Es war ein Talking Point, der in keiner Stellungnahme des Vizekanzlers zur Kehrtwende Österreichs in Sachen Migrationspakt fehlen durfte: das Pochen auf die "mutige Vorreiterrolle", die die Alpenrepublik damit eingenommen habe. Ähnliches war auch aus dem Spektrum jener Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten zu vernehmen, die überzeugt sind, den wahren Zweck und Charakter des Dokuments erkannt zu haben. Demnach handle es sich just bei diesem UN-Papier um keine unverbindliche Willenserklärung, sondern um einen Masterplan zur Abschaffung der Völker, insbesondere der europäischen, zur Mehrung der Macht einer postnationalen, "globalistischen" Weltelite.

Entzückung rechtsaußen

Die einschlägigen Medien und aktivistischen Zirkel zeigten sich, wenig überraschend, voll des Lobes für Schwarz-Blau. Martin Sellner, Führer der neofaschistischen "Identitären", erklärte im Rahmen einer Kundgebung in Wien letzten Sonntag, sich erstmals in seinem Leben "gut regier[t]" zu fühlen. Namentlich dankte er "Herrn Strache", "Herrn Kickl" und – zu seiner eigenen Überraschung – auch "Herrn Kurz", liefere letzterer den "Identitären" doch "Tag für Tag (…) mehr Gründe, ihm wirklich zu vertrauen." Auch in Sachen Vorreiterrolle pflichtete Sellner Strache bei: Österreich habe "hier ein Fanal erzeugt", das den "Anfang von etwas Großem" markiere. Seinen Kampf zur Rettung Österreichs will der Ex-Neonazi nun zusammen "mit dieser Regierung" führen – und damit auf ganz Europa ausstrahlen.

Auch der Jugend-Ableger der (selbst inzwischen eingestellten) rechtsextremen Zeitschrift "Aula" vermeint angesichts der Entscheidung zum Migrationspakt, in Österreich "endlich wieder die Stimme des Volkes" sprechen zu hören. Die rechte Plattform "unzensuriert.at" ortete einen "Sieg der Vernunft", der nicht minder FPÖ-nahe "Wochenblick" attestierte Österreich die "glückliche[.] Lage", mit Kurz und Strache "zwei starke Typen an der Spitze einer Regierung zu haben, die Volkes Wille auch dann durchsetzt, wenn sie mit Gegenwind zu rechnen hat."

Das Nein zum Migrationspaket sorgte international für Kritik. Nicht aber bei den Rechten.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Hoffnung für das "weiße Rest-Europa"

Ähnlich fiel das Echo in Deutschland aus: "Bravo Österreich!", gratulierte die neonazistische NPD via Facebook, an Überschwang noch übertroffen durch das "BRAAAAVOOOO Österreich!", das Pegida-Gesicht Lutz Bachmann am selben Ort ausrichtete. Bachmanns ehemalige Kollegin Tatjana Festerling überbrachte ihrerseits eine "Gratulation an Österreich!" und sah sich in ihrer Vision eines neuen "eisernen Vorhangs" bestärkt. Dieser sei mit "allen Waffen-Abwehrsystemen, die notwendig sind" auszustatten, um zumindest ein "weißes Rest-Europa im Osten" gegen "gewalttätige Islam-Invasoren und kommunistische Globalisten" zu verteidigen. Auch der offizielle Facebook-Account der Pegida übermittelte einen "Glückwunsch an unsere Nachbarn aus Österreich".

Im parlamentarischen Spektrum überbot die AfD-Vertretung vom Parteivorsitz abwärts einander im Lob auf die österreichische Regierung. Bundessprecher Jörg Meuthen kommentierte anerkennend, dass "in Österreich zum Wohle des Volkes Fakten geschaffen" würden. Parteirechtsaußen Björn Höcke würdigte namentlich Vizekanzler Strache für seine Initiative, lobte aber auch Kanzler Kurz dafür, "daß er diese Politik konsequent mitträgt und unser Nachbarland damit ein internationales Zeichen setzt." In Deutschland, so Höcke, sei die AfD "die einzige relevante politische Kraft, die den Migrationspakt konsequent ablehnt."

