Pamela Rendi-Wagner ist nicht zu beneiden: Sehr gerne würde sie ja über Politik sprechen, über konstruktive Oppositionspolitik – und wie das gegenüber einer Regierung gehen kann, die die Sozialpartnerschaft gezielt zurückdrängt und den Kompromiss mit anderen Parteien gerne als Packelei denunziert.

Aber so weit kommt es in den meisten ihrer ohnehin raren Interviews nicht. Da wird sie nämlich gefragt, was sie von Christian Kern unterscheide und was sie von seiner Politik mitnehmen, was vielleicht streichen wolle. Es mag von den Interviewern nicht besonders fair sein, auf diesem überschaubaren Themenkomplex, bei dem die SPÖ-Chefin nichts zu gewinnen hat, herumzureiten – aber übertriebene Fairness ist auch nicht die Aufgabe des Interviewers.

Umgekehrt wäre es für Rendi-Wagner an der Zeit, die Vorgänge der jüngsten Vergangenheit ruhen zu lassen und selber Maßstäbe zu setzen. Niemand zwingt sie, sich mit Kern zu vergleichen oder sich mit ihm vergleichen zu lassen: Die Sozialdemokratie ist ja reich an historischen Persönlichkeiten, die eine Parteivorsitzende als Vorbild zitieren könnte – seit ihrer Designierung vor mehr als einem Monat hätte sie ja Zeit gehabt, sich solche Persönlichkeiten zu suchen und Bilder zu entwickeln, in welche Zukunft sie die Partei und – so die Wahlberechtigten wollen – das Land führen will. Aber vielleicht spart sie sich das ja bis zum Parteitag im November auf. (Conrad Seidl, 29.10.2018)