Trauer nach dem Terroranschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh.

Foto: AFP/ANDREW CABALLERO-REYNOLD

Bevor er aufbrach, um ein Blutbad anzurichten, nahm Robert Bowers eine jüdische Hilfsorganisation verbal ins Visier. "HIAS lässt Invasoren herein, die unsere Leute töten", schrieb er bei Gab, einem Netzwerk, dessen sich rechte Nationalisten gern bedienen, über die Hebrew Immigrant Aid Society, die Migranten hilft, sich in der neuen Heimat zurechtzufinden. "Ich kann nicht dasitzen und zuschauen, wie meine Leute abgeschlachtet werden."

Was folgte, wird als bisher wohl schwerster antisemitischer Anschlag in die US-Geschichte eingehen. Am Samstagvormittag, zehn vor zehn, drang Bowers in die Tree-of- Life-Synagoge ein, eines von rund einem Dutzend jüdischer Gotteshäuser in Squirrel Hill, einem Stadtteil, in dem gut ein Viertel der Mitglieder der bedeutsamen jüdischen Gemeinde von Pittsburgh lebt.

Kurz danach ging der erste Notruf ein. Zu der Zeit fanden in der Synagoge, parallel zueinander, drei Gottesdienste statt. Während die Türen unter der Woche verschlossen sind, stehen sie am Sabbat weit offen. Eine ständige Polizeipräsenz vor jüdischen Gemeindezentren, Museen und Gotteshäusern kennen die USA nicht.

Bowers, der in einem Vorort Pittsburghs lebte, stieß zunächst auf keinen Widerstand, als er um sich zu schießen begann. Bewaffnet war er mit einem AR-15-Sturmgewehr und drei Glock-Pistolen, die er offenbar legal erworben hatte. Ehe Spezialeinheiten der Polizei am Ort des Verbrechens eintrafen, hatte er elf Menschen getötet. Acht Männer, drei Frauen, das jüngste Opfer 54, das älteste 97.

Ein "Ereignis des 21. Jahrhunderts"

In zwei Jahrzehnten Dienst, so beschrieb es später Robert Jones, der Chef des Ermittlerteams des FBI, habe er keinen derart entsetzlichen Tatort gesehen. Bill Peduto, der Bürgermeister Pittsburghs, sprach vom schwärzesten Tag in der Geschichte seiner Stadt. "Dies war ein Ereignis des 21. Jahrhunderts. Schüsse in einem Gotteshaus", schrieb David Shribman, der Chefredakteur der "Pittsburgh Post-Gazette". "Und Verwirrung. Verwirrung darüber, was es bedeutet und ob das vergiftete politische Umfeld es verursacht hat oder eher widerspiegelt."

Als Bowers das Gebäude verließ, versuchten ihn herbeigeeilte Polizisten zu stoppen. Drei von ihnen verletzte er bei einem Feuergefecht, während er zurück in die Synagoge rannte, wo er sich verbarrikadierte. Nach ungefähr zwanzig Minuten, so das FBI, gab er auf und wurde, selbst verwundet, in ein Krankenhaus gebracht.

Offenbar gab der 46-Jährige in Verhören zu Protokoll, er wolle, dass alle Juden sterben. Diese hätten einen Genozid an "seinem Volk" zu verantworten, weil sie helfen würden, Migranten ins Land zu bringen.

White-Supremacy-Fanatiker

Das Southern Poverty Law Center, eine Bürgerrechtsinitiative in Alabama, vergleicht das Massaker mit vorausgegangenen rassistisch motivierten Gewalttaten in religiösen Einrichtungen. Darunter die Schießerei in der Emanuel Church, einer afroamerikanischen Kirche in Charleston, wo ein White-Supremacy-Fanatiker 2015 neun Gläubige erschoss. Darunter auch der Überfall auf einen Sikh-Tempel bei Milwaukee, bei dem 2012 sechs Menschen starben.

Nach einem Bericht der Anti-Defamation League (ADL), die sich dem Kampf gegen die Diskriminierung von Juden verschrieben hat, ist die Zahl antisemitischer Zwischenfälle 2017, dem Jahr des Amtsantritts des Präsidenten Donald Trump, gegenüber dem Vorjahr um 57 Prozent gestiegen. Dies, so die ADL, sei der steilste Anstieg seit dem Ende der Siebziger, als man mit den Statistiken begann.

Diesmal die richtigen Worte

Trump sprach in einer ersten Reaktion von einer "schrecklichen, schrecklichen Sache, was mit dem Hass in unserem Land und überall in der Welt passiert". Das Ergebnis, fügte er hinzu, wäre wohl besser gewesen, wenn es "irgendeine Art von Schutz" gegeben hätte. Stunden später sagte er auf einer Kundgebung in Illinois: "Wir alle müssen zusammenarbeiten, um das hässliche Gift des Antisemitismus aus unserer Welt zu entfernen."

Trump habe, sagt Adam Schiff, ein Demokrat aus Kalifornien und einer der prominentesten jüdischen Abgeordneten, die richtigen Worte gefunden. Nur reiche es eben nicht, an einem einzigen Tag das Richtige zu sagen, wenn man an allen anderen die Spaltung der Gesellschaft schüre. (Frank Herrmann aus Washington, 28.10.2018)