Verlängerter Arm der extremen Rechten?

Angesichts solcher Lobeshymnen und einer dem österreichischen Ausstieg vorangegangenen Kampagne rechtsextremer Desinformationsplattformen wurde in der öffentlichen Debatte verschiedentlich geschlussfolgert, die FPÖ – und über sie die österreichische Bundesregierung – habe in Sachen Migrationspakt dem Druck der außerparlamentarischen extremen Rechten nachgegeben. Zumindest deren Vertreter zeigen sich, dem ihnen eignenden Hang zur Selbstüberschätzung gemäß, davon fest überzeugt. So gab Sellner sich in seiner vorerwähnten Rede nicht weniger als "freudig gerührt darüber zu sehen, dass der Widerstand wirkt". Die selbsternannten "Alternativmedien" sehen höchstens als diskussionswürdig an, wer von ihnen den Löwenanteil der Lorbeeren einheimsen dürfe. Dass sie die Debatte über den Pakt erst angestoßen und damit auch die FPÖ auf den rechten Weg gebracht hätten, steht für sie dagegen außer Frage.

Nun hat die rechtsextreme Medienlandschaft in Österreich in den letzten Jahren tatsächlich eine bedeutende Ausdifferenzierung und Reichweitensteigerung erfahren, und es gibt wenig Anlass, insbesondere der kleineren Regierungspartei besondere Resistenz gegenüber dem Lärm des rechtsextremen Kampagnen-"Journalismus" zu attestieren. Dass die Radaupostillen und ihre Foren den blauen Entscheidungsträgern zumindest als Seismographen dafür dienen, was beim freiheitlichen Publikum Resonanz findet und was es emotionalisiert, darf getrost angenommen werden. Gänzlich fehl geht aber die Annahme, die FPÖ und ihr Obmann wären als Getriebene ebendieser Kräfte anzusehen. Zum einen hat die Partei die entsprechenden Medien teils selbst aufgebaut, teils gezielt gefördert – und tut dies, auch als Regierungspartei, in Form von Inseraten nach wie vor. Zum anderen würde ein Getrieben-Sein ein Mindestmaß an inhaltlichem Dissens voraussetzen. Demgegenüber ist daran zu erinnern, dass die FPÖ weniger auf den rechten Rand reagiert als vielmehr die Partei des rechten Randes ist – auch wenn sie mittlerweile weit über diesen Rand hinaus Zuspruch erfährt. Eben aufgrund dieser Diversifizierung ihres Elektorats kann sie es sich fallweise auch leisten, ihre historische Kernklientel zu irritieren. So hat die FPÖ sowohl den Treuebruch gegenüber der "Aula" als auch Straches Rede am diesjährigen Wiener Akademikerball vorerst ohne inneren Aufruhr überstanden. Wen sollte der gefestigte Weltanschauungs-Rechtsaußen auch sonst wählen?

Symbol schlägt Politik

Erklärungsbedürftig bleibt damit, was die FPÖ bewegt hat, ein Thema zur Fahnenfrage zu erheben, das angesichts seiner diesseits von Verschwörungsfantasien überschaubaren Tragweite auch getrost hätte ignoriert werden können. Plausibel erscheint es, darin einen weiteren Fall der Priorisierung von Symbolpolitik über tatsächliche Sachfragen zu sehen. Ob die Absage an die UN von der ÖVP tatsächlich unmittelbar mit Einschnitten in der Arbeitslosenversicherung junktimiert wurde – was die FPÖ vehement dementiert –, ist dabei nicht entscheidend. Bereits im Wahlkampf 2017 hatten die Freiheitlichen schließlich durch ihr neues, von Industrievertretern sehr wohlwollend rezensiertes Wirtschaftsprogramm signalisiert, wohin die Reise gehen würde. Mit der Vorlage des Regierungsprogramms und dessen schrittweiser Materialisierung in Regierungspraxis ist inzwischen zutage getreten, nach welchen Prinzipien Schwarz-Blau II funktionieren und – anders als bei der Erstauflage 2000 bis 2002 – beiden Parteien Erfolge in den Augen der jeweiligen Anhängerschaft garantieren soll.

