Die Machtübernahme von Sebastian Kurz war viel zu präzise und langfristig geplant, als dass man sich durch gesetzliche Einschränkungen behindern lassen wollte.

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Die ÖVP versucht das Thema mit aller Kraft zur Seite zu schieben: Die Überschreitung der zulässigen Wahlkampfkosten im vergangenen Jahr ist der "neuen" Volkspartei mehr als nur unangenehm. Es ist der erste ganz grobe Riss in der türkisen Fassade, der einen Blick auf das Dahinterliegende erlaubt. Und das ist Sebastian Kurz gar nicht recht.

Kurz und sein Team sind sehr darum bemüht, ein Bild von der türkisen Herrschaft zu zeichnen, in dem alles korrekt zugeht, in dem der Chef Wert darauf legt, fair zu sein, andere nicht ungerechtfertigt anzugreifen oder gar auszutricksen. Nun, das kann so nicht stimmen.

Die ÖVP hat die gesetzlich erlaubte Grenze von sieben Millionen Euro im Wahlkampf nicht knapp verfehlt, was man als Missgeschick rechtfertigen könnte. Sie hat um sechs Millionen Euro überzogen. Hier wurde mit Vorsatz gehandelt, hier wurde mutwillig das Gesetz gebrochen, um sich den anderen Mitbewerbern gegenüber einen Vorteil zu verschaffen. Hier wurde auch ganz ungeniert gelogen. Dass der Chef von einer derart massiven Überschreitung des Budgets nichts wissen konnte, ist unwahrscheinlich: So etwas entscheiden Mitarbeiter nicht ohne Anordnung von oben.

Die Strategie lautete: Gewinnen um jeden Preis. Nicht nur im finanziellen Sinn. Offenbar wurde bewusst in Kauf genommen, dass dabei die Redlichkeit auf der Strecke bleibt. Man hat sich hier eine Wahlkampagne geleistet, weil man es sich dank großzügiger Spenden leisten konnte und weil man es sich leisten wollte, moralische Bedenken zur Seite zu schieben und einen Gesetzesbruch in Kauf zu nehmen. Die Machtübernahme von Kurz war viel zu präzise und langfristig geplant, als dass man sich durch gesetzliche Einschränkungen auf den letzten Metern noch behindern lassen wollte.

Durchgestylter Wahlkampf

Nicht dass Kurz nicht auch ohne Schummelei Kanzler geworden wäre. Der Wahlkampf war perfekt durchgestylt, er hätte auch mit ein paar Millionen weniger gut funktioniert. Vor allem, weil Kurz konsequent Geschichten erzählt. Etwa jene von der Bedrohung durch die Flüchtlinge, der er sich so entschlossen entgegenstellt. Kurz erzählt aber auch noch eine andere Geschichte, nämlich jene von seiner persönlichen Integrität, von Authentizität, von einer Ehrlichkeit und Geradlinigkeit, die letztlich seinen Erfolg ausmacht: Glaubwürdigkeit.

Genau diese Glaubwürdigkeit ist nun massiv angeschlagen, das erste Mal für alle nachvollziehbar.

Auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, wenn auch etwas diffiziler, ist der Ausstieg Österreichs aus dem Uno-Migrationspakt. Es gibt (gute) Gründe, die man gegen den Migrationspakt vorbringen kann. Österreich, das aktiv und konstruktiv an der Entstehung dieses Paktes mitgearbeitet hat, hat diese nicht vorgebracht. Der jetzt angekündigte Ausstieg hat vor allem politische Gründe, also populistische Gründe. Die staatliche Souveränität wird durch diesen Pakt jedenfalls nicht ausgehebelt, wie behauptet wird. Kurz unterstreicht damit lediglich die Botschaft, auf allen Ebenen alles gegen Flüchtlinge zu unternehmen. Einem nicht unbeträchtlichen Teil des Publikums gefällt das. Ein solches Vorgehen nennt man Opportunismus.

Dass die Glaubwürdigkeit dabei rapide an Wert verliert, ist der Überheblichkeit jener Proponenten des Systems geschuldet, die glauben, sich über Regeln hinwegsetzen zu können, wenn es ihrem eigenen Vorteil dient. (Michael Völker, 2.11.2018)