Der Zustand der Demokratie und damit der österreichischen Republik steht im Zentrum des "Report spezial: 100 Jahre Republik – Wie stark ist unsere Demokratie?" am Dienstag um 21.05 Uhr in ORF 2. Auf Basis des Sora-Demokratiemonitors diskutieren bei Moderatorin Susanne Schnabl zwölf repräsentativ ausgewählte Österreicherinnen und Österreicher. Das Bürgerelement ist ein Novum beim "Report", es trägt die Handschrift des neuen Sendungschefs Wolfgang Wagner, der zuvor elf Jahre die "ZiB 2" leitete. Schnabl und Wagner sprechen über das neue Format, politische Interventionen und warum das Interview mit Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) nicht respektlos war.
STANDARD: Am Dienstag gibt es eine Spezialausgabe des "Report". Was ist daran neu?
Wagner: So ein Bürgerelement hat es innerhalb des "Report" noch nicht gegeben. Wir beschäftigen uns 100 Jahre nach der Republiksgründung mit dem Zustand unserer Demokratie. Das Bürgerelement haben wir auf Basis einer Sora-Umfrage entwickelt. Für den Sora-Demokratiemonitor wurden im September und Oktober über 2000 Leute befragt. Wir haben nach dem Raster der Umfrage in mehreren Schritten zwölf Personen ausgesucht, die für die österreichische Bevölkerung und das Ergebnis der Studie repräsentativ sind. Wir haben sie in ihren Heimatorten besucht, um noch einmal ein Gespräch zu führen und zu klären, ob die Ergebnisse aus der Sora-Umfrage mit ihren Ansichten übereinstimmen. Susanne Schnabl wird dann die Diskussion mit ihnen führen.
Schnabl: Es sind nicht nur entgegensetzte Meinungen, sondern Personen aus unterschiedlichen Milieus.
Wagner: Wir haben allerdings keine Burgenländer und Vorarlberger, weil es etwa aufgrund der Terminfrage nicht gegangen ist, da waren die Fallzahlen dann nicht so hoch. Stadt/Land, Ost/West und Gender sind gelungen – aber nicht, dass jedes Bundesland vertreten ist.
STANDARD: Und die Diskutanten und Diskutantinnen sind auch in puncto Parteienpräferenz repräsentativ?
Wagner: Nein, Parteipolitik stand nicht im Fokus, sondern wie sie das demokratische System sehen – zwischen sehr demokratisch und sehr autoritär. Diese Meinungen korrelieren nicht 1:1 mit parteipolitischer Zuordnung.
STANDARD: Wird Parteipolitik bei der Diskussion dann überhaupt eine Rolle spielen?
Schnabl: In der Frage schon, der Titel ist aber: "Wie stark ist unsere Demokratie?" Es gibt Leute, die haben die Regierungsparteien gewählt, andere haben das nicht gemacht. Es gibt vielleicht einen gemeinsamen Nenner, wie sie sich Partizipation vorstellen, es gibt aber Unterschiede, was sie unter einem Kompromiss oder unter guter Gesetzgebung verstehen.
Wagner: Vor dem Hintergrund aktueller Debatten ist es aber sehr wahrscheinlich, dass aktuelle Vorhaben der Regierung und Kritik daran eine Rolle spielen werden. Genauso wie die Positionierungen bei den drei Volksbegehren, die kürzlich zu Ende gegangen sind. Wir gehen davon aus, dass wir rund eine Stunde diskutieren, was wir auf eine halbe Stunde zusammenfassen. Die ungeschnittene Fassung bieten wir in der TVthek an.
Schnabl: Grundgedanke ist, dass wir ja im "Report" ein fixes Studiogespräch haben, und das ist zu 99 Prozent einem Politiker gewidmet. Dieses Mal wird die Sendung geöffnet, und der Bürger als der Souverän präsentiert seine Vorstellungen.
