Wer wird wahrscheinlich der nächste Präsident der EU-Kommission nach Jean-Claude Juncker, sollten Europas Christdemokraten im Mai 2019 die EU-Wahlen deutlich gewinnen? Manfred Weber, aus Bayern stammender CSU-Politiker, 46 Jahre alt und Chef der Fraktion der Christdemokraten im Europäischen Parlament in Straßburg? Oder doch noch Alexander Stubb, 50 Jahre alt, vielsprachiger Ex-Premierminister von Finnland mit ebenso vielfacher Regierungserfahrung als Finanz-, Außen-, Handels- und Europaminister seines Landes?

Kein Heimvorteil

Auf diese entscheidende Frage spitzt sich das zweitägige Treffen der Parteifamilie der Europäischen Volkspartei (EVP) in Helsinki zu. Die Auswahl der finnischen Hauptstadt als Tagungsort des Kongresses ist nur der Organisation geschuldet, bietet Stubb keinerlei "Heimvorteil". Der gemeinsame "Spitzenkandidat" der EVP, die als stärkste Fraktion in Straßburg Anspruch auf den Posten des Kommissionspräsidenten erhebt, wird nach einer offenen Debatte von insgesamt knapp 750 stimmberechtigten Delegierten in geheimer Abstimmung gewählt.

Manfred Weber wird sich wohl gegen...
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Sie kommen von 67 nationalen Parteien und Einzelorganisationen. Auf Österreich zum Beispiel entfallen 16 Stimmen, auf das kleinere Finnland weniger. Stubb kann zwar mit der Unterstützung zahlreicher Gruppen aus Nordeuropa rechnen – aber als Favorit gilt Weber, der vor dem Sommer offenbar erfolgreich begonnen hat, eine parteifamilieninterne Werbetour für sich zu machen.

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...Alexander Stubb durchsetzen und...
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Stubb stieg erst vor vier Wochen ein. Weber verfügt nicht nur über die Unterstützung der EVP-Führung unter dem französischen Präsidenten Joseph Daul; zahlenmäßig viel wichtiger ist für ihn, dass er die Unterstützung in seinem eigenen Land und von Kanzlerin Angela Merkel hat, ebenso die der Parteifreunde aus großen Ländern wie Italien und Spanien sowie von der Mehrheit der 219 EU-Abgeordneten der Fraktion.

So ähnlich war auch das Lagebild vor fünf Jahren mit Juncker gegen Michel Barnier, den heutigen Brexit-Verhandler. Aber es seien auch schon Favoriten im Kampf um den Rang als "Spitzenkandidat" "gestorben", wird in der EVP betont – wie etwa bei Europas Sozialdemokraten, wo EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bis Sommer als klare Nummer eins galt.

Timmermans führt SP an

Am Montag blieb Kommissionsvize Frans Timmermans nach dem Rückzug aller anderen Kandidaten übrig: Der Niederländer wird als SP-Spitzenkandidat der zweitstärksten Fraktion antreten. In internen EVP-Berechnungen liegt der Deutsche Weber deutlich vorn, aber rund 200 Delegierte (vor allem aus Polen und Frankreich) seien noch unentschlossen.

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..gegen SP-Spitzenkandidat Frans Timmermans, um den Posten des Kommissionspräsidenten kämpfen.
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Beim Kongress werden sie sich einer gemeinsamen Diskussion stellen. Inhaltlich liegen sie nah beieinander. Beide haben bisher betont, vor allem auf ein Europa als Wertegemeinschaft setzen zu wollen, vehement für Rechtsstaat und Demokratie eintreten wollen, also gegen den Rechtspopulismus. Der Kongress wird dazu ein Grundsatzpapier beschließen, das stark die Sorge vor Verletzung der Grundwerte, Beschränkungen von Verfassungen, Justiz und der Arbeit von NGOs zum Ausdruck bringt – ohne Polen und Ungarn zu nennen. Eine Debatte über Parteiausschlüsse etwa von Viktor Orbán dürfte es nicht geben. (Thomas Mayer aus Helsinki, 7.11.2018)