Das Thema sorgt nicht das erste Mal für Irritationen: die von Türkis-Blau geplante Reform der Notstandshilfe. Nachdem SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner vor "kalter Enteignung" gewarnt und der Regierung vorgeworfen hat, Politik gegen "die Schwächsten in unserem Land" zu machen, erklärte die blaue Sozialministerin Beate Hartinger-Klein am Montag: "Die FPÖ und ich garantieren, dass die Notstandshilfe als Versicherungsleistung bleiben wird!"

Bei Kanzler Sebastian Kurz klang das zu Jahresbeginn noch anders: "Die Notstandshilfe wird es in der derzeitigen Form nicht mehr geben, und die Mindestsicherung steht all jenen offen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgelaufen ist." Knackpunkt ist damals wie heute die Frage, in welchen Fällen es einen Vermögenszugriff geben soll. Um das Thema vom Tisch zu bekommen, hatten sich Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Jänner auf das wenig präzise Wording geeinigt: Einen Vermögenszugriff werde es nur bei "Durchschummlern" gebe. Wer sich davon angesprochen fühlen soll, blieb offen. Angesichts der vielen Unklarheiten versucht nun der STANDARD einen Überblick zu geben, was geklärt und was offen ist:

Frage: Was steht im Koalitionspakt?

Antwort: Dort heißt es relativ unmissverständlich, dass die Notstandshilfe in ein "Arbeitslosengeld neu" integriert werden soll. Es würde also in der bisherigen Form abgeschafft. Dieses neue Arbeitslosengeld soll "degressiv" gestaltet sein. Wer länger eingezahlt hat, soll demnach einen höheren Anspruch bekommen.

Frage: Wie soll sich die Höhe des neuen Arbeitslosengeldes konkret im Zeitverlauf entwickeln?

Antwort: Das ist noch nicht final entschieden. Das Sozialressort hat allerdings beim Wifo eine Studie in Auftrag gegeben und dafür auch einen "Modellvorschlag" (siehe Tabelle) mitgeliefert. Der zeigt, in welche Richtung es gehen dürfte: Das niedrigste Arbeitslosengeld, für das man mindestens zwölf Versicherungsmonate vorweisen muss und das sechs Monate lang gewährt wird, sinkt demnach etwas – von 55 auf 50 Prozent des letzten Einkommens.

Danach steigt der Anspruch mit zunehmender Versicherungsdauer. Wer zumindest zehn Versicherungsjahre vorweisen kann, dürfte das Arbeitslosengeld länger als bisher beziehen, nämlich zwei Jahre statt einem. Auch die Höhe läge deutlich über dem aktuellen Anspruch, nämlich am Anfang bei 65 Prozent des Letzteinkommens. Danach würde die Nettoersatzrate alle sechs Monate um fünf Prozentpunkte sinken. Wer mehr als 15 Jahre eingezahlt hat und älter als 50 ist, dürfte laut dem Modell sogar unbegrenzt Arbeitslosengeld beziehen. Für diese Gruppe würde sich also gegenüber der Notstandshilfe wenig ändern.

Frage: Welche Folgen wären mit diesem Modell verbunden?

Antwort: Laut einem dem STANDARD vorliegenden Wifo-Zwischenbericht hätten von den 356.000 Menschen, die im Jahr 2016 Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen, 121.000 keinen Anspruch auf das neue Arbeitslosengeld. 37.000 davon sind Menschen mit Behinderung. Diese Gruppe müsste künftig also die Mindestsicherung beantragen.

Das Wifo hat auch Berechnungen der finanziellen Folgen angestellt. Demnach würden die Ausgaben für das Arbeitslosengeld um etwas mehr als eine Milliarde Euro sinken, umgekehrt würden die Ausgaben für die Mindestsicherung um knapp 900 Millionen steigen. Das ist insofern brisant, weil die Mindestsicherung von den Ländern bezahlt wird. Insgesamt würde sich die öffentliche Hand 185 Millionen Euro ersparen. Weitere Ergebnisse: Frauen erhalten seltener einen höheren Leistungsbezug als Männer. Jugendliche erhalten besonders häufig keine oder eine geringe Leistung. Und ausländische Arbeitslose verlieren eher als inländische.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein ließ die Experten des Wifo errechnen, welche Folgen mit ihrem Modell verbunden wären.
Foto: apa/pfarrhofer

Frage: Und was hat es jetzt mit dem Vermögenszugriff auf sich?

Antwort: Anspruch auf Mindestsicherung hat derzeit nur, wer nicht mehr als 4.300 Euro Geldvermögen hat. Bei Immobilien kann sich die Behörde nach sechs Monaten ins Grundbuch eintragen lassen. Finden die Betroffenen später wieder einen Job, müssen sie die bezogene Mindestsicherung so lange zurückzahlen, bis die im Grundbuch abgesicherten Ansprüche getilgt sind.

Bei der bisherigen Notstandshilfe gibt es solche Auflagen nicht. Man kann also theoretisch auch 100.000 Euro am Konto haben und bekommt trotzdem unbefristet die Notstandshilfe. Wie der Vermögenszugriff künftig geregelt wird, ist noch Streitpunkt zwischen ÖVP und FPÖ. Strache versprach zuletzt, dass es auch nach der Reform keinen Zugriff auf das Eigenheim, auf Auto und Vermögen von Personen geben werde, "welche krankheitsbedingt oder aufgrund von Kündigung arbeitslos werden".

Frage: Wie geht es nun weiter?

Antwort: Ein Entwurf zum neuen Arbeitslosengeld soll erst Anfang 2019 kommen. Die neue Mindestsicherung soll demnächst vorgelegt werden. Die Eckpunkte sind bereits bekannt: Die Höhe wird sich, wie bisher, an der Mindestpension orientieren (aktuell 863 Euro), Familien mit mehreren Kindern sollen ebenso weniger bekommen wie Bezieher mit Sprachdefiziten (300 Euro Abschlag). Die Frage des Vermögenszugriffs war aber auch bei der Mindestsicherung zuletzt ein Streitpunkt. Konkret geht es um die Aufstocker, also Menschen, deren Einkommen so niedrig ist, dass sie dieses mit einer Teilleistung aus der Mindestsicherung aufstocken dürfen. Die FPÖ wollte, dass diese Gruppe vom Vermögenszugriff ausgenommen wird, die ÖVP stand laut Verhandlern eher auf der Bremse. (Günther Oswald, 13.11.2018)