Regisseurin Adina Pintilie wurde für ihren Film "Touch Me Not" bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.

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Wien – Es war eine profunde Überraschung, als bei der letzten Berlinale der Gewinner des Goldenen Bären bekanntgegeben wurde. Kaum jemand hatte mit Touch Me Not von Adina Pintilie gerechnet – ein herausfordernder, aber auch didaktisch wirkender Film über die menschliche Sexualität. Tom Tykwer ergänzte die Entscheidung der Jury mit einer Bemerkung: Es ging nicht darum, "zu würdigen, was das Kino kann, sondern auch, wo es noch hingehen kann".

Mit dieser Frage kann man auch gut in ein Gespräch mit Adina Pintilie gehen. Die gebürtige Rumänin hat anstrengende und euphorische Monate hinter sich. Der Preis in Berlin war für ihren Film eine Startrampe. Zweifellos hat die Berlinale-Jury etwas an Touch Me Not begriffen, das man auf den ersten Blick vielleicht übersehen könnte: Der Film ist berührend, obwohl er an vielen Stellen wirkt, als käme er aus einem Labor.

Regisseurin Adina Pintilie erkundet in "Touch Me Not" den menschlichen Körper und die Sexualität in einer Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm.
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Es fällt auch relativ früh das Wort "research", das man in diesem Fall sowohl als "Recherche" wie auch als "Forschung" übersetzen könnte. Laura, eine Frau an der Schwelle zum Alter; Tomas, ein Mann, der aus genetischen Gründen vollständig unbehaart ist; Christian, der von sich einmal sagt, er würde aufgrund seiner schweren Behinderung gelegentlich als "Gehirn ohne Körper" bezeichnet. Das sind die drei Hauptfiguren, in deren "research" sich Adina Pintilie immer wieder einklinkt.

Die Regisseurin erklärt ihre Motivation für den Film so: "Als ich zwanzig Jahre alt war, da glaubte ich, über Intimität und sexuelle Beziehungen im Wesentlichen Bescheid zu wissen. Seither habe ich aber herausgefunden, dass ich alles, was ich darüber in der Schule, in der Familie, in der Gesellschaft gelernt habe, am besten vergessen sollte. Ich möchte ganz neu lernen, wie Menschen richtig funktionieren."

Dieser Lernprozess hat in Touch Me Not verschiedene Ebenen. Laura (gespielt von der professionellen Schauspielerin Laura Benson) probiert zuerst einmal für sich verschiedene Dinge aus: Sie bestellt einen Callboy, sie arbeitet mit einem Körpertherapeuten, sie sucht nach Wegen, sich freizumachen. Irgendwann stößt sie auf eine Therapiegruppe, in der Tomas und Christian aufeinandertreffen. Tomas wird ebenfalls "gespielt" (Tomas Lemarquis kann man aufgrund seiner auffälligen Erscheinung auch ab und zu in Hollywood-Blockbustern sehen).

Trailer zu "Touch Me Not".
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Christian hingegen ist er selbst, nämlich Christian Bayerlein, ein Web-Developer, Aktivist und selbsterklärter Nerd, der an spinaler Muskelatrophie leidet und auf der Seite Kissability über Sexualität und Behinderung schreibt. In Touch Me Not wird er konsequent als "differently abled", also "anders befähigt", bezeichnet – der Film ist dicht dran an den neuesten Gender- und Identitätspolitiken und den entsprechenden Begrifflichkeiten und Sprachregelungen.

In erster Linie ist Touch Me Not aber eine Erkundung von Körpern. "Der Körper als Landschaft", das stand für Adina Pintilie im Mittelpunkt. Für sie ist das der Grund für die Ästhetik des Films, die man als kühl und distanziert erachten könnte. "Das Weiß ist für mich Frieden, Ruhe, Reinheit", so betont Pintilie andere Aspekte, wo man auch an Klinik und sterile Räume denken könnte. Sie denkt hingegen an Kunst: "Das Weiß ist für mich das Weiß einer Leinwand, auf der die Körper zur Erscheinung kommen können."

Inzwischen ist schon abzusehen, dass das Experiment mit Touch Me Not wohl aufgegangen ist. Der Film wurde in zahlreiche Länder verkauft. Dass es schwierig war, ihn zu finanzieren, sieht man der Produzentenliste an: eine ganze Reihe europäischer Firmen und Förderer sind beteiligt, aber zumeist mit "Peanuts", wie Pintilie sich lachend erinnert.

Kino als Workshop-Medium

Schließlich entstand kein reiner Spielfilm, kein reiner Dokumentarfilm, sondern eine Mischform, in die sich auch die Regisseurin selbst einbringt. "Ich verstehe die Kamera als einen Kanal, der einen Zugang zu Emotionen schafft. Irgendwann musste ich selbst auch durch diesen Kanal gehen, und so bin ich nun auch im Bild. Ich bin eben Teil des Prozesses, ich löse etwas aus, also kann ich mich nicht hinter der Kamera verstecken."

Adina Pintilie erfindet das Kino als Workshop-Medium neu und bricht damit deutlich mit den konventionellen Dramaturgien, die das europäische Kino derzeit dominieren. Sie tut dies aber aus nachvollziehbaren Gründen: "Die Filmindustrie unterschätzt die emotionale Intelligenz der Zuschauer." (Bert Rebhandl, 12.11.2018)