Fußball wird gelegentlich als eine Sportart beschrieben, bei der 22 Männer (inzwischen auch Frauen) einem Ball nachjagen und immer Deutschland gewinnt. Die zweite These wurde in diesem Sommer wieder einmal spektakulär widerlegt, die erste aber besitzt mehr Gültigkeit denn je. Fußball ist zu einem Jagdsport geworden, präzis choreografierte Balleroberung bildet das taktische Hauptinstrument. Für ein freies Spiel gibt es kaum noch Raum. Viele bedauern das, aber nur wenige würden deswegen an das Allerheiligste rühren: an eine substanzielle Änderung der altehrwürdigen Regeln.

Laurentiu Ghinghina (li.) erklärt Corneliu Porumboiu das System Fußball. Da kann es schon passieren, dass beim Dreh eine alte Frau hereinschneit.
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Der Rumäne Laurentiu Ghinghina hingegen kennt diesbezüglich keine Scheu. Er tüftelt schon lange an radikalen Änderungen für den Traditionssport. Er will zusätzliche Linien einziehen, die Spieler auf bestimmte Zonen festlegen und noch allerlei mehr, um dem Fußball auf diese Weise zu mehr Toren und Spektakel zu verhelfen. Bei der Fifa, wo die Regeln verwaltet werden, nimmt man von dem osteuropäischen Sonderling kaum Notiz.

Dafür begann der Filmemacher Corneliu Porumboiu sich für Ghinghinas System zu interessieren. Schon zum zweiten Mal wählt der herausragende Intellektuelle des rumänischen Kinos damit Fußball als Thema, das ihm die Möglichkeit gibt, beiläufig noch von vielen anderen Dingen zu erzählen. In erster Linie von Politik und Zeitgeschichte. In The Second Game ließ Porumboiu eine verwaschene alte Videoaufzeichnung von einem Spiel zwischen den beiden Bukarester Spitzenmannschaften Steaua und Dinamo durchlaufen und ergänzte die Bilder mit einem neuen Kommentar – gemeinsam mit seinem Vater, der damals Schiedsrichter war. Einen hintersinnigeren Film über das kommunistische Ceausescu-Regime kurz vor der Revolution kann man sich kaum denken.

Exemplarische Geschichte

Mit Fotbal Infinit und Laurentiu Ghinghina nimmt Porumboiu nun die Transformationserfahrungen nach 1990 in den Blick. Der Fußballreformator, mit dem Porumboiu befreundet ist, hat auch eine exemplarische Geschichte über das Leben in der wirtschaftlichen Freiheit zu erzählen. Bis nach Amerika verschlug es ihn bei seinen Versuchen, einen Teil vom kapitalistischen Kuchen zu erwischen. Nun ist er wieder in Rumänien und arbeitet in der Verwaltung. Da kann es schon passieren, dass beim Dreh eine alte Frau hereinschneit, die eine typische Geschichte von Übervorteilung im neuen Rumänien zu erzählen hat.

Porumboiu macht keinerlei Anstrengungen, die Bildhaftigkeit von Ghinghinas Fußballreflexionen allzu deutlich auf politische Umstände umzulegen. Diese Aspekte (ein stetiger Balanceakt zwischen Befreiungsutopie und Überregulierung) liegen ohnehin auf der Hand.

Im Grunde ist Fotbal Infinit ein sehr privater Film, der sich auch formal beinahe hinter der Beiläufigkeit von Szenen einer etwas asymmetrischen Freundschaft zu verstecken scheint. Gerade dadurch trifft Porumboiu aber entscheidende Aspekte der Funktion eines Künstlers und Intellektuellen in einer offenen Gesellschaft: Drüberstehen ist nicht drin, kühle Beobachtung ist nur die Kehrseite einer tiefen Verstrickung, die sich in der Leidenschaft für Fußball zeigt, die aber unsere allgemeine Existenz in der Gesellschaft meint. (Bert Rebhandl, 31.10.2018)