Wien – Rund 30.000 Teilnehmer haben sich gestern zur Ausrufung der Europäischen Republik versammelt: Das European Balcony Project, das am Samstagnachmittag von (Theater-)Balkonen in ganz Europa ein Manifest von Ulrike Guerot und Robert Menasse verlesen ließ, fand laut Veranstaltern in mehr als 25 Ländern und 30 Sprachen statt, 200 Kulturinstitutionen und Bürgergruppen nahmen teil. In Österreich waren u.a. das Burgtheater, das Volkstheater und die Schauspielhäuser in Graz und Wien mit dabei.

200 Anhänger vorm Burgtheater

Rund 200 Europa-Fans jubelten dem Burgschauspieler Peter Simonischek auf dem Josef-Meinrad-Platz neben dem Burgtheater zu. Eingeleitet von der Europa-Hymne, die mit einer E-Gitarre und von einem Bläserensemble interpretiert wurde, verlas der prominente Darsteller vom Direktionsbalkon das Manifest zur Ausrufung der Europäischen Republik. Immer wieder musste Simonischek seinen Vortrag wegen spontanem Beifall und Jubel-Rufen der EU-Fahnen schwenkenden Menschen unterbrechen.

"Wir erleben gerade, dass das politische Österreich eine Vorreiterrolle für nationalstaatliches Denken einnimmt, dabei leichtfertig unsere zivilisatorischen Werte wie Menschlichkeit und Demokratie über Bord wirft und unsere Sicherheit innerhalb der europäischen Gemeinschaft gefährdet", wird Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann auf der Website des Hauses zitiert. "Dass sich gerade das österreichische Nationaltheater an dieser politisch-künstlerischen Aktion beteiligt, halte ich für immens wichtig."

Auch Peter Simonischek äußerte sich auf der Burgtheater-Homepage: "Ich verlese das Manifest vom Direktionsbalkon des Burgtheaters aus, mit Blick auf Ballhausplatz und Heldenplatz, also mit Blick auf den Sitz der österreichischen Regierung. Ich erwarte mir von dieser Aktion ein starkes Signal für ein Europa, das alle seine Bürger*innen vereint. Natürlich ist das jetzt erst einmal eine Utopie, aber wer nicht denn die Kunst sollte visionär sein?"

Im Anschluss an die Verlesung des Manifests regnete es Flugzettel vom Balkon, auf denen Auszüge des Manifests abgedruckt sind. Darauf heißt es unter anderem: "An die Stelle der Souveränität der Staaten tritt hiermit die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger. Wir begründen die Europäische Republik auf dem Grundsatz der allgemeinen politischen Gleichheit jenseits von Nationalität und Herkunft".

Aktionen im Volkstheater, Werk X ..

Mit Flugzettelregen, aber ohne Musikbegleitung erfolgte die Ausrufung der Europäischen Republik am Wiener Volkstheater, wo Jan Thümer den von Menasse und Guerot verfassten Text per Megafon vor rund 50 Zuschauern verlas.

Am Schauspielhaus Graz beteiligte man sich mit einem Kurzfilm. "Setzen wir ein Zeichen für ein gemeinsames, vereintes Europa. Dem grassierenden Mangel an Solidarität und menschlicher Empathie in unserer Gesellschaft müssen wir gemeinsam ein friedliches, entschlossenes 'Wir' entgegensetzen", forderte Intendantin Iris Laufenberg in einer Aussendung. Auch das Werk X, die Kunsthalle Wien, das Landestheater Niederösterreich und zahlreiche weitere Kulturinstitutionen oder Privatpersonen beteiligten sich in Österreich an der Aktion, die europaweite Unterstützung fand.

Wider erstarkende Nationalismen

"Der heutige Tag hat gezeigt, dass nur die europäische Realität in der Krise ist, aber nicht die europäische Idee. Trägt man die europäische Idee in die Öffentlichkeit, entsteht Bewegung!", wird Mitinitiator und Autor Robert Menasse in einer Aussendung zitiert. "Wir appellieren an die PolitikerInnen, die Ursprungsidee Europas wiederzufinden: Europa heißt nicht, Staaten zu integrieren, sondern Menschen zu einen", so Politikwissenschafterin Guerot.

Das European Balcony Project ist ein Projekt des European Democracy Lab, das durch Spenden im Rahmen einer Crowdfunding-Aktion ermöglicht wurde. Mit dem Projekt, das über das ganze Wochenende auch andere Veranstaltungen umfasste, wollen die Initiatoren "einen Kontrapunkt zum europaweiten Wiedererstarken von Nationalismen setzen und sprechen sich für eine Stärkung des Europäischen Parlaments aus".

Teilgenommen haben etwa das Wiener Burgtheater, das Nationaltheater Gent, das Bitef Theatre Festival Belgrad, oder das Royal Conservatoire of Scotland. Die Ausrufung fand neben Theaterbalkonen unter anderem auf einer Fußgängerbrücke zwischen zwei Mitgliedstaaten, am Brüsseler Flughafen sowie in mehreren Beitrittskandidaten-Ländern statt. (APA, 11.11.2018)