Am 21. Oktober fanden in Polen Kommunalwahlen statt. Es waren nicht nur die ersten Wahlen seit dem Antritt der rechtskonservativen PiS-Regierung vor gut drei Jahren, und damit ein Stimmungstest für die politische Lage, sondern auch die ersten Wahlen, für die das kürzlich beschlossene neue Wahlgesetz galt. Sowohl das befürchtete Chaos als auch die erhoffte Richtungsweisung blieben aber aus.

Wahlen mit besonderen Eigenschaften

Kommunalwahlen (auf Polnisch eher "Selbstverwaltungswahlen") haben in Polen die Eigenschaft, dass beinahe jede Partei einen Erfolg vermelden kann: Landesweit werden an nur einem Tag alle Selbstverwaltungsorgane neu gewählt, das beinhaltet Regionalparlamente, Gemeinderäte und Bürgermeisterämter. Dementsprechend gibt es fast immer irgendwo einen Wahlkreis, in dem Gewinne verzeichnet werden können, oder sich die Verluste zumindest in Grenzen gehalten haben. Auch dieses Jahr zeigten sich die Vertretungen der drei größten Parteien nach Bekanntgabe der Ergebnisse nach außen zufrieden.

Die Regierungspartei PiS (Prawo i Sprawiedliwość – "Recht und Gerechtigkeit") konnte landesweit rund 32 Prozent der Stimmen erzielen und ihre Präsenz in den Regionalparlamenten ausbauen: In sechs von 16 Wojewodschaften, also Regionen, gibt es eine absolute Mehrheit für die PiS, vor vier Jahren war das nur in der Wojewodschaft Kleinpolen der Fall. Auch die größte Oppositionspartei, die PO (Platforma Obywatelska – "Bürgerplattform") kann Gewinne vermelden. Sie ging in diesem Jahr eine Wahlkoalition (Koalicja Obywatelska – "Bürgerkoalition") mit der Mitte-links Partei Nowoczesna (Die Moderne) ein und hält bei rund 27 Prozent der Stimmen. Die Koalition konnte also die Anzahl ihrer Mandate vergrößern, der Abstand zur PiS fiel längst nicht so groß aus wie vorab prognostiziert. Die PSL (Polskie Stronnictwo Ludowe – "Polnische Bauernpartei") schließlich, die während des Wahlkampfs massiv vonseiten des PiS-Voristzenden Jarosław Kaczyński attackiert wurde, verlor zwar eine ihrer Bastionen (Heiligenkreuz) an die PiS, konnte aber dennoch 16,6 Prozent der Stimmen landesweit auf sich vereinen. Dieses relativ ausgeglichene Ergebnis kommt, angesichts zahlreicher Kontroversen und hoher Erwartungen im Vorfeld der Wahlen, beinahe überraschend.

Wahlstelle in Warschau.
Foto: REUTERS/Kacper Pempel

Wahlreform

Zum einen waren die Kommunalwahlen die ersten Wahlen seit Inkrafttreten des neuen Wahlrechts vor wenigen Monaten. Ausgangspunkt für diese Reform waren die Kommunalwahlen von vor vier Jahren, die von einigen Pannen begleitet waren: Die Ergebnisse wurden erst eine Woche nach dem Wahlgang veröffentlicht, die Wahlbeteiligung war gering und fast 18 Prozent der Stimmen wurden als ungültig gewertet. Kaczyński, der "starke Mann" im Hintergrund der PiS, sprach von Wahlfälschung und kündigte bald nach dem Wahlsieg der PiS bei den Parlamentswahlen eine umfassende Wahlrechtsreform an. Diese wurde dann auch in verhältnismäßig kurzer Zeit umgesetzt – manche Expertinnen und Experten zweifelten daran, die Selbstverwaltungswahlen zeitgerecht abhalten zu können und schlugen eine Verschiebung auf das Frühjahr 2019 vor. Neben der skurril anmutenden Bestimmung, dass nur durch ein deutliches "X" gekennzeichnete Wahlentscheidungen auf den Stimmzetteln als gültig zu werten seien, regelte die Reform einige wesentliche Rahmenbedingungen neu. So wurde etwa die Legislaturperiode der Regionalparlamente von bisher vier auf fünf Jahre verlängert und die maximale Anzahl an möglichen Amtszeiten für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister auf zwei beschränkt. Das hatte zur Folge, dass sich zahlreiche, bereits seit vielen Jahren amtierende Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nicht der Wiederwahl stellen durften.¹

Die Lokalwahlen als Stimmungsbarometer

Zum anderen waren die Kommunalwahlen auch die ersten Wahlen seit den Parlamentswahlen im Jahr 2015 und der Bildung der PiS-Alleinregierung – und die ersten Wahlen eines "Wahlmarathons" bis Ende 2019. Neben den Europaratswahlen im Mai kommenden Jahres stehen im Herbst auch wieder Parlamentswahlen an, bei denen die PiS ihre absolute Mehrheit im Parlament verteidigen will. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen an eine Richtungsweisung. Die Ergebnisse zeigen allerdings keinen allzu deutlichen Trend. Die PiS ist zwar nach wie vor die stärkste Partei, vor allem in ländlichen Regionen und im Osten des Landes – allerdings lange nicht mehr so deutlich wie bei den Parlamentswahlen vor vier Jahren, als der Vorsprung auf die PO mehr als 13 Prozentpunkte betrug. Die PO konnte im Vergleich zu den Parlamentswahlen und den letzten Kommunalwahlen deutlich gewinnen – was aber auch auf die Wahlkoalition mit der Nowoczesna zurückzuführen ist. Es kann derzeit also weder eine Festigung der PiS-Regierung, noch ein Erstarken der Opposition prognostiziert werden.

