Wie Perlen aufgereiht kleben die Regentropfen an dem gelben Grasbüschel, das aussieht wie ein Igel unter Elektroschock. Im Hintergrund leuchtet der schneebedeckte Gipfel des Cotopaxi. Es ist eiskalt und nieselt im Páramo Alto Pita, einem andinen Hochmoor in Ecuador auf 3500 Metern Höhe. Eine lebensfeindlich anmutende Gegend, rund 100 Kilometer südlich der Hauptstadt Quito gelegen. Doch hier ist der Ursprung eines Großteils der Quellen und Flüsse, die nicht nur Quitos 1,6 Millionen Einwohner mit Trinkwasser versorgen, sondern auch am Ostabhang der Anden ins Amazonasgebiet münden und damit die Flüsse des größten hydrografischen Beckens der Welt speisen.

"Calamagrostis intermedia" heißt der ungekämmte Igel, und zusammen mit dem Papierbaum Polylepis und den unzähligen endemischen Moosen und Flechten, die der Páramo beheimatet, hat er die Funktion eines enormen Wasserspeichers. "Er fängt den Regen auf und gibt das Wasser dosiert und langsam wieder ab", sagt Pablo Lloret, Umweltdirektor der Wasserwerke von Quito (Emaps).

In kleinen Pfützen, die zu Bächlein werden, zu Flüssen und schließlich zu Strömen im Tiefland. Nicht wie die Gletscher, die im Sommer oder unter klimabedingter Erwärmung schlagartig enorme Wassermassen freisetzen und zu einer lebensbedrohlichen Gefahr für Flussanrainer werden können.

Deshalb ist der Páramo eine strategische Ressource. In Kolumbien stellte das Verfassungsgericht 2016 die Páramos unter Naturschutz und zwang die Regierung, Bohr- und Bergbaulizenzen zu stornieren. Ecuador hingegen erkannte schon viel früher den Wert der Páramos – und ging einen anderen Weg, indem man Umweltschutz zum Katalysator für Entwicklung machte.

Der Páramo ist für die Anden typisch.
Foto: Sandra Weiss

Der Natur Geld geben

Als in den 1990er-Jahren in Quito wegen einer Dürre plötzlich das Wasser knapp wurde, schmiedeten Umweltschützer, Unternehmer und Politiker eine Allianz und richteten im Jahr 2000 den ersten Wasserfonds (Fonag) des Landes ein. "Das ist ein Treuhandfonds, an dem sich verschiedene Akteure beteiligen, indem sie Geld in das Sparschwein werfen", sagt Lloret. 21.000 US-Dollar zahlte jeder der sechs Gründer anfangs ein; aus den Zinsen und zwei Prozent der Wassergebühren der Stadt Quito bestreitet der Fonds seine Ausgaben. Deren einziges Ziel ist der Schutz der Páramos.

"So geben wir der Natur eine Stimme", sagt Lloret – und vor allem Geld. Und das schon lange bevor die ecuadorianische Verfassung im Jahr 2007 die Rechte der Natur gesetzlich verankerte. Der Fonag hat aus Sicht Llorets, der lange Jahre dessen Vorsitzender war, mehrere Vorteile: "Er ist langfristig angelegt, unabhängig und vereint mehrere Interessen an einem Tisch." Von politischen Turbulenzen und Wirtschaftskrisen abgeschirmt, können hier Experten walten.

Partner sind Stromversorger, Universitäten und der größte Getränkehersteller Ecuadors, Tesalia. "Für uns ist der Fonag ein strategischer Partner mit Expertenwissen und lokaler Verankerung gleichzeitig", sagt die PR-Direktorin von Tesalia, Maria Isabel Parra. "Bei ihm finden wir Experten, die Schutzprogramme gemeinsam mit den betroffenen Gemeinden und Bürgern umsetzen können. So etwas könnten wir niemals allein bewerkstelligen."

Diese wasserspeichernde Vegetationsform seit 2016 geschützt.
Foto: Sandra Weiss

Bedrohung durch Klimawandel

Unheil droht den Páramos trotzdem. Zum einen durch den Klimawandel, der dazu führt, dass Nutzpflanzen aufgrund steigender Temperaturen immer weiter die Höhenmeter hochklettern. Kartoffeln werden heute schon in bis zu 3700 Metern angebaut. Zum anderen durch den Menschen: Viehweiden sind ein großes Problem, denn die Hufe der Tiere kompaktieren den Boden und verringern damit seine Speicherkapazität. Außerdem kontaminieren sie mit ihren Ausscheidungen das Wasser schon an der Quelle. Die größte Bedrohung aber ist der Bergbau. In den Höhenzügen der Anden liegen wertvolle Mineralien, von Kupfer über Silber bis Gold.

"Eine Allianz mit den Anrainern ist daher unerlässlich", sagt Lloret. Sie sind die Verbündeten, die direkt vor Ort als vom Fonag bezahlte Parkwächter die Quellen schützen. Der Fonag betreibt darüber hinaus Umweltaufklärung an Schulen, und zeigt den Gemeinden konkret andere Wirtschaftsmodelle auf.

Der Klimawandel und Viehhaltung setzen den Páramos zu.
Foto: Sandra Weiss

In Oyacachi am Ostabhang der Anden zum Beispiel schickt niemand mehr seine Kühe zum Weiden ins Hochland. Die Bauern haben gelernt, wie sie nahrhaftere Futtermittelmischungen in tieferen Lagen anbauen können. Zudem haben viele Familien dank der Unterstützung durch den Fonag eine Forellenzucht eingerichtet, die ihnen ein Zusatzeinkommen bringt.

Und dann sind noch die Touristen – die vor allem am Wochenende kommen – und das Kunsthandwerk zu einer weiteren Einnahmequelle geworden. Weshalb die 700 Einwohner zählende Gemeinde zusammen mit dem Fonag ein Kanalisationssystem durchgesetzt hat, das gerade im Bau ist – nicht selbstverständlich in so abgelegenen Bergdörfern. "Für uns gibt es ein Vorher und Nachher; der Fonag hat uns einen riesigen Entwicklungsschub gebracht", sagt Bürgermeister Mauricio Parión. (Sandra Weiss, 7.11.2018)