Politologe Reinhard Heinisch zum Dilemma der SPÖ: Im rechten Teil des Spektrums sei wenig zu holen.

Foto: Heinisch

Bevor Christian Kern fluchtartig die SPÖ-Zentrale verließ und den Vorsitz abgab, war kurz zuvor in der Partei ein für die Zukunft der SPÖ entscheidender Konflikt hochgekocht. Kern hatte vor seinem Rückzug noch eine programmatische Linie für die SPÖ vorgelegt und dabei explizit den Wert der "Weltoffenheit" sowie die Umwelt und den Klimawandel als zentrale Punkte künftiger SPÖ-Programmatik definiert.

Vom rechten Flügel kam prompt der Rüffel: "Wir dürfen keine grün-linke Fundipolitik betreiben. Da schaffen wir uns selbst ab", echauffierte sich der designierte burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Die Partei müsse sich um Themen kümmern, "die die Österreicher bewegen. Und Migration gehört hier dazu."

Natürlich wurde der Konflikt, noch ehe er wirklich ausbrechen konnte, rasch kalmiert. Die Grundfrage aber blieb bis heute unbeantwortet: Wohin sollen sich die SPÖ und die neue Parteichefin Pamela Rendi-Wagner orientieren?

SPÖ muss sich entscheiden

"Keine Frage, die SPÖ muss sich jetzt entscheiden", sagt Reinhard Heinisch, Leiter der Abteilung Politikwissenschaft an der Universität Salzburg, im Gespräch mit dem STANDARD. Sie müsse jetzt die Weiche stellen – nach rechts oder in Richtung Weltoffenheit, "sozialliberal", "urban".

Die SPÖ, sei hier – und das sei ihr Dilemma – intern tatsächlich gespalten. Da stehe der kosmopolitische, liberale und weltoffene Flügel der höher Gebildeten der Arbeiterklientel gegenüber, die sich nach rechts orientiert oder dorthin schon abgewandert ist. Speziell in der Frage der Zuwanderung und Integration werde dieser Zwiespalt besonders augenscheinlich. "In dieser Frage hat die Führung der SPÖ bisher nur vernebelt, um nicht in einen offenen Lagerkonflikt zu laufen. Sie ist diesem Thema immer ausgewichen und sofort auf ein anderes Thema geschwenkt. Die Wähler wollen aber genau in dieser Frage eine klare Antwort. Deshalb sind viele auch abgewandert", sagt Heinisch.

Das von der SPÖ-Führung gefeierte Integrationspapier sei "nur ein Papier und nur für die Funktionäre gemacht. Wahltechnisch ist es völlig sinnlos", sagt Heinrich, "Wählern ist es ziemlich egal, welches Papier eine Partei hat. Das beste Papier nutzt nichts, wenn dann ein Spitzenrepräsentant der Partei etwas anderes sagt. Das ist das, was dann wirklich zählt." Rendi-Wagner müsse hier versuchen, zumindest ein Wording zu finden, "das von allen in der SPÖ mitgetragen und auch kommuniziert wird". Denn inhaltlich werde sie den Konflikt nicht auflösen können.

Für den Salzburger Politologen, der sich wissenschaftlich mit der österreichischen Parteienlandschaft im europäischen Kontext beschäftigt, gibt es für die heimischen Sozialdemokraten nur einen Weg: Sie müssten dorthin, wo ein Vakuum herrscht. Und das sei nun einmal aktuell im Segment der Grünen, "der Weltoffenheit". Damit könne die SPÖ ihr Niveau behalten, glaubt Heinrich. "Das rechte Lager ist ohnehin besetzt. Auch wenn es Teile der Partei weiter dorthin zieht", sagt Heinisch.

Sozialkompetenz betonen

Die SPÖ müsse versuchen, auf 30 Prozent zu kommen, das sei "durchaus möglich". Die neue Parteichefin Pamela Rendi-Wagner wiederum sollte sich darauf konzentrieren, mit ihrer Profession als Ärztin die Sozialkompetenz der Partei herauszustreichen und darüber hinaus urbane und liberale Kreise anzusprechen. Denn hier liege eben das eigentliche Potenzial der SPÖ.

Mit einem weltoffenen, sozial-liberalen Kurs könne die SPÖ reüssieren, das habe auch bei Alexander Van Bellen im Präsidentschaftswahlkampf, der ebenfalls diese Kreise explizit angesprochen habe, funktioniert. An der deutschen Sozialdemokratie könne hingegen abgelesen werden, wie es nicht funktioniert. Hier wandern SPD-Wähler zu den Grünen ab.

Da sei noch eine weitere recht heikle Sache bei den Sozialdemokraten: Dürfen Rote teure Uhren tragen, schnelle Autos fahren und sich bourgeois geben? Es gebe immer ein Problem mit der Optik, sagt Heinisch, "wenn ein Sozialdemokrat vom teuren Barolo schwärmt und gehoben in Lech urlaubt – da geht es um Symbolik, und das müssen sozialdemokratische Politiker einfach beachten. Zu meinen, ich mache auf Trump und werde SPÖ-Vorsitzender: Das geht einfach nicht." (Walter Müller, 29.10.2018)