, der seine Ergebnisse in den kommenden Wochen im Fachblatt "Siedlungsforschung" veröffentlichen wird und sie vorab auf der Online-Plattform "Arxiv" zur Verfügung stellt.

Wiederholung am Computer

Analog zum überlieferten historischen Verlauf wurden auch im Rahmen der Simulationen jene nordwestlichen Provinzen selbstständig, die sich zu jener Zeit tatsächlich von Rom abspalteten. Gleichzeitig blieben die Gebiete um die Ägäis aufgrund ihrer weiter bestehenden Meeresverbindungen über die Region hinaus sehr stabil. Diese bildeten damals auch die Kerngebiete des viel länger bestehenden byzantinischen oder oströmischen Reichs. Dass sich hier die Geschichte am Computer gewissermaßen wiederholte, hat auch Preiser-Kapeller überrascht. (APA, red, 28.10.2018)