So schnell kann man kaum schauen, so hurtig werden bereits Babys schon auf ihr Geschlecht reduziert.

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Seit letzter Woche steht die 15a-Vereinbarung für den Ausbau der Kinderbetreuung – vorausgesetzt die Bundesländer ziehen das Kopftuchverbot in Kindergärten durch. Wie das genau aussehen soll, ist noch offen.

Offen bleibt ebenso, wie viele Kinder überhaupt im Kindergarten ein Kopftuch tragen. Sind es rund zweihundert? Fünfzig oder weniger? Und wie viele sind darunter, die es sich wie andere Kinder auch manchmal partout nicht ausreden lassen, bei dreißig Grad in Gummistiefeln in den Kindergarten zu stapfen? Wie viele werden von ihren Eltern dazu gezwungen, tagtäglich eines aufzusetzen? Zwar hieß es vor Monaten, man wolle Zahlen erheben, daraus geworden ist allerdings nichts. Das scheint auch nicht notwendig, denn mit nichts lässt sich ein Gleichberechtigungsmäntelchen leichter umwerfen als mit "irgendwas gegen das Kopftuch".

Kein Auge für den Zweigeschlechterfetisch

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Institution wie Kindergärten und auch Schulen sollen durchaus als Regulative für Verrücktheiten von Eltern fungierten. Aufgezwungene Kleidervorschriften für Kinder gehören da definitiv dazu. Religiöse wie solche aus anderen Motiven. Doch ein Argument, das im Zuge der Debatte über das Kopftuchverbot für Kinder immer wieder gefallen ist, lässt Zweifel aufkommen. Zweifel daran, ob es auch nur einen halbwegs klaren Blick für den Zweigeschlechterfetisch unserer Gesellschaft gibt. Das Kopftuch für Kinder – auch wenn sie es selbst aufsetzten wollen – sexualisiere schon kleine Mädchen, hieß es in den Debatten im Frühjahr. Es würde sie auf ihr Geschlecht reduzieren. Würde sie als sexuelle Wesen definieren, deren Haar man bedecken müsse.

Doch gleichzeitig findet man nichts dabei, dass man Kindern ständig und überall eine starre Geschlechterrolle zuordnet, ganz ohne Kopftuch. Lange bevor sie auch nur im Geringsten ein Bewusstsein von sich selbst entwickeln, wissen andere schon längst alles über Babys – welche Farbe sie mögen, bis wann sie das mit dem Töpfchen draufhaben werden und ob sie sich mehr oder weniger "zickig" anstellen werden.

Taillierte Jacken für Zweijährige

Wer eine Sexualisierung exklusiv über kopftuchtragende Kinder aus muslimisch gläubigen Familien befürchtet, kann noch nie Kleidung für Kleinkinder gekauft haben, noch nie in einer Parfümerie oder in einem Spielwarenladen gewesen sein. Oder ist komplett blind für die tagtägliche Sexualisierung – nicht religiöser, sondern atheistischer und kapitalistischer Natur. Ein Kind muss noch keine vier Kilo haben, schon wird mit bitterem Ernst im Laden nachgefragt, ob es denn für ein Mädchen oder einen Buben sein soll, weil eine Leggins ist nichts für Buben, schon gar keine in Rot. Und die Winterjacken, die für zweijährige Mädchen vorgesehen sind, werden tailliert. Die für "die Buben" sind etwas klobiger, sportlicher, die für "die Mädchen" hingegen "feiner" – und eben "tailliert", wird einem erklärt, gerade so, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.

Was eine Taille mit einer Zweijährigen zu tun hat? Natürlich nichts, es ist aber offenbar inzwischen eine modetechnische Selbstverständlichkeit. Genauso wie Nagellacke für kleine Mädchen, Spangerln oder Puppenzeugs exklusiv für Mädchen. Und nur für Mädchen. Denn, wieder um einem Missverständnis vorzubeugen: Sie können alles haben, aber dann bitte schön auch die Buben. Oder entspricht das nicht unserem rigiden Frauen- und Männerbild, mit dem schon Ein-, Zwei-, Dreijährige traktiert werden? Eher nicht.

Zwänge anderer Art

Die "österreichischen Werte", die mit der 15a-Vereinbarung auch verpflichtend vermittelt werden sollen, haben also mit einem locker-lässigen Umgang mit Geschlechterverhältnissen rein gar nichts zu tun. Es ist vielmehr eine veritable Ignoranz gegenüber Zwängen anderer Art, die durchaus ihrerseits religiösen Charakter haben – und sicher nichts mit den Werten der Aufklärung und Geschlechtergerechtigkeit zu tun haben, die sich jene so gern ans Revers heften, bei denen nur beim Kopftuch, und nur dann, die Alarmglocken läuten. (Beate Hausbichler, 31.10.2018)