STANDARD: Soll diese Öffnung richtungsweisend für den "Report" sein, und sollen Bürgerbeteiligung regelmäßig stattfinden?
Wagner: Wir wollen so ein Format etablieren, aber anlassbezogen. Regelmäßig ist zu viel gesagt. Jetzt eben anlässlich 100 Jahre Republik, möglicherweise dann wieder zum Ende der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft oder nächstes Jahr zur EU-Wahl.
STANDARD: Ist das bereits Ihre Handschrift als neuer "Report"-Chef?
Wagner: Diese Öffnung stand in meinem Bewerbungskonzept. Die Redaktion trägt das voll mit.
Schnabl: Das ist eine Idee von Wolfgang Wagner, der es konzeptuell als Neuerung in den "Report" gebracht hat. Dass ich voll auf Linie bin, ist logisch. Auch bei meinem Buch "Wir müssen reden" geht es um mehr Dialog. So ein Format hat es noch nie im ORF gegeben.
STANDARD: Es geht um Dialog konträrer Pole?
Schnabl: Das ist die Grundidee. Wenn der Journalismus etwas leisten kann und soll, dann dass er dialogischer wird und einen Diskussionsraum zur Verfügung stellt.
Wagner: STANDARD-Chefredakteur Martin Kotynek hat das fast wortwörtlich so im "Doublecheck"-Interview auf Ö1 gesagt, als er das Projekt "Österreich spricht" beschrieben hat. Ganz zentral ist die Verständnisebene. Unsere Aufgabe als Journalisten ist es nicht, Leute von etwas zu überzeugen, sondern eine Diskursplattform zu bieten, wo Verständnis möglich ist, selbst wenn man komplett konträrer Ansicht ist. Man sollte verstehen, wie jemand zu seiner Meinung kommt.
STANDARD: Sie haben auch nicht die Befürchtung, dass die Diskussion eskaliert, indem etwa eine Partei massiv beschimpft wird?
Schnabl: Wir haben keine aktiven Parteifunktionäre eingeladen. In Settings wie Talkshows weiß man immer, wer welche Position vertritt. In den Vorgesprächen wurde schon ersichtlich, wie ambivalent Positionen sein können. Das ist keine Schwarz-Weiß-Folie, die man drüberlegen kann. Wir hoffen auf ein paar Aha-Momente. Wir kennen meist nur die Position der Politiker zu Mitbestimmung und ab welchem Quorum es etwa Volksabstimmungen geben soll – jetzt reden wir aber mit den Bürgerinnen und Bürgern darüber.
Wagner: Die Angst, dass es eskaliert, haben wir nicht – obwohl wir abbilden, was die Studie erhoben hat. Sieben Prozent sind sehr für einen starken Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss, und elf Prozent wollen das eher. Diese Gruppe gibt es und wird auch in der Diskussion abgebildet. Das ist ein Spannungselement, das den Reiz ausmacht.
STANDARD: Laut aktueller Wertestudie sind 96 Prozent mit der Demokratie zufrieden. Warum muss man darüber überhaupt diskutieren?
Schnabl: Sieht man das im internationalen Kontext, wenn man etwa nach Brasilien oder in die USA schaut, dann wird das schon ein Momentum in der Diskussion sein. Zufriedenheit heißt ja nicht, dass alles so toll ist und bleiben soll, wie es ist. Es gibt schon konkrete Wünsche und Verbesserungsvorschläge.
Wagner: Es ist ein zufälliges Zusammenfallen, dass Österreich 100 Jahre Republiksgründung feiert und gleichzeitig das Modell der liberalen Demokratie weltweit infrage gestellt wird. Das bringt auch Menschen dazu, über so etwas nachzudenken und darüber, ob die Zukunft ihrer Kinder in einem demokratischen Staat oder möglicherweise in einem gar nicht mehr demokratischen Staat stattfindet.
