Bild nicht mehr verfügbar.

Bräuchte es in der HR mehr Männer?

Foto: getty images

Aufnahmeverfahren für das Masterstudium "HR und Organisation". Die Antwort der zu 90 Prozent weiblichen Bewerber auf die Frage, warum sie sich denn für Personalmanagement interessieren, lautet unisono: "Ich arbeite gerne mit Menschen, ich möchte sie entwickeln und ihnen helfen."

Die Enttäuschung ist groß, wenn ich den jungen Menschen empfehle, in diesem Fall besser eine Stelle als Linienvorgesetzte im operativen Geschäft übernehmen.

Die Bilder über HR-Mitarbeiter und -Abteilungen sind allgegenwärtig: freundliche, nette, wertschätzende Menschen, die abseits der "harten Zahlen" für Glück und Selbstverwirklichung der Mitarbeitenden sorgen und die Kultur der ganzen Organisation menschenwürdig gestalten. Das klingt nach einem sinnstiftenden, easy Job. Er wirkt attraktiv auf Frauen, die sich kommunikativ und sozial kompetent fühlen. Die Realität sieht dann meist anders aus:

· Recruiting: Es macht Freude, Menschen eine Zusage für eine Stelle zu machen, auf die sie lange gehofft haben. Oft muss man aber gleichzeitig zahlreichen anderen Bewerberinnen und Bewerbern, deren Lebensgeschichte man erfahren hat, absagen. Diese Telefonate oder Mails machen keine Freude. Sollte es in Zeiten des Fachkräftemangels trotz zahlreicher Bemühungen nicht gelingen, eine Stelle zügig nachzubesetzen, so landet aller Stress und Unmut der Linienvorgesetzten bei HR.

· Umstrukturierungen: Während die einen Karriere machen, finden sich andere in neuen Stellen oder in einem neuen Arbeitsfeld, das sie nie gewählt hätten. Manche verlieren ihren Job und haben aufgrund ihres Alters oder mangelnder Kompetenzen keine Chance auf eine neue Stelle am Arbeitsmarkt. HR hat in solchen Prozessen die schwierige Rolle, Unternehmensziele umzusetzen, fair zu entscheiden, respektvoll zu kommunizieren und zu unterstützen. Die Personaler haben diese Menschen vielleicht eingestellt, kennen ihre familiären Sorgen und müssen nun deren Kündigung begleiten. Das kann emotional stark belasten und passt so gar nicht in das Bild der "netten Leute von HR".

· Entgelt: Hier erleben Personaler doppelten Druck: Das Topmanagement möchte Lohnkosten und "Headcounts" möglichst niedrig halten oder reduzieren. Linienvorgesetzte machen Druck, dass sie mehr Mitarbeiter brauchen, und setzen sich vehement für Lohnerhöhungen ihrer guten Leute ein. In solchen Situationen braucht man eine klare, transparente Linie für die Gehaltsstruktur und ein starkes persönliches Standing.

Die professionelle Bewältigung dieser Aufgaben erfordert fundierte juristische Kenntnisse, Prozessverständnis, Empathie, Fairness und große Stressresistenz.

Erst nach diesen aufreibenden Alltagsthemen kommen all die "weicheren" Themen, auf die viele HR-Mitarbeitende am liebsten ihren Hauptfokus legen: Employer-Branding, Arbeitsplatzgestaltung, Kulturentwicklung, Personalentwicklung und Talentmanagement, Mentoring, Coaching. Hier geht es dann wirklich um die Menschen und ihre Entwicklung. Und diese Themen ziehen offensichtlich weit mehr Frauen an als Männer.

Eine Studie in 30 deutschen Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern bestätigt, dass deutlich mehrFrauen (70 Prozent) als Männer im HR-Bereich tätig sind. Diese Geschlechterverteilung und die damit verbundenen Rollenbilder und Zuschreibungen von "Soft-Skill-Experten" sind jedoch riskant:

So absolvieren viele, die in diesem Bereich arbeiten, reihenweise Fortbildungen in Beratungsmethoden und Coaching. Gerne würden sie Führungskräfte coachen und Organisationsentwicklung auf oberster Ebene begleiten und sehen sich als "Kulturwächter der Organisation". Trotzdem werden Standorte geschlossen, Abteilungen zusammengelegt oder Firmen aufgekauft, ohne dass HR in diese Entscheidungen auch nur einbezogen wurde.

