Die erste amerikanische Wahl, die ich in New York miterlebt habe, fand im November 2000 statt. Die Kandidaten waren damals George W. Bush für die Republikaner und Al Gore für die Demokraten. Wahlabende hier sind generell lang, das Land riesig, unterteilt in viele Zeitzonen. Als weder um ein Uhr nachts noch am nächsten Morgen die Wahl entschieden war, habe ich mich damals etwas naiv gefragt, ob das hier wohl immer so sei. Nach der Wahlentscheidung durch den US-Supreme Court im Dezember 2000 saßen die Leute in Manhattan mit Tränen in den Augen im Bus.

Einige Jahre sind seither vergangen und ich habe viel über Amerika und das politische System gelernt. Während der Regierungszeit von Barack Obama habe ich fünf Jahre lang in Washington DC gelebt und konnte das politische Geschehen aus nächster Nähe mitverfolgen. Seine zweite Inauguration habe ich euphorisch in Washington mitgefeiert; die Angelobung von Donald Trump vor zwei Jahren hat mich mit Hilflosigkeit und Traurigkeit erfüllt. Die diesjährigen Midterm-Wahlen sind in gewisser Weise eine Entscheidung darüber, für welche Werte dieses Land in all seiner Vielfältigkeit und momentanen Zerrissenheit stehen soll. Zum ersten Mal darf ich selbst bei einer amerikanischen Wahl meine Stimme abgeben und mitbestimmen. 

Am Jewish Community Center in Manhattan: Zitat einer amerikanischen Bürgerrechtsaktivistin
Foto: Stella Schuhmacher

Registrieren, dann wählen

In New York ist der Registrierungsprozess für neue Wähler einfach, effizient und schnell. Das scheint allerdings eher die Ausnahme als die Regel zu sein, wenn man das mit Berichten aus anderen Bundesstaaten vergleicht. Innerhalb weniger Wochen nach dem Abschicken des Antrags erhält man die Registrierungsbestätigung. Man kann sich auch gleichzeitig als Mitglied einer Partei eintragen lassen. Allen registrierten Wählern werden detaillierte Informationsbroschüren zugeschickt. Diese sind zweisprachig gestaltet, sowohl auf Englisch als auch Spanisch, und enthalten alle wichtigen Informationen, wie Wahllokal, klare Wahlanweisungen und Informationen zu den Ämtern, über die abgestimmt wird. 

Wahlinformationen auf Spanisch
Foto: Stella Schuhmacher

Bei amerikanischen Wahlen werden gleichzeitig Entscheidungen für die nationale, bundesstaatliche und lokale Ebene getroffen. Auf der föderalen Ebene wurden bei dieser Wahl in New York State über US-Senatoren und US-Repräsentanten für den Kongress abgestimmt; auf der Bundesstaatenebene unter anderem über die Ämter des Gouverneurs und Generalstaatsanwalts. Zusätzlich gibt es die sogenannten Ballot Proposals, bei denen es um Änderungen der City Charter geht. Heuer standen zum Beispiel Wahlkampffinanzierung und die Schaffung einer Kommission für Bürgerbeteiligung zur Wahl. Die Fülle an Entscheidungsmöglichkeiten scheint überwältigend. Gleichzeitig ist es ein Zeichen für die Stärke der amerikanische Demokratie. Der amerikanische Wähler hat regelmäßig die Möglichkeit, direkt über die Besetzung wichtiger Ämter auf den verschiedensten politischen Ebenen mitzuentscheiden.

Foto: Stella Schuhmacher

Meine erste Wahl

Der Wahltag ist in New York City völlig verregnet. Vielleicht erklärt das, warum keine Menschen in einer Schlange warten und die Stimmenabgabe sehr zügig vonstatten geht. Kaum zehn Minuten dauert der gesamte Vorgang. Alles ist sehr übersichtlich organisiert, warten muss man kaum. Die Schilder, die den Weg zur Stimmabgabe weisen, sind dreisprachig: English, Spanisch und Chinesisch. Zu meiner Überraschung muss ich keinen Ausweis herzeigen. Die Dame mit der Wählerliste sagt: "We trust you". Ich muss lediglich neben meinem Namen unterschreiben, die Unterschrift wird mit der vom Registrierungsformular verglichen.

Der Wahlzettel selbst ist auch dreisprachig und klar strukturiert. Nach dem manuellen Ankreuzen wird der Stimmzettel über einen Scanner elektronisch erfasst. "Your vote has been counted" erscheint am Computerbildschirm. Der Stimmzettel aus Papier ist verschwunden. Beim Hinausgehen erhalte ich einen "I voted"-Sticker, den ich mir auf den Mantel klebe.  

"I voted"-Aufkleber für 2018.
Foto: Stella Schuhmacher

Meiner demokratischen Pflicht als amerikanische Staatsbürgerin bin ich nun nachgekommen. Ich frage mich, ob ich am Tag nach der Wahl wohl lachenden oder weinenden Menschen auf der Strasse begegnen werde? (Stella Schuhmacher, 7.11.2018)