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Die Anwesenheit Donald Trumps beim Treffen der 70 Staatschefs zum Gedenken an den Waffenstillstand von 1918 zeigt, wie stark das Phänomen Nationalismus die Weltpolitik wieder prägt.

Foto: AP Photo/Jacquelyn Martin

Niemals wieder!", erschallte der Ruf vor hundert Jahren, als der bis dato tödlichste Konflikt der Geschichte zu Ende ging. "Niemals wieder", hieß es nach dem Zweiten Weltkrieg, dessen Brutalität und Blutzoll die des Ersten noch übertrafen. Und "Niemals wieder" lautete die Botschaft, die das Treffen der 70 Staatschefs zum Gedenken an den Waffenstillstand von 1918 am Sonntag in Paris aussenden sollte.

Zum Glück ist die Horrorvision eines neuerlichen Weltkriegs heute in weite Ferne gerückt. Viele der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen, die im 20. Jahrhundert zweimal in die ultimative Katastrophe führten, haben sich verflüchtigt. Zwar gibt es heute mehr und bessere Waffen denn je, doch dem Einsatz militärischer Mittel für politische Ziele fehlen die Legitimität und Selbstverständlichkeit von einst. Das gilt selbst für aktuelle Krisen wie den Ukraine-Konflikt.

Doch eine zentrale Ursache beider Weltkriege ist geblieben: der Nationalismus. Er wurde zwar seit 1945 vor allem in Europa bekämpft, aber nie besiegt. Und die Anwesenheit Donald Trumps bei den Feiern zum Kriegsende zeigt, wie stark das Phänomen die Weltpolitik wieder prägt. Trumps "Amerika zuerst"-Politik stößt zwar auf Befremden, das Prinzip dahinter aber weniger: Dass der Präsident der USA für die eigenen Interessen kämpft, wird weltweit akzeptiert. Die Verfechter eines Globalismus, in dem Nationalstaaten keine Rolle spielen, sind auch in der EU in der Minderheit – und werden in Ländern wie Ungarn oder Italien ganz an den Rand gedrängt.

Nationalstaatsgefühl

Die Überlebenskraft des Nationalismus hat gute Gründe. Schließlich ist fast die gesamte Welt nationalstaatlich organisiert, weit mehr als noch vor 100 Jahren. Wer in einem solchen Staat lebt, denkt automatisch in nationalen Kategorien. Und das erfüllt einen wichtigen Zweck: Nur der Nationalstaat ermöglicht die Schaffung einer Solidargemeinschaft, in der Millionen von Menschen bereit sind, ihre kurzfristigen Eigeninteressen für das Ganze zurückzustellen -- Steuern zu zahlen, Gesetze einzuhalten, die staatliche Legitimität anzuerkennen. Trotz aller Bemühungen kann die EU diese Funktion nicht wahrnehmen, und die Uno schon gar nicht. Ohne Nationalstaatsgefühl zerbricht eine Gesellschaft in noch kleinere, dysfunktionale Teile. Selbst globale Probleme wie der Klimawandel sind nur durch die Kooperation von Staaten lösbar.

Nicht nur konservative Denker wie der israelische Philosoph Yoram Hazony preisen daher "die Tugend des Nationalismus"; auch Liberale und Linke können sich vom Nationalstaatskonzept nicht lösen. Tun sie es dennoch, laufen ihnen die Wähler davon. Denn auf emotionaler Ebene bleibt die Nation unverzichtbar. Doch genau darin liegt ihre Gefahr: Positive patriotische Gefühle können allzu rasch – und vor allem in Krisenzeiten – in Feindseligkeit oder gar Hass gegenüber anderen umschlagen.

Politische Verführer wissen dies zu nützen. So brach 1914 ein gut integriertes Europa innerhalb von Wochen auseinander, und so gefährdet heute der Rechtspopulismus die Errungenschaften der EU – so wie Trump die gesamte Nachkriegsordnung.

Der Nationalstaat lässt sich weder ersetzen noch gegen ein Abgleiten in aggressiven Nationalismus immunisieren. Für dieses Problem ist auch nach 100 Jahren keine Lösung in Sicht. (Eric Frey, 11.11.2018)