Schnabl: Bei der Bundespräsidentenwahl gab es die These, dass aufgrund von Social Media eine starke Polarisierung der Öffentlichkeit vorherrscht. Das ist eine Art Probe aufs Exempel: Wie polarisiert ist es, wenn man sich gegenübersitzt? Wie sehr ist die Dialogfähigkeit ausgeprägt?
STANDARD: Sie amtieren seit Sommer als "Report"-Chef. Sind weitere neue Formate geplant?
Wagner: Dieser "Report spezial" ist eine Neuausrichtung, aus dem heraus entwickelt sich das eine oder andere. Ansonsten setzen wir die Elemente bereits flexibler ein und bewältigen auch Aktualität sehr gut. Als am Dienstag um 15 Uhr bekannt wurde, dass Christian Kern zurücktritt, haben wir die Sendung so umgestellt, dass sie sowohl aktuell als auch mit Hintergrund aufbereitet wurde. Das sind Nachjustierungen.
Schnabl: Im Juni hatten wir zum Beispiel 100 Minuten im Hauptabend zum EU-Ratsvorsitz.
STANDARD: Der "Report" ist das politische Magazin im ORF. Wie hat sich das Format entwickelt, seit Schwarz-Blau die Regierung bildet? Gibt es mehr oder weniger Interventionen?
Schnabl: Genau so wenig wie zuvor. Es hat weder unter der schwarz-roten Regierung jemand direkt angerufen, noch macht das jetzt jemand.
Wagner: Auch im Vergleich mit der "ZiB 2": Es ist der normale Umgang, den ich auch vorher erlebt habe. Es gibt Kritik und Aufregung, was systemimmanent ist, wenn man kritischen Journalismus macht, aber nichts, was für mich eine große Neuerung gewesen wäre.
STANDARD: Kritik ist ja legitim.
Wagner: Man wünscht sich immer, dass man von allen geliebt wird, aber das ist nach einer gewissen Zeit in diesem Geschäft eine Illusion.
Schnabl: Als Interviewerin weiß man, dass einen nicht alle lieben. Die Unzufriedenheit, dass wir kritische Sachen thematisieren und nachfragen, hat sich jetzt im Vergleich zur Vorgänger- und Vorvorgängerregierung nicht wesentlich geändert. Das sind der Antagonismus und die natürliche Logik im Zusammenspiel zwischen Politikern und Journalisten. Alles andere wäre komisch.
STANDARD: Ein Beispiel war das Interview mit Innenminister Herbert Kickl im Zuge der BVT-Affäre, das für heftige Diskussionen und Kritik der FPÖ gesorgt hat. Kickl hat gesagt, ein Beitrag wäre so gestaltet worden, dass er "angepatzt werde", und ein ÖVP-Stiftungsrat hat moniert, dass er Respekt vermisst habe. Tangiert Sie so etwas?
Schnabl: Ein Interview hängt nie alleine vom Interviewer ab, sondern davon, wie der Interviewte agiert, ob er das bewusst oder unbewusst macht. Respektlos habe ich das Kickl-Interview nicht gefunden. Dass man Fakten richtig einordnen muss, gehört zum Job, sonst müsste man nicht dort stehen und könnte vom Roboter einen Fragenkatalog vorlesen lassen.
Wagner: Der Kritik, dass der Beitrag so gemacht worden sei, um ihn anzupatzen, habe ich bereits am nächsten Tag entgegnet, dass das eindeutig nicht der Fall war. Er war live im Studio, und das war eine Zusammenschau aller Vorwürfe, die von der Opposition oder kritischen Journalisten erhoben wurden. Das war kein Anpatzen, er hatte die Möglichkeit, Stellung zu nehmen.
Schnabl: Wellen geschlagen hat das insofern schon beim Publikum, aber da ist es darum gegangen, wie der Innenminister agiert hat. Wir hatten auch schon SPÖ-Kanzler im Studio, die gefunden haben, dass es im Vorbericht zu wenig Lob für irgendeine Maßnahme gab. Das ist nicht unsere DNA und nicht unsere Art von Journalismus. Es geht uns um das kritische Hinterfragen eines Sachverhalts.
STANDARD: Es gab ja nicht nur Kritik, sondern auch viel Lob für Ihre Interviewführung. Spiegelt sich das auch in den Zuseherreaktionen wider?
Schnabl: Wir bekommen nach den Sendungen sehr viel Feedback. Nach diesem Interview hat sicher nicht das Negative überwogen. Viele haben geschrieben, dass es ein außergewöhnliches Interview war. Das kann man interpretieren, wie man möchte.
STANDARD: Die jüngsten FPÖ-Attacken betrafen Patricia Pawlicki nach einem Interview mit Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) im Parlamentsmagazin "Hohes Haus". FPÖ-Generalsekretär Vilimsky hat sogar gefordert, dass sie ihren Job verlieren soll. Wie gehen Sie mit solchen Angriffen um, wenn es Ihre Mitarbeiterin oder Ihren Mitarbeiter beträfe, Herr Wagner?
Wagner: Aufgabe des Sendungschefs ist es, sich vor seine Mitarbeiter zu stellen. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hat das auch getan. So etwas würde ich auch machen. Wenn ein Mitarbeiter eine kritische Frage stellt und dann von einer Partei gefordert wird, dass er abgesetzt wird, das erfordert eine Reaktion der Vorgesetzten. In dem Fall war es Alexander Wrabetz.
STANDARD: Die "ZiB 2" bekommt ab Jänner 2019 eine Sonntagsausgabe. Als langjähriger Chef dieser Sendung: Goutieren Sie das oder hatten Sie es unter Ihrer Ägide gar forciert?
Wagner: Wir haben darüber mehrfach nachgedacht, dieses Stadium zur Umsetzung hatte es aber nie erreicht. Das ist auch eine Frage des Budgets, aber grundsätzlich ist das eine sehr gute Idee.
STANDARD: Auch, dafür jemanden von außerhalb zu holen wie Martin Thür, der die Sendung moderieren soll?
Wagner: Er ist auf jeden Fall ein exzellenter Journalist und eine große Bereicherung für den ORF und das "ZiB 2"-Team.
STANDARD: Frau Schnabl, Sie hatten sich auch für die Leitung des "Report" beworben, zum Zug gekommen ist aber Wolfgang Wagner. Hat das einen Einfluss auf die Zusammenarbeit?
Schnabl: Gegenfrage: Wie erleben Sie uns beide? Nehmen Sie dieses Sendungskonzept her oder die Idee aus dem Buch, dann ist es eine tolle Ergänzung und insofern das Beste, weil wir einen Push aus seiner Erfahrung bekommen. Er hat ja zehn Jahre die "ZiB 2" geleitet. Wir profitieren.
STANDARD: Sie, Herr Wagner, galten immer als Bollwerk, das die Unabhängigkeit der "ZiB 2" verteidigt. Ist das jetzt genauso?
Wagner: Wie bereits vorher erwähnt: Es ist gleich. Wenn kritisch heißt, dass jemand das als Anpatzen versteht, dann gibt es eventuell eine Auseinandersetzung, dass man am Telefon die Argumente austauscht. Das habe ich aber noch nie als besonderen Druck oder als unzulässig wahrgenommen. Im Umgang mit dem Gegenüber hat sich für mich nichts geändert.
STANDARD: Kanzler Sebastian Kurz war bereits im "Report", oder meidet er die Sendung wie der damalige Kanzler Werner Faymann die "ZiB 2"?
Schnabl: Er war im Juni zu Gast, sogar Werner Faymann war im "Report". Die Bereitschaft, sich kritischen Sachverhalten zu stellen, ist bei Politikern immer sehr variabel und nicht besonders ausgeprägt, aber wir werden von niemandem boykottiert. (Oliver Mark, 6.11.2018)