Ein Bild aus Zieten, als die für Brain-Computer-Interfaces nötige EEG-Messung noch über verdrahtete Elektroden lief.

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Mit der Kraft der Gedanken lässt sich bekanntlich vieles bewegen. Zwar können wir uns durch intensives Denken an die sonnige Insel nicht dorthin beamen, und auch das neue Sofa muss noch immer mit Muskelkraft in die Wohnung geschleppt werden.

Aber wenn wir unser Gehirn mit einem Computer verbinden, lässt sich ohne aktive Beteiligung des restlichen Körpers schon jetzt einiges in Bewegung setzen: etwa eine Buchstabiermaschine, die Menschen mit Locked-in-Syndrom die Kommunikation mit ihrer Umwelt ermöglicht. Die technische Grundlage dafür ist ein Brain-Computer-Interface (BCI), also eine Schnittstelle, die eine Verbindung zwischen Gehirn und Computer herstellt.

Dabei wird die elektrische Aktivität des Gehirns beim Fokussieren eines bestimmten Buchstabens mittels EEG gemessen, analysiert und in Steuersignale umgewandelt. Ein internationales Forscherkonsortium unter federführender österreichischer Beteiligung hat nun eine gedankengesteuerte Greif-Neuroprothese auf BCI-Basis präsentiert. "

Anwender solcher Prothesen sind Menschen, die aufgrund einer Rückenmarksverletzung ihre Hände nicht mehr einsetzen können", erklärt Projektleiter Gernot Müller-Putz, Vorstand des Instituts für Neurotechnologie der TU Graz. "Mit der von uns weiterentwickelten Neuroprothese können gewisse Handgriffe über ein BCI gesteuert und durchgeführt werden."

Elektroden steuern Muskeln an

Wie das möglich ist? "Bei einer Querschnittlähmung ist zwar die Leitung zwischen Gehirn und Extremität unterbrochen, aber die Schaltzentren im Gehirn und die Muskeln im betreffenden Körperteil sind noch vorhanden", erläutert Müller-Putz. "Wir umgehen die unterbrochene Leitung, indem wir das Gehirn mit einem Computer kommunizieren lassen, der die Befehle an die Muskeln weiterleitet."

Angesteuert und zur jeweiligen Bewegung veranlasst werden die Muskeln mit am Unterarm angebrachten Elektroden. Auf diese Weise können die Finger geöffnet oder geschlossen werden. Da das Greifen ein sehr komplexer Vorgang ist, wurden im Projekt erst drei Griffvarianten untersucht: der Zylindergriff, um nach einem Glas zu greifen, der Schlüsselgriff, um etwa einen Löffel in die Hand zu nehmen, sowie das Aufmachen der Hand und das Drehen nach innen und außen.

Während man bisher beliebige, aber gut unterscheidbare gedankliche Konzepte einsetzte, um die geeigneten Hirnströme zur Steuerung der Neuroprothese zu erzeugen, genügt nun der einfache Versuch der beabsichtigten Greifbewegung. "Wir arbeiten jetzt mit Signalen, die sich nur geringfügig voneinander unterscheiden", berichtet Gernot Müller-Putz. Und er ergänzt: "Dennoch zeigen uns erste Tests, dass die Neuroprothese damit ganz gut zu steuern ist." Allein der Versuch der geplanten Bewegung löst schon ein bestimmtes Muster aus, das gemessen und detailreich analysiert wird.

"Das ist eine enorme Vereinfachung, denn vorher mussten sich die Anwender wiederholt über mehrere Sekunden eine bestimmte Bewegung vorstellen", sagt der Forscher. Mit der neuen Methode brauchen die Menschen nur die gewünschte Bewegung auszuführen versuchen. "Das ist ein beträchtlich geringerer mentaler Aufwand und muss nicht mehr mühsam trainiert werden", meint der Wissenschafter.

Das dabei entstehende Hirnsignal wird mittels EEG gemessen und vom Computersystem verarbeitet. Neben der TU Graz waren auch das Universitätsklinikum Heidelberg, die Universität Glasgow, das Grazer Know-Center sowie zwei Elektronikunternehmen an diesem EU-Forschungsprojekt mit dem vielsagenden Titel "MoreGrasp" beteiligt.

EEG-Messung

Und wie sieht die optimierte Neuroprothese aus? "Die EEG-Messung erfolgt drahtlos über in eine Kappe integrierte Elektroden, wobei die empfangenen Hirnströme drahtlos via Bluetooth an den Computer geschickt werden", erklärt Müller-Putz. "Am Unterarm sind dagegen verkabelte Elektroden angebracht, da sich Energie nicht drahtlos übertragen lässt." Diese Elektroden bringen die elektrischen Impulse vom Computer, der in einem Rucksack an der Lehne des Rollstuhls verstaut ist, zur Hand.

Damit sämtliche Informationen sinnvoll miteinander kommunizieren und sich das System laufend verbessern kann, kommen datengetriebene Artificial-Intelligence-Ansätze zur Anwendung. Die entsprechende Expertise steuert das Grazer Know-Center bei, eine Forschungseinrichtung für "Data-Driven Business & Big Data Analytics": "Wir haben die Sammlung der Daten sowie deren Aufzeichnung, Darstellung, Übertragung, Verknüpfung und Verwaltung im Zuge des Projekts durchgeführt", berichtet Eduardo Enrique Veas, Leiter des Bereichs Knowledge-Visualization.

Auch die grafischen Schnittstellen zwischen System und Benutzer bzw. System und Experten wurden am Know-Center entwickelt. "Insgesamt handelt es sich um ein äußerst komplexes System, in das viele Informationen einfließen, die sich alle gegenseitig beeinflussen", sagt Veas.

Einfache Handhabung

Diese Komplexität soll aber nicht sichtbar werden, die Handhabung des Geräts, das der Nutzer via Tablet ein- und ausschalten kann, muss so einfach wie möglich sein. "MoreGrasp zeigt eindrucksvoll, wie datengetriebene Ansätze verantwortungsvoll zur Unterstützung von Menschen in herausfordernden Situationen eingesetzt werden können", schwärmt Know-Center-Chefin Stefanie Lindstädt.

Wie sich die neue Greif-Neuroprothese im Alltag bewährt, wird zurzeit in einer Machbarkeitsstudie überprüft. "Passende Probanden, die in einem aufwendigen Verfahren herausgefiltert werden, bekommen ein maßgeschneidertes BCI-Training", berichtet Gernot Müller-Putz. "So werden Hirnsignale gesammelt, und das System lernt mit jedem neuen Versuch dazu."

Im Grazer TU-Labor wird mittlerweile an der Erweiterung der möglichen Griffe gearbeitet. Für mehr als 30 hat man schon die entsprechenden Hirnsignale untersucht. Das aber ist noch reine Grundlagenforschung. (Doris Griesser, 3.11.2018)