Die indonesische Provinz Ostkalimantan auf Borneo beherbergt zahlreiche Karsthöhlen – und uralte Kunstschätze.
Foto: Pindi Setiawan

Wann kamen Menschen auf die Idee, die Welt um sie herum und auch sich selbst künstlerisch abzubilden? Lange dachte man, dass die ältesten Beispiele von Höhlenmalerei in Südwesteuropa zu finden sind: Auf Fels gemalte menschliche Handabdrücke in der spanischen El-Castillo-Höhle weisen ein Alter von mindestens 40.000 Jahren auf, die Tierdarstellungen in der Chauvet-Höhle in Frankreich sind an die 32.000 Jahre alt.

2014 sorgte eine Studie zu Felszeichnungen und Höhlenmalereien auf der indonesischen Insel Sulawesi für Aufsehen: Ein Team um den australischen Archäologen Maxime Aubert (Griffith University) konnte nachweisen, dass dort entdeckte Handumrissmalereien ebenfalls vor 40.000 Jahren angefertigt wurden, das Bild eines weiblichen Hirschebers vor 35.000 Jahren – diese Kunstwerke entstanden also zur selben Zeit wie jene in Europa.

Kunst im Karst

Jetzt legen Aubert und Kollegen abermals eine sensationelle Entdeckung vor: Die Höhlenkunst auf Sulawesis großer Nachbarinsel Borneo ist nicht nur vergleichbar alt, sondern beinhaltet auch das älteste figurative Bild, das je gefunden wurde.

Kunstwerke aus der frühesten menschlichen Schaffensperiode auf Borneo. Die große Abbildung eines Tiers in der Mitte ist mindestens 40.000 Jahre alt.
Foto: Luc-Henri Fage

Die unvollständige Zeichnung eines nicht näher identifizierten Säugetiers ist zumindest 40.000 Jahre alt und übertrifft damit den Hirscheber von Sulawesi deutlich. Die ältesten Handumrisse, die auf Borneo gefunden wurden, sind sogar bis zu 52.000 Jahre alt. Auch menschliche Strichfiguren wurden untersucht, sie stammen aus dem Zeitraum vor 20.000 bis 13.600 Jahren.

Handumrisse in einer Höhle auf Borneo.
Foto: Kinez Riza

Seit den 1990er-Jahren war bekannt, dass die vielen Karsthöhlen in der indonesischen Provinz Ostkalimantan zahlreiche Höhlenmalereien beherbergen – erforscht sind längst nicht alle. Auch die Entstehungszeit der Funde konnte bisher nicht geklärt werden. Aubert und sein Team machten sich daher zu mehrwöchigen Expeditionen durch den Dschungel auf, um das Alter der Kunstwerke in den entlegenen Höhlen zu eruieren. "Wir haben unterwegs auch immer wieder in unerforschte Höhlen hineingeschaut und dort weitere Malereien gefunden", sagt der Forscher.

Für ihre Studie, die nun im Fachblatt "Nature" erschienen ist, nutzten die Archäologen die sogenannte Uran-Thorium-Datierung. Sie entnahmen Proben von Kalkablagerungen, die sich über die Jahrtausende auf den Zeichnungen gebildet hatten, und analysierten die darin enthaltenen Uranzerfallsprodukte. Aus der Zusammensetzung der Isotope lässt sich auf das Alter schließen.

Diese Figuren stammen aus dem Zeitraum vor 20.000 bis 13.600 Jahren.
Foto: Pindi Setiawan

Die Untersuchung der Proben von 13 Kunstwerken aus insgesamt sechs Höhlen brachte ans Licht, dass die verschiedenen Zeichenstile unterschiedlichen Entstehungsepochen zuzuordnen sind und auch in dieser Hinsicht frappierend an die Funde aus Europa erinnern. Am ältesten sind die rötlichen Tierzeichnungen und Handumrisse in der Höhle Lubang Jeriji Saléh. Deutlich jünger sind Malereien, die mit Maulbeerfarbe angefertigt wurden. Sie entstanden vor 20.000 bis 21.000 Jahren und deuten auf einen kulturellen Umbruch hin: Im Zentrum stehen ab dieser Zeit nicht mehr Tiere, sondern der Mensch.

Vor 20.000 Jahren verewigten Menschen ihre Hände in dieser Karsthöhle.
Foto: Kinez Riza

Eiszeitliche Stilwende

"Dieser Übergang fällt interessanterweise genau in das sogenannte letzteiszeitliche Maximum", sagt Aubert. So bezeichnen Wissenschafter den klimageschichtlichen Abschnitt, in dem die Vereisungen der letzten Kaltzeit ihre größte Ausdehnung hatten. Aubert hält es für möglich, dass es zu dieser Zeit zu einem Rückgang der lokalen Population gekommen sein könnte. Auch das Gegenteil wäre denkbar: Womöglich waren die Karsthöhlen auf Borneo auf dem Höhepunkt der Kaltzeit ein günstiger Zufluchtsort. In diesem Fall könnte der kulturelle Wandel von den zunehmenden Interaktionen mit anderen Gruppen ausgelöst worden sein.

Video der Griffith University.
Griffith University

In einer dritten und letzten künstlerischen Phase wurden dann vermehrt schwarze Farben benutzt und menschliche Figuren sowie geometrische Muster abgebildet. Über das Leben der eiszeitlichen Künstler ist leider sonst nichts bekannt – außer ihren Bildnissen wurden in den Höhlen auf Borneo keine nennenswerten Spuren menschlicher Präsenz gefunden. "Es scheint jedenfalls, als hätten sich zwei frühe Zentren der Höhlenkunst parallel zueinander entwickelt – in Europa und in Asien", sagt Adam Brumm von der Griffith University, Koautor der Studie. Wie es dazu kam, ist aber noch völlig offen. (David Rennert, 7.11.2018)