"Alice T. " von Regisseur Radu Muntean.

Foto: Viennale

25. Oktober: Die Viennale wird mit einem Reigen an Reden eröffnet, und die neue Direktorin Eva Sangiorgi liefert mit ihrem Querschnitt durchs Programm gleich noch weitere Tipps für meinen eh schon bummvollen Filmkalender. Kommen wir gleich zu den Filmen, dazu gab die Regisseurin des Eröffnungsfilms, Alice Rohrwacher, das Stichwort. Auf die häufige Journalistenfrage, ob sie ihren Film doch bitte in drei Sätzen zusammenfassen könnte, antwortet sie lachend mit: "Nein, sonst hätte ich doch keinen ganzen Film gemacht!"

Nun, um der Kürze eines Blogs Genüge zu tun, versuche ich das trotzdem: "Lazzaro felice" funktioniert bestens als sozialkritisches Märchen über Ausbeutung, sofern man dem Film seine wenig subtile religiöse Symbolik nicht allzu übel nimmt. Die fantastischen Elemente ergänzen sich perfekt mit einem tristen Blick auf die Realität von Menschen in Armut im damaligen und heutigen Italien. Sollte man sich ansehen – "Lazzaro felice" läuft schon regulär im Kino.

"High Life" und "Alice T."

27. Oktober: "High Life" zeigt Langeweile im All, beziehungsweise die Langeweile von Robert Pattinson. Kann man tiefgründige Fragen über das Universum, das Leben und den ganzen Rest in seinem minutenlangen ausdruckslosen Blick auf ein Baby spüren? Ich habe keine Kinder und kann das wohl nicht beurteilen. Pattinson selbst war aber auch schon mal deutlich besser (etwa in "Good Time"). Einige wenige ikonische Szenen reißen mich nur ab und an aus der Apathie dieses viel zu langen Films.

"Alice T." überrascht hingegen mit einer fulminanten jungen Hauptdarstellerin. Es ist ein Teenagerdrama mit glaubwürdigen Protagonisten und Themen, die bis vor nicht allzu langer Zeit in Rumänien noch soziale Tabus waren (oder eventuell noch sind). Es hat mich ehrlich verwundert, wie stimmig die Lebenswelt von Teenagern hier eingefangen wird.

"Cómprame un revólver" und "Beo-ning"

Ebenso groß: "Cómprame un revólver" – eine spannende und erschreckend realistische Dystopie im Mexiko der nicht allzu fernen Zukunft. Da passt einfach alles: Kameraführung, Kostüme, Story, Tempo und Darsteller. Regisseur Julio Hernández Cordón war im anschließenden Publikumsgespräch erfrischend ehrlich: Wieso er seine Tochter als Hauptdarstellerin gecastet hat? Na, weil er so zwei Monate am Stück mit ihr verbringen konnte! Ob die Maske der Tochter im Film eine Anspielung auf die Luchador-Kultur in Mexiko sei? Nö, die Tochter war lediglich manchmal müde und dann hat ihre Schwester übernommen – deshalb die Maske.

"Beo-ning" als Spätfilm – vielleicht nicht die weiseste Entscheidung meines Lebens. Es ist aber eine Murakami-Verfilmung wie aus dem Bilderbuch: gemächlicher Aufbau, umwerfende (für die Uhrzeit vielleicht etwas zu) lange Takes ohne Schnitte und viel Mysteriöses. Oder anders gesagt: eine würdige Verfilmung. Wer Murakami mag, wird auch diesen Film mögen.

"Ray & Liz"

28. Oktober: Als Regisseur Richard Billingham nach der Projektion von "Ray & Liz" nach vorne kommt, wirkt er sichtlich gerührt. Hoffentlich auch wegen des Applauses, schließlich hat er sich diesen mehr als verdient. Die Familie von Billingham bildet den thematischen Überbau für ein ungemein stimmiges Porträt, das seine Protagonisten nicht bloßstellt. So gut kriegt man das wohl nur aufgrund des biografischen Hintergrunds hin.

PS: Ich verspreche hiermit, mir sofort einen Jahresvorrat an Dragee-Keksis zu kaufen, wenn die Packungen auf raschelfreies Papier umgestellt werden. Ein Saal voller Viennale-Geher, alle mit einer Plastiktüte in der Hand – so stelle ich mir die Hölle vor. (Patrick Mittler, 31.10.2018)