Die Klagen der Personaler sind immer die gleichen: "Wir werden nicht gehört. Dabei wüssten wir doch, wie es geht, wie man die Mitarbeitenden informiert und beteiligt. Wir werden immer zu spät geholt."

Kein Platz am Tisch

Die von Personalern oft geforderte Begegnung mit dem Topmanagement "auf Augenhöhe" findet tatsächlich in vielen Betrieben nicht statt. So findet man HR im Organigramm oft nicht als Teil derGeschäftsleitung, sondern im Bereich "Finanzen" oder "Services" ein bis zwei Hierarchieebenen unter dem Topmanagement. Wie kommt es, dass viele HR-Abteilungen auch 20 Jahre nach der Einführung des Begriffs Business-Partner weit von dieser Rolle entfernt sind?

· Business-Unverständnis: Viele Personaler zeigen wenig Interesse an Zahlen und strategischen Zukunftsthemen des Unternehmens. Doch wer bei Bilanzzahlen, Unternehmensprozessen, IoT, Block-Chain, Big Data, Social Media und anderen wichtigen Unternehmensfragen nicht mitreden kann, ist nicht "anschlussfähig" und wird vom Topmanagement nicht ernst genommen.

· Abgrenzung: "Wir sind die Guten. Bei uns geht es nicht nur um Zahlen, sondern um die Menschen." Wer öffentlich oder hinter vorgehaltener Hand ständig die Entscheidungen des Managements kritisiert, wird höchstens als Besserwisser, aber nicht als Vertrauensperson angesehen.

· Personalentwicklung ohne strategischen Bezug: Lernen und Entwicklung sollen Mitarbeitende unterstützen, Kompetenzen zu entwickeln, die sie brauchen, um die Strategie umzusetzen und das Unternehmen zukunftsfähig zu erhalten. Wenn Personalentwicklung als "Wünschdirwas" und ohne Bezug zur Unternehmensrealität gestaltet wird, verliert sie an Glaubwürdigkeit.

· Unklares Rollenverständnis: Oft ist der Frust groß, wenn Personaler erkennen, dass sich Topmanager nicht gerne von ihnen als Interne coachen lassen. Denn erlernte Beratungs- und Coachingmethoden möchte man gerne auch einsetzen und sich direkt mit den Problemen einzelner Menschen beschäftigen. Dabei wird übersehen, dass dies eigentlich die Rolle der direkten Vorgesetzten oder neutraler Trainer und Coaches wäre. So steuern manche Personalerinnen und Personaler in eine gefährliche Falle: Expertin, Businesscoach, Kummernummer, Psychosoziale Beratungsstelle, Betriebsrat, Coach... All diese widersprüchlichen Rollen können in die HR-Funktion hineininterpretiert werden und zu Missverständnissen, Überforderung, Vertrauensbrüchen und Grenzüberschreitungen führen.

· Betriebsferne: Führungskräfte messen die Qualität der HR-Abteilung primär an der Unterstützung bei ihren scheinbar "banalen" Alltagsproblemen. Personaler behaupten zwar, sie würden gerne mit Menschen arbeiten. Viel zu selten verlassen sie aber ihren Schreibtisch, um einmal im Shopfloor oder im Lager mit den Mitarbeitern zu reden und sich für deren Probleme zu interessieren.

Wer die HR-Rolle überzeugend und erfolgreich wahrnehmen will, sollte also mehr mitbringen als dievielzitierten Soft Skills: Mitsprachekompetenz in Businessthemen, Betriebswirtschaft und IT ist gefragt. "Quereinsteiger", die zuerst operative Abteilungen geleitet und sich dann in Personalmanagement und Organisationsentwicklung fortgebildet haben, sind da eindeutig im Vorteil. Sie erkennen, was die Organisation braucht und verträgt.

Ob das dann Männer oder Frauen sind? Das ist aus meiner Sicht nebensächlich. (Marianne Grobner, 14.11.2018)