Frage:

"Unsere Tochter ist fünf Jahre alt und im Grunde sehr kooperativ. Manchmal gibt es aber Situationen, wo wir nicht mehr weiterwissen, etwa wenn sie partout nicht die warme Jacke anziehen möchte, obwohl sie verkühlt ist. Oder wenn sie nach der Gute-Nacht-Geschichte nicht allein in ihrem Bett einschlafen will. Dann funktioniert nur noch die Belohnungsmethode. Wir stellen ihr dann in Aussicht, dass sie, wenn sie jetzt das macht, was wir von ihr wollen, am nächsten Abend zwei Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen bekommt oder dergleichen.

Tut man Kindern etwas Gutes, wenn man sie belohnt? Bei der Frage scheiden sich die Gemüter.
Foto: https://www.istockphoto.com/at/portfolio/kurkestutis

In letzter Zeit verlangt unsere Tochter immer öfter nach Belohnung. "Die Babysitterin darf mich nur ins Bett bringen, wenn ich mir dafür eine kleine Kleinigkeit im Spielzeuggeschäft aussuchen darf", sagte sie vor kurzem zu uns. Seither frage ich mich, ob man Kindern damit wirklich etwas Gutes tut?"

Antwort von Katharina Weiner:

Die mittlerweile sehr populären Verhaltensmethoden wie Belohnen funktionieren bei ein- bis fünfjährigen Kindern tatsächlich wunderbar. Allerdings oft nur für kurze Zeit. Denn danach wird entweder das System ignoriert, oder es werden größere Belohnungen eingefordert.

Endorphine, die im Gehirn ausgeschüttet werden, erzeugen einen kurzen Glückszustand, ohne diesen im Selbst abzuspeichern. Somit entsteht keine existentielle Substanz wie etwa das Selbstgefühl, sondern Abhängigkeit. In diesem Falle von außen. Studien zum Korrumpierungseffekt bestätigen, dass Belohnungen die vorhandene, natürliche Motivation verdrängen. Damit wird sogar ein zukünftiges Verhalten kontrolliert und damit auch unser Grundbedürfnis nach Selbstbestimmung massiv gestört.

Besonders beunruhigend finde ich genau deshalb die in vielen Kindergärten und Schulen vorherrschende Praxis der Belohnung, dass Kinder zum Beispiel Sticker für ihre erledigten Hausaufgaben erhalten. Sind nach Vorgabe ausreichend Sticker gesammelt, darf das Kind eine Hausübung auslassen. Es wird also mit vermeintlich sanfteren Mitteln eine alte Tradition der Manipulation, dass Kinder angepasst werden müssen, fortgesetzt. Ob nun Strafe oder Belohnung, das Ergebnis bleibt letztlich das Gleiche: Ich fühle mich nicht gut genug, wie ich bin. (Katharina Weiner, 4.11.2018)

Katharina Weiner ist Familienberaterin, Coach und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
Foto: Sven Gilmore

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Aber ja. Belohnungen sind gut und wichtig für die Motivation. Auch da unterscheiden sich Kinder nicht von Erwachsenen. Allerdings geht es um Belohnung für echte Leistung. Hier im Beispiel handelt es sich ja bei ehrlicher Betrachtung weniger um Belohnung als um Bestechung, und das spürt die Tochter natürlich. Würden die Eltern auf ihr eigenes Gefühl hören, wäre ihnen das klar. Denn das Gefühl signalisiert ihnen eindeutig, dass sie es wenig vergnüglich finden, wenn ihnen ihr Kind auf der Nase herumtanzt. Und das sollten sie ihm offen und ehrlich deutlich machen, anstatt ihren Ärger mit Bestechungsversuchen zu verleugnen. Außerdem lässt sich das Spiel mit der Belohnung auch umkehren. Welche Belohnung bekommen denn die Eltern, wenn sie ihrer Tochter einen Gefallen machen. Was lässt sich die Kleine da einfallen?

Belohnungen sind vor allem für das Lernen von Impulssteuerung wesentlich. Und das ist, wenn wir uns in heutigen Klassenzimmern umsehen, ein wirklich brisantes Thema, weil es daran oft dramatisch mangelt. Vielleicht weil in bester Absicht Belohnung mit Bestechung verwechselt wird, wenn Eltern den eigenen Ärger herunterschlucken oder aus welchem Grund auch immer ein schlechtes Gewissen haben. Der berühmte Marshmallow-Test zeigt, wie gut ein Kind schon gelernt hat, seine Impulse zu steuern. Hierbei erhält das Kind ein Marshmallow und hat die Wahl, entweder sofort zuzubeißen oder fünf Minuten zu warten und danach als Belohnung ein zweites Marshmallow zu erhalten. Bei uns in Europa haben Kinder normalerweise etwa um das vierte Lebensjahr herum gelernt, zugunsten der Belohnung zu warten. Und wer das gelernt hat, der tut sich später im Leben leichter und ist nachweislich in Schule und Beruf erfolgreicher. Also keine Scheu beim Üben. (Hans-Otto Thomashoff, 4.11.2018)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Helga Gartner:

Die Erziehung meines Sohnes ist schon längst abgeschlossen, und rückblickend kann ich sagen: Es ist alles gutgegangen, und er ist rundherum gelungen. Wie weit das mein Verdienst ist, kann und will ich nicht beurteilen. Natürlich wurde auch bei ihm immer wieder mit Belohnungen "gearbeitet", und die letzte große Belohnung liegt noch nicht so lange zurück. Wer seine Matura mit ausgezeichnetem Erfolg abschließt, muss auch ausgezeichnet belohnt werden.

Belohnungen gab und gibt es bei uns nicht für Selbstverständlichkeiten wie Zähneputzen oder eine warme Jacke anziehen. Das heißt aber nicht, dass dem Kind nicht Wünsche erfüllt wurden. Wenn er nicht allein einschlafen wollte, dann gab es etwa Gutscheine für fünfmal "mit Mama einschlafen" – einlösbar in einem gemeinsam vereinbarten Zeitraum.

Bei meinen beiden Neffen bin ich nicht so streng. Ich muss sie nicht erziehen, wenn wir zusammen sind, ist "Urlaub". Sie bekommen Eis und Süßigkeiten, dürfen im Prater noch ein zweites und drittes Mal mit der Mäusebahn fahren, und ich lasse sie beim "Uno" oder "Mensch ärgere Dich nicht" auch meistens gewinnen. Ich habe auch keine großen Anforderungen an die beiden Jungs. Sie sind fünf und sieben Jahre alt und wollen einfach Spaß haben mit ihrer Tante. Wenn der große Neffe Rechenkönig wird und mir stolz davon erzählt, hat er sich eine Belohnung verdient, keine Frage. Und natürlich auch der Kleine, der kann ja auch schon bis hundert zählen.

Ich denke, Kinder sollen sich eine Belohnung verdienen können. Die Hürde muss schaffbar sein. Es ist sollte aber nicht dazu kommen, dass Eltern ihren Kindern Wohlverhalten mit Spielzeug ablösen. (Helga Gartner, 4.11.2018)

Helga Gartner ist Assistentin des Ressorts Wissen und Gesellschaft beim STANDARD sowie für das RONDO und schreibt über Kulinarik. Sie ist Mutter eines erwachsenen Sohnes und Tante von zwei Neffen.
Foto: Klaus Pichler