Auf den ersten Blick wirkt der Tower abweisend und verschlossen. Wie ein betonierter Schutzschild stemmen sich die beiden Fassadenseiten im Norden und Osten gegen die Stadt. Die wenigen, pixelartigen Perforationen in der massiven Wand erinnern an das aufgerollte, pergamentartige Lochpapier einer historischen Leierorgel.

Erst die Südwestfassade des dreieckigen Turms, sich zum immergrünen Chapultepec-Park öffnend, offenbart Luftigkeit und Transparenz und eine ungebrochene Aussicht auf die Skyline der rapide wachsenden Metropole Mexiko-Stadt.

Letzte Woche wurde der 246 Meter hohe, 2016 errichtete Torre Reforma des mexikanischen Architekten Benjamín Romano im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main mit dem Internationalen Hochhauspreis ausgezeichnet. Der biennal vergebene Preis würdigt gleichermaßen architektonisch ästhetische, städtebaulich intelligente wie auch technisch innovative Hochhäuser in aller Welt und hat sich zur Aufgabe gemacht, die in einer Zeit zunehmender Stadtverdichtung immer wichtiger werdende Bauform gesellschaftlich zu thematisieren und die Entwicklungen und Errungenschaften auf diesem Sektor vor den Vorhang zu holen.

Foto: Alfonso Merchand

"Der Torre Reforma ist ein sehr außergewöhnliches Projekt, das seine Besonderheiten allerdings erst auf den zweiten und dritten Blick offenbart", sagt DAM-Direktor Peter Cachola Schmal, der der Jury als Mitglied beiwohnte. "Denn während die meisten Hochhäuser in Erdbebenregionen als flexibles, elastisches Stahlskelett errichtet werden, entschied sich der Architekt diesmal für eine massive Konstruktion, die wie ein aufgeklapptes Betonbuch auf dem Grundstück steht und 60 Meter tief in den Sumpf- und Felsboden hineingerammt wurde." Der erste Test ist überstanden: Im September letzten Jahres hat der Turm ohne jeglichen Schaden ein Erdbeben der Stärke 7,1 auf der Richterskala überstanden.

Die ungewöhnliche Bauweise ist kein Zufall. Erstens konnte das denkmalgeschützte Gebäude an der Ecke des Paseo de la Reforma mit der Calle Río Elba, das während der Bauzeit um 18 Meter verschoben und anschließend wieder zurückgerückt werden musste, erhalten bleiben. Andererseits konnten die 57 Geschoßplatten des Turms mitsamt ihren diagonalen Ausfachungen wie ein dreidimensionales Fachwerk zwischen die beiden Betonschenkel eingehängt werden.

Dank der über die gesamte Breite gespannten Zugkonstruktion kommt der Turm ohne eine einzige Stütze im Innenraum aus. Auf diese Weise war es möglich, im 22. Stock ein riesiges Auditorium mit dramatischer Sicht auf das Stadtpanorama unterzubringen.

Foto: Iwan Baan

"In den letzten zwei Jahren wurden weltweit rund 1200 Hochhäuser über 100 Meter Bauhöhe fertiggestellt", so Schmal. "Die interessantesten und aufregendsten Projekte entstehen wie auch schon in der Vergangenheit immer noch in Singapur und New York City. Doch die Hälfte aller Wolkenkratzer wird mittlerweile in China errichtet." Umso überraschender sei die Tatsache, dass 18 der insgesamt 36 heuer nominierten Projekte von europäischen Architekten geplant wurden.

So zum Beispiel auch die sogenannten Beirut Terraces von Herzog & de Meuron (im Bild). Das Schweizer Architekturbüro, das seit jeher für ungewöhnliche Baulösungen bekannt ist, setzte ans Ufer des Yachthafens einen wunderschönen, 26-stöckigen Wohnturm mit verglasten Wänden und unterschiedlich weit hinauskragenden Terrassenflächen. Unweigerlich denkt man an eine Neuinterpretation der Hängenden Gärten der Semiramis. "Gestapelt, versetzt und verschoben schaffen die Wohnebenen einen grenzenlosen Übergang von innen nach außen, schützen vor direkter Sonne und bieten Aufenthaltsqualität sowie Ausblicke", heißt es im Juryprotokoll. "Das ist Wohnen im Hochhaus at its best."

Foto: Iwan Baan

Zu den weiteren Finalisten zählen der gepixelte und rundum angeknabberte Mahanakhon Tower in Bangkok (Ole Scheeren, im Bild), das Chaoyang Park Plaza in Peking (MAD Architects) sowie das Oasia Hotel Downtown in Singapur (WOHA Architects).

Das Studium der Projekte lohnt, denn aufgrund der steigenden Urbanisation ist die Hochhauswelle längst auch schon auf Europa übergeschwappt. Auf der letzten Expo Real in München wurden so viele Wolkenkratzerprojekte präsentiert wie nie zuvor. (Wojciech Czaja, 10.11.2018)

Die Ausstellung "Best Highrises" ist noch bis 3. März 2019 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt/Main zu sehen.

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Deutsches Architekturmuseum

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