Ein Blick auf die Karte unten zeigt, dass die PiS vor allem in den ländlich geprägten Wojewodschaften im Osten des Landes gewinnen konnte. In insgesamt sechs Regionalparlamenten kann die PiS nach den Wahlen vergangenen Sonntag mit absoluter Mehrheit regieren (auf der Karte in blau gekennzeichnet). Bisher war das nur in einem Regionalparlament (Kleinpolen) der Fall. In weiteren neun Wojewodschaften hat die PiS diese Mehrheit – teilweise nur knapp – verfehlt, was eine Koalition der KO mit der PSL ermöglicht. Einzig in Niederschlesien ist die Regierungsbildung noch unklar, da hier eine parteilose Liste sechs der 36 Mandate erringen konnte und daher mehrheitsentscheidend ist.

Die verschiedenen Regionen mit wahrscheinlichen Regierungsmehrheiten.
Grafik: Jaroslaw Kopec

Wahlschlammschlacht

Der Wahlkampf war jedenfalls durchaus von Kontroversen gekennzeichnet. Beispielsweise äußerte Piotr Guział, Kandidat der PiS für das Amt des Vizebürgermeisters in Warschau, dass ein Sieg des PO-Kandidaten Rafał Trzaskowski der Stadt schaden würde: Ein PO-Bürgermeister würde den Unmut der Regierung hervorrufen und Warschau dementsprechend den Zugang zu staatlichen finanziellen Mitteln erschweren. Diese Aussage schadete der Kampagne des PiS-Kandidaten Patryk Jaki massiv, und letztendlich konnte Trzaskowski das Rennen mit mehr als 60 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang klar für sich entscheiden.

Ebenfalls schwer hatte es die Bauernpartei PSL, die immer wieder Attacken vonseiten der PiS ausgesetzt war. Die PSL ist eine Nachfolgepartei der ZSL (Vereinte Bauernpartei), die vor 1989 eine Satellitenpartei der Vereinigten Arbeiterpartei war. Sie sieht sich vorwiegend als Vertreterin der Bauernschaft und verpflichtet sich im sozialpolitischen Bereich der Christlichen Soziallehre. Dementsprechend ist die PSL vor allem in ländlichen Regionen eine wichtige Kraft und regierte in zahlreichen Regionalparlamenten in Koalition mit der PO. Der Vorsitzende der PSL schloss, nicht zuletzt aufgrund der feindlichen Rhetorik vonseiten der PiS, im Vorfeld eine Koalition mit der PiS dezidiert aus. Kaczyński warf der PSL wiederholt ihre Wurzeln in der Volksrepublik vor, bezeichnete sie als pro-russisch und nannte deren Politik "perfide". Ein Ziel der PiS war es auch, die PSL zu schwächen und das konservative Lager im ländlichen Raum für sich zu gewinnen – zumindest das scheint nicht gelungen zu sein.

Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der PiS-Partei und Wahlsieger.
Foto:REUTERS/Kacper Pempel

Mobilisierung gelungen

Bemerkenswert ist in jedem Fall die Wahlbeteiligung: Diese lag bei rund 55 Prozent, für Polen vor allem bei Kommunalwahlen ein Rekordhoch², gerade auch angesichts dessen, dass für Auslandspolinnen und -polen keine Möglichkeit bestand, in Konsulaten oder Botschaften ihre Stimme abzugeben. Am höchsten war sie in Warschau bei über 60 Prozent. Zum Vergleich: Bei den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2014 gaben rund 48 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme an und bei den Parlamentswahlen im Herbst 2015, aus denen die PiS mit rund 38 Prozent der Stimmen als Siegerin hervorging und eine absolute Mehrheit der Sitze im Parlament für sich beanspruchen konnte, lag die Wahlbeteiligung bei etwa 50 Prozent. Die kontroverse Politik der PiS scheint also durchaus Bürger/innen zu mobilisieren, die bisher den Wahlen ferngeblieben sind. Gerade diese könnten im kommenden Wahljahr 2019 über die weitere Richtung Polens bestimmen. Es bleibt also spannend. (Clara Moder, 30.10.2018)

Clara Moder ist Universitätsassistentin (prae doc) am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Zivilgesellschaft, soziale Bewegungen, Demokratieforschung, Transformationsprozesse, Zentral- und Osteuropa.

¹ Eine weitere Neuerung betrifft zudem die Ausweitung des Verhältniswahlrechts auf kleinere Gemeinden. Bisher galt das Mehrheitsprinzip für alle Wahlkreise mit Ausnahme der Warschauer Bezirke und Städten, die den Status eines eigenen Landkreises haben. Nach der Wahlrechtsreform sind nur noch Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern von dieser Regelung betroffen, für alle anderen gilt das – auch in Österreich übliche – Verhältniswahlrecht. Es wurde darüber spekuliert, dass die PiS sich so auch in mittelgroßen Städten, in denen die Mehrheitsverhältnisse oft knapp sind, ein Mitspracherecht sichern wollte.

² Die Wahlbeteiligung ist in Polen liegt zumeist bei knapp unter 50 Prozent und ist bei den Kommunalwahlen meist noch etwas geringer als bei Parlamentswahlen. Bemerkenswert ist auch, dass im Gegensatz zu anderen post-kommunistischen Ländern, die Wahlbeteiligung bei den ersten freien Wahlen im Jahr 1991 bei nur 43 Prozent lag. Mehr dazu hier. 

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