Olga Neuwirth hörte die John Otti Band und ihr Lied "Immer wieder Österreich" bei einer FPÖ-Veranstaltung: "Mit welcher Leidenschaft da gesungen wurde, war sehr seltsam."

Foto: Lukas Beck

Ob die John Otti Band eine Freude hatte, bei Wien Modern vorzukommen? Immer wieder Österreich, jenes Lied, mit dem die Combo FPÖ-Veranstaltungen in Stimmung bringt, schimmert als textloses Melo diefragment in Olga Neuwirths Musik zum Stummfilm Stadt ohne Juden durch kurz in einer er regten Wirtshausszene. Alles kein Zufall. Der Film basiert auf Hugo Bettauers Buch, in dem es um quasi eine Orgie des Antisemitismus geht. Im Wiener Konzerthaus kam die Komponistin nach der Auf führung mit einem Konterfei von Bettauer in Händen auf die Bühne. Mahnung und Erinnerung zugleich: Der Autor wurde 1925, nur Monate nach der Filmpremiere, von einem jungen Nationalsozialisten ermordet.

STANDARD: Wie kamen Sie auf "Immer wieder Österreich"?

Neuwirth: Ich habe es im zweiten Bezirk bei einer FPÖ-Wahlveranstaltung gehört. Mit welcher Inbrunst und Leidenschaft da gesungen wurde, war sehr seltsam.

STANDARD: So wie das Lied eingebaut ist, entsteht ein Konnex zwischen FPÖ und Antisemitismus.

Neuwirth: Ich lasse das in der Musik, aber jeder weiß, was ich meine. Es kommt ja an jener Stelle, an welcher der Hass gegen Juden erstmals mit Freude herausposaunt wird. Da blühen Ressentiments richtig auf, die man auch heute überall sieht. Ich kenne das, ich bin auf dem Land aufgewachsen. Es war immer unheimlich, obwohl es zu Bruno Kreiskys Zeiten nicht en vogue war, Ressentiments auszusprechen. Es hat wohl in den Menschen gebrodelt, jetzt darf es aber raus. In meinem Ort gibt es unglaublich viele leidenschaftliche Identitäre, die sich mit Stolz zeigen. Ich finde das irritierend. Es hat sich schnell radika lisiert, da die Haltung von oben nicht sanktioniert, sondern begünstigt wird. Nun traut sich jeder. Deshalb ist dieses Spiel mit dem Feuer von hochrangigen Po litikern so gefährlich und nicht mehr akzeptabel. Verharmlosung ist nicht mehr angesagt. Wer Gewalt und Hass schürt, setzt sie in den Köpfen der Menschen fest und triggert mehr und mehr Gewalt. Wer das nicht sehen will, macht sich automatisch schuldig. Das Schlimme ist, dass es wenig Aufregung darüber gibt. Durch diese unentwegt eingesetzte Sprache der Verhetzung wird alles nivelliert und erscheint plötzlich harmlos. Ich finde das schlimm. Ich habe den Chefdolmetscher der Nürnberger Prozesse kennengelernt, Richard Sonnenfeldt. Er hat gesagt: Es beginnt immer bei der Sprache. Er hatte mit Hermann Göring zu tun und hat auch über Göring gelacht. Er hat sich vergegenwärtigen müssen, wer das eigentlich war. Das Böse zeigt sich nicht pur. Deswegen finde ich Sprache so wichtig. Letztendlich sieht man die Auswüchse ihrer Verwendung bei Trump, Salvini und den anderen.

STANDARD: Deren Sprache trifft aber auch eine latente Angst vor Identitätsverlust?

Neuwirth: Es ist die Angst, nicht zu wissen, wer man ist. Daraus entsteht ein absurdes Sicherheitsdenken, dem Xenophobie folgt. Das Komische ist, dass wir ja ohnedies alle vermischt sind. Man versucht also, sich an etwas festzuhalten, was man gar nicht ist. Und Patriotismus ist mir verdächtig.

STANDARD: Ist Ihr Komponieren durch die aktuelle Situation noch politischer geworden?