Die FPÖ macht mehr Symbolpolitik als die Bearbeitung von Sachfragen.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Eine Vielzahl an potenziellen Konfliktfeldern wurde mit erwähntem Wirtschaftsprogramm sowie vice versa der Übernahme freiheitlicher Migrationspolitik durch die "neue Volkspartei" bereits im Vorfeld entschärft. Wo zwischen den Koalitionspartnern Uneinigkeit besteht – abgesehen von Europafragen vor allem bei den sozialen beziehungsweise sozialchauvinistischen Forderungen, die eine oppositionelle FPÖ im Kampf um den kleinen (Inländer-)Mann erhob –, lautet die Formel offenbar wie folgt: ÖVP und Industrie erhalten ihre Wünsche, die FPÖ erhält im Gegenzug realpolitisch bedeutungslose Zugeständnisse, die sich gleichwohl zu Schicksalsfragen hochstilisieren lassen – siehe Straches Rede von der "Zeitenwende", die das Nein zum Migrationspakt markiere – und sich somit eignen, der eigenen Klientel als Errungenschaften verkauft zu werden. "Eure Stimme zählt, FPÖ in der Regierung wirkt!" – so lautet die Botschaft, die getrommelt werden soll, um ein neuerliches Absacken als Juniorpartner, das 2002 erst die Regierung sprengte und dann die Partei an den Rand ihrer Existenz führte, zu verhindern. Gleichzeitig bildet dieses Arrangement auch die Grundlage für die Vermittlung der gesamtkoalitionären Einserbotschaft: "diese Regierung streitet nicht, sie liefert!"

It's the ethnicity, stupid!

Den Wirkungsgrad einer freiheitlichen Regierungsbeteiligung wiederum misst die Wählerschaft allem voran an einem Politikfeld: laut Sora-Wahltagsbefragung war "Asyl und Integration" das von FPÖ-Wählerinnen und -Wählern im Wahlkampf mit Abstand meistdiskutierte Thema – 88 Prozent; auf Platz zwei landete "Sicherheit" mit 69 Prozent. Dass es Hauptanliegen der freiheitlichen Klientel sei, ihr "die Fremden" (und hier insbesondere Nicht-Weiße und Muslime) aus den Augen zu schaffen oder sie zumindest nach Kräften zu drangsalieren, mag man für eine polemische Unterstellung halten. Sie scheint sich allerdings mit der Einschätzung der freiheitlichen Strategen zu treffen. Anders ist kaum zu erklären, dass die FPÖ eine Maßnahme, die hauptsächlich osteuropäische Pflegerinnen trifft, ihren Fans mit Bildern Kopftuch-tragender und dunkelhäutiger (vermeintlicher) Muslimas anpreist.

So erscheint es nur konsequent, das in der Koalition mit der ÖVP ohnehin konfliktträchtige "Soziale" in "soziale Heimatpartei" (die oberösterreichische Landespartei hat die Beifügung inzwischen bereits klammheimlich entfernt) zugunsten von Symbolpolitik preiszugeben und mit dieser jene realen Verschlechterungen für Migrantinnen und Migranten zu ergänzen, die ohnehin auch auf der Agenda des Koalitionspartners stehen. Oder, in anderen Worten: wie schon Anfang der 2000er-Jahre schmiegt die FPÖ sich in Sachfragen an die Volkspartei an, darf diesmal aber flankierende PR-Maßnahmen setzen. Wie lange diese Formel trägt, bleibt einstweilen abzuwarten. (Bernhard Weidinger, 9.11.2018)

Bernhard Weidinger ist Rechtsextremismusforscher am DÖW und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU). Hier teilt er seine Privatmeinung.

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