STANDARD: Vor einem Jahr sind die Grünen aus dem Nationalrat geflogen. Bei vier Landtagswahlen in diesem Jahr gab es Verluste. Verlassen Sie rechtzeitig vor der Wien-Wahl das sinkende Schiff?
Vassilakou: Ich glaube fest, dass Erneuerung und Öffnung das Beste für die Grünen ist. Wenn ich Erneuerung will, muss ich mit gutem Beispiel vorangehen und bei mir selbst anfangen. Ich habe diesen Schritt keine Sekunde lang bereut. Die Grünen sind eine Bewegung, die in der Vergangenheit, aber auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag geleistet hat und leisten wird. Man kann schon einmal in Turbulenzen geraten, jede politische Bewegung hat Auf und Abs.
STANDARD: Diesem Ab folgt also laut Ihnen in Wien wieder ein Auf?
Vassilakou: Es wird alles getan, um aus diesem Tief rauszukommen. Der Rest ist ein Stück weit die Arbeit meiner Nachfolge.
STANDARD: Im Vorjahr gab es bereits von Teilen der grünen Basis Forderungen nach Ihrem Rücktritt. Hat das eine Rolle bei der Entscheidung gespielt?
Vassilakou: Es gab die, die einen neuen Spitzenkandidaten wollten, und die, die wollten, dass ich bleibe. Bei der Landesversammlung habe ich die Vertrauensfrage gestellt und 75 Prozent Zustimmung erhalten. Es war der bewegendste Moment für mich in 25 Jahren Politik. In einem schönen Moment tut man sich leichter, befreit den Nachdenkprozess einzuleiten.
STANDARD: In rund drei Wochen steht Ihr Nachfolger fest. Fünf Kandidaten stehen zur Wahl. Haben Sie eine Präferenz unter den Favoriten David Ellensohn, Birgit Hebein und Peter Kraus?
Vassilakou: Ich habe eine Präferenz, werde sie aber für mich behalten. Ich werde keine Wahlempfehlung abgeben, das wäre nicht fair.
STANDARD: Zwei Bewerber – Bezirksrat Benjamin Kaan und Quereinsteigerin Marihan Abensperg-Traun – sind der Öffentlichkeit unbekannt. Würden Sie auch diesen die Führung der Partei zutrauen?
Vassilakou: Es gab eine Zeit, da kannte mich auch niemand. Ich hatte einen Akzent und einen Namen, den man sich nicht merken konnte. Jemand hat an mich geglaubt, und ich konnte zeigen, was ich draufhabe. Man sollte Menschen nicht nach den Orden an ihrer Brust messen. Das heißt aber nicht, dass ich die Führung der Partei allen Kandidaten gleichermaßen zutraue.
STANDARD: Auch Heumarkt-Investor Michael Tojner soll sich als Wähler für die Spitzenkandidatenwahl registriert haben. War das mit der Öffnung gewünscht?
Vassilakou: Das einzige Ausschlusskriterium war eine Funktion oder Mitgliedschaft bei einer anderen Partei. In einer Demokratie braucht man kein Führungszeugnis, um mitzuwählen.
STANDARD: Eröffnet das nicht die Möglichkeit, dass Sympathisanten einer anderen Partei mitwählen?
Vassilakou: Ich kann nicht zu 100 Prozent davon ausgehen, dass alle nur lautere Motive haben. Aber zu viel gefürchtet ist auch gestorben. Wir können nicht alle danach aussuchen, ob sie uns zu Gesicht stehen. Wenn wir das tun, passen wir alle in ein Zimmer und behalten recht. Das ist keine Öffnung, das ist das Ende von Politik. Leider stehen die Progressiven oft vor diesem Problem: Man arbeitet sich am nächsten Shitstorm ab, anstatt sich auf die wesentlichen Aufgaben zu konzentrieren.
STANDARD: Sie haben angekündigt, bis Mitte 2019 im Amt zu bleiben. Bleibt es bei diesem Plan?
Vassilakou: Der genaue Zeitpunkt wird mit demjenigen zu diskutieren sein, der die Wahl für sich entscheidet. Es kann früher sein, aber sicher nicht später.
STANDARD: Die Mariahilfer Straße, der Ausbau des Parkpickerls und die 365-Euro-Jahreskarte sind untrennbar mit Ihnen verbunden. Die Zurückdrängung des Autos haben Ihnen aber auch viele Wiener übelgenommen. War es das wert?
Vassilakou: Die Ergebnisse waren jede Auseinandersetzung wert. Es gibt weltweit kaum etwas Kontroverseres als die Reduzierung des Autoverkehrs. Jeder Verkehrsstadtrat der Welt – egal welcher Partei – steht vor derselben Situation: kostbare Güter in der Stadt zu bewahren. Zum einen: öffentlichen Raum. All die Dinge, die wir an Wien lieben: Zufußgehen, öffentliche Plätze, Schanigärten und sogar Radfahren. Das andere kostbare Gut ist Luft, die nicht krank macht. Schlechte Luftqualität ist europaweit die größte Gesundheitsgefährdung.
STANDARD: Das umstrittene Projekt am Wiener Heumarkt hat die grüne Basis gegen Sie aufgebracht. Wird dieses Projekt so, wie es beschlossen wurde, auch umgesetzt?
Vassilakou: Es gibt eine gültige Widmung für das Projekt. Der Rest ist eine Frage des Baubewilligungsverfahrens.
STANDARD: Ellensohn will Nachverhandlungen, und er will die Turmhöhe reduzieren. Hat das Chancen?
Vassilakou: Das Projekt ist innerhalb der Grünen hoch umstritten, freundlich formuliert. Für mich ist die Lösung eine, die der Stadt viel Gutes bringen wird. Allem voran neuen öffentlichen Raum. Doch ich werde nicht so vermessen sein und erwarten, dass nach mir nichts verändert werden darf.
STANDARD: Peter Pilz hat Sie in den 1990ern zu den Grünen gelotst. Jetzt verlassen Sie die Wien-Politik, Pilz will hingegen mit seiner Liste in Wien antreten. Wie wollen die Grünen den Stimmenverlust an Pilz verhindern?
Vassilakou: Mit Erneuerung.
STANDARD: Die Liste Pilz ist in Wien ebenfalls neu ...
Vassilakou: Der Peter ist nicht neu.
STANDARD: Ist eine Kooperation mit Pilz in Wien möglich?
Vassilakou: Das wird mein Nachfolger zu entscheiden haben. Das Wesen der Politik ist, breite Allianzen zu schmieden, um viel erreichen zu können. Das heißt aber nicht, dass wir wieder zu einer Partei verschmelzen müssen.
STANDARD: Wie ernst werden die Grünen die Liste Pilz nehmen?
Vassilakou: Den Bürgern ist es egal, wer mit wem persönliche Differenzen hat. Sie wollen, dass man etwas weiterbringt. Vor dem Hintergrund, dass rechts mit rechts außen Schulter an Schulter marschiert, werde ich nicht müde einzumahnen, dass auch die progressiven Kräfte stärker zusammenarbeiten. Mir ist völlig egal, wie viel wessen Uhr gekostet hat. Solange wir für dieselbe Sache kämpfen, ist er oder sie mir allemal gut genug. Wir merken alle, was gerade zugange ist: die Demontage des Sozialstaates, die Verabschiedung von den Menschenrechten, das Sägen an Europa – und am Ende steht die Isolation. Es läuft immer gleich ab: Es beginnt bei den Flüchtlingen, dann geht's den Armen und Arbeitslosen an den Kragen, dann kommen Lesben und Schwule dran und dann die Frauen.
STANDARD: Sie gelten als eine der bekanntesten, aber auch am meisten polarisierenden Politikerinnen. Wie gehen Sie mit dieser Rolle um?
Vassilakou: Ich bot und biete noch immer die ideale Angriffsfläche, weil ich nicht nur artig grüße. Wer Dinge verändert, muss mit Kontroversen leben können. Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist, was ich manchmal bereue, aber so ist es halt. Ich bin eine Frau und nicht gebürtige Österreicherin, was bei einem Teil für extra Aversionen sorgt. Mir war vom ersten Tag an klar, dass ich strategische Watschen kassiere, die nicht nur meiner Person, sondern Rot-Grün gelten. Spaß macht das nicht, aber du musst damit umgehen.
STANDARD: Was folgt bei Ihnen nach der Wien-Politik?
Vassilakou: Alle, die mich mögen, reden auf mich ein, dass ich mir eine Auszeit gönnen soll. Ich glaube, ich gönne mir diese – wenn ich es aushalte. Danach wäre mit meiner Erfahrung ein Job im Umfeld von Städten naheliegend.
STANDARD: Muss es Wien sein?
Vassilakou: Nicht unbedingt. Es gibt auch jene, die sagen: "Fahren Sie nach Hause, Ihre Heimat braucht Sie." Ein Wahnsinn. Wäre ich in Wien geboren, wäre ich jetzt eine 32-jährige Wienerin. Im besten Alter, um sich zu verändern. Im Ernst: Es gibt viele internationale NGOs und Organisationen, die mit Städten arbeiten. Es gibt Felder, die sich aufdrängen: Klimaschutz, Stadtentwicklung, Verkehr. Man wird sehen. (David Krutzler, Oona Kroisleitner, 9.11.2018)