Neuwirth: Ich finde, ich war immer politisch, diese Themen sind ja nie weg gewesen. Früher wurde mein Engagement als Hysterie abgetan. Der seriösen Musik würde etwas entzogen, wenn man sich kritisch deklariert, hieß es. Jetzt ist es unter meinen Kollegen en vogue, politisch zu sein.

STANDARD: Sie haben schon 2000 im Konzerthaus gegen die erste schwarz-blaue Regierung protestiert, Sie wollten vor einer Aufführung eine Protestrede halten. Dirigent Pierre Boulez hat es verboten.

Neuwirth: Ja, ich trug dann allerdings eine schwarze Binde. Ein kleines Zeichen macht auch was aus. Boulez meinte, ich würde ein englisches Orchester für meinen Protest benutzen. Ich war nicht seiner Meinung, aber okay.

STANDARD: Ihr Stück "The Outcast" mit der Figur des Old Meville, das bei Wien Modern demnächst gezeigt wird, kreist auch um Verhetzung, Ressentiments und Fremdenhass?

Neuwirth: Ich fuhr ja immer wieder nach Venedig, um zu komponieren. Dort konnte ich mich am besten konzentrieren. Zeitungen habe ich natürlich gelesen, und das Migrationsthema war in Italien, bevor es in Zen traleuropa landete, schon jahrelang virulent. Ich habe jedenfalls diese schrecklichen Berichte gelesen und auch begonnen, mich mit Schriftsteller Herman Melville und seinem Roman Moby Dick zu beschäftigen. Das Meer als Schutzort, als Sehnsuchtsort, zugleich aber als Ort der Katastrophe: Da gab es Zusammenhänge. Das Unglaubliche ist auch Captain Ahab, der wie ein wahnsinniggewordener amerikanischer Traum wirkt und auch heute zu entdecken ist. Einerseits ist da die Sehnsucht nach Demokratie, Gleichheit und Freiheit des Menschen. Gleichzeitig aber schwingt unterschwellig der Drang mit, zu unterdrücken, Macht auszuüben und für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Auf diesem Schiff, der Pequod, verdichten sich gesellschaftliche Mechanismen. Das finde ich unglaublich und aktuell.

STANDARD: Erleben Sie selbst Feindseligkeit?

Neuwirth: Na ja. Ich wurde ja von einem wildgewordenen Hausbesitzer aus der Wohnung geworfen. Er hat behauptet, er will keine freischaffenden Künstlerinnen bei sich haben – nachdem ich den Staatspreis bekommen habe. Ich glaube nicht, dass man das mit einem Mann machen würde. Ich bin vor Gericht gegangen, aber nach zehn Jahren durfte er mich rauswerfen. So ist das Gesetz.

STANDARD: Was hatte der gegen Freischaffende?

Neuwirth: Er hat einen persönlichen Wahnsinn? Keine Ahnung.

STANDARD: Sie üben ja nicht den ganzen Tag Trompete.

Neuwirth: So ist es, ich bin ja die Leiseste! Das Komponieren ist eine einsame Geschichte, man sitzt Stunde, Tage, Wochen und Monate da. Dass ich seitdem keine Wohnung habe, weil einer ausgezuckt ist, obwohl ich nichts getan habe, ist krass. Ich hatte ja ein ganzes Studio, das alles ist nun in einem Depot. In dem Sinne bin ich seit Jahren homeless.

STANDARD: Trotzdem schreiben Sie ein Werk für die Staatsoper, also "Orlando". Diese hat vor Jahren einen an Sie und Elfriede Jelinek erteilten Auftrag, "Fall Hans W.", zurückgezogen. Sie hätten auch sagen können: Nie wieder an diesem Haus!

Neuwirth: Elfriede Jelinek wird auch nie wieder ein Libretto schreiben. Was mich betrifft: Nun ist Dominique Meyer Direktor, ich konnte ihn nicht vorverurteilen. Aber er hat mich schon sehr überzeugen müssen. (Ljubiša Tošić, 9.11.2018)