Es sind stürmische Zeiten, sowohl in Deutschland als auch in der Welt, als Anfang 1991 eine 36-jährige Physikerin aus Mecklenburg-Vorpommern erstmals in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückt. In der Nacht vor ihrer Angelobung als Frauen- und Jugendministerin im Kabinett Helmut Kohl IV, am 17. Jänner 1991, beginnt der Zweite Golfkrieg, Deutschland ist gerade einmal vier Monate wiedervereinigt.

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Die vielen Gesichter der Angela Merkel.
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  • Merkel, das "Mädchen"

Die junge Angela Merkel als Ministerin zu installieren gilt als Idee Kohls höchstselbst. Zwar weiß sie keinerlei Hausmacht in der CDU hinter sich, jedoch sind Politikerinnen aus der ehemaligen DDR in diesen Tagen rar gesät. Als Quereinsteigerin wird Merkel keine allzu lange Halbwertszeit in der Spitzenpolitik vorausgesagt. Die Auguren sollten falsch liegen.

  • Merkel, die Aufsteigerin

Weitgehend unbemerkt tritt Merkel nämlich ihren Marsch durch die Institutionen an. Im Dezember 1991 wird sie stellvertretende CDU-Bundesparteivorsitzende, 1994 Umweltministerin. Als die Ära Kohl zu Ende geht, steht sie bereit.

  • Merkel, die "Vatermörderin"

Nach der Abwahl des "ewigen Kanzlers" und dem Beginn der rot-grünen Periode 1998 nimmt Merkel auf einem der letzten verfügbaren Chefsessel der abgestraften Unionsparteien Platz: Sie wird CDU-Generalsekretärin. Kurz vor der Jahrtausendwende gelingt ihr der entscheidende Schlag: Nach Bekanntwerden einer Spendenaffäre ist Kohls Kronprinz Wolfgang Schäuble desavouiert, Merkel ruft in einem offenen Brief zur Rebellion gegen Kohl auf. Die "Vatermörderin" Merkel wird CDU- und damit Oppositionschefin. Eine Notlösung, heißt es damals.

  • Merkel, die Taktikerin

Bei dem "Wolfratshauser Frühstück" Anfang 2002 überlässt sie dem CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber die Spitzenkandidatur bei der – letztlich verlorenen – Bundestagswahl. Im Gegenzug verhilft Stoibers Stimme Merkel zum Fraktionsvorsitz. Friedrich Merz muss ihr weichen.

  • Merkel, die Kanzlerin

Am 22. November 2005 wird Merkel nach vorgezogenen Wahlen zur ersten Bundeskanzlerin Deutschlands vereidigt. Noch am Wahlabend spricht ihr der abgewählte SPD-Kanzler Gerhard Schröder im TV-Studio die Qualifikation ab.

  • Merkel, das Feindbild

Als 2008 die Banken- und Finanzkrise ruchbar wird, tritt Merkel, die in Berlin in einer großen Koalition regiert, für einen strikten Sparkurs ein, den Kritiker für wachstumshemmend und krisenverschärfend halten. Besonders in Griechenland, das ab 2010 faktisch bankrott ist, gilt die Kanzlerin seither als Feindbild. Innerhalb der EU bildet sie gemeinsam mit den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und – mit Abstrichen – François Hollande die Tandems "Merkozy" und "Merkollande".

  • Merkel, die "Flüchtlingsmutti"

Als sich im September 2015 zehntausende Flüchtlinge, viele davon aus dem Bürgerkriegsland Syrien, auf dem Budapester Keleti-Bahnhof stauen, setzt ein Telefonat zwischen Merkel und ihrem Wiener Pendant Werner Faymann eine folgenreiche Kettenreaktion in Gang. Innerhalb weniger Monate erreicht fast eine Million Flüchtlinge deutschen Boden. Merkel, die bis dahin für einen eher rigiden Kurs in puncto Migration bekannt war, sagt dazu: "Wir schaffen das."

ORF
  • Merkel, die Führerin der freien Welt

Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten 2016 küren Zeitungen "Kohls Mädchen" zur letzten Bastion des liberalen Westens.

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Die Raute wurde zum Markenzeichen der Kanzlerin. Sie wird deren Amtszeit überdauern.
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  • Merkel, die Widerwillige

Im September 2017 läutet die Bundestagswahl den politischen Spätherbst der Angela Merkel ein. Erst nach langem Hadern hatte sie sich zur Kandidatur entschieden, noch länger sollte die Regierungsbildung dauern. Nachdem die Jamaika-Variante mit FDP und den Grünen scheitert, lässt sich Merkel im März 2018 mithilfe der SPD zur Kanzlerin wählen. Das "Merkel muss weg" der rechten Opposition verfängt aber mehr und mehr auch in den eigenen Reihen.

  • Merkel, der Hemmschuh

In der CDU rumort es angesichts der geringen Popularität der Kanzlerin, die CSU, die mit Horst Seehofer den Innenminister in Merkels Kabinett stellt, rebelliert im Sommer 2018 offen gegen die eigene Regierungschefin. Die verlorenen Landtagswahlen im Herbst in Bayern und Hessen werden Merkel zunehmend persönlich angelastet.

  • Merkel, die "lame duck"

Am 29. Oktober kündigt Merkel, seit 18 Jahren CDU-Chefin, seit 13 Jahren Kanzlerin, ihren "schrittweisen" Rückzug aus der Politik an. Sie werde den Parteivorsitz abgeben und nicht noch einmal als Kanzlerin kandidieren. Es sind stürmische Zeiten, in Deutschland und der Welt. (Florian Niederndorfer, 29